Europäische Volksbegehren: Das Mitmach-Europa

Noch sind die Bedingungen für europaweite Mitbestimmung der Bürger nicht geregelt. Vor allem Deutschland will eher restriktive Vorschriften.

Es soll ein Europa der Bürger werden. Bild: dpa

BRÜSSEL taz | Wer sich bei www.greenpeace.org durch die bunten Anzeigen auf der Homepage klickt, stößt auf einen breit grinsenden EU-Kommissionspräsidenten mit Kochmütze. "Gentechnisch veränderte Rezepte", so lautet die Botschaft, wolle Manuel Barroso den Bürgern auftischen. Deshalb sollten möglichst viele ihn per Unterschrift dazu auffordern, den Anbau genveränderter Pflanzen zu verbieten. Eine solche Aktion sei aussichtsreich, da "eine neue Initiative einer Million EU-Bürgern eine einmalige Chance eröffnet, bei der EU-Kommission offizielle Anliegen vorzubringen".

Diese Ankündigung ist vorschnell. Denn die "europäische Bürgerinitiative" ist zwar Bestandteil des Lissabon-Vertrages, der seit dem 1. Dezember gilt. Dort aber steht nur, dass "Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, deren Anzahl mindestens eine Million betragen und bei denen es sich um Staatsangehörige einer erheblichen Anzahl von Mitgliedsstaaten handeln muss", die EU-Kommission zu Gesetzesvorschlägen auffordern können.

Noch fehlt das Gesetz, das die genauen Regeln festlegt - zum Beispiel, ob es eine Altersgrenze für die Unterschriften gibt, wie ihre Gültigkeit geprüft wird und ab wie vielen Mitgliedsstaaten von einer "erheblichen Anzahl" gesprochen werden kann. Vor allem aber muss die Verordnung sicherstellen, dass, wie der zuständige EU-Kommissar Maros Sefcovic flapsig formuliert, keine "dumme Initiativen" in Umlauf kommen, mit denen etwa die eurofeindliche britische Unabhängigkeitspartei die EU auf die Schippe nehmen könnte.

Ende März hat die Kommission einen Gesetzesvorschlag gemacht, nun müssen Rat und Parlament ihre Änderungswünsche formulieren. Die Kommission will zwei Filter in das Bürgerbegehren einbauen. Bevor eine Organisation damit beginnen kann, Unterschriften zu sammeln, muss sie das geplante Anliegen in einem von der Kommission verwalteten Onlineregister anmelden und ihre Finanzquellen offenlegen. Initiativen, denen es "an Ernsthaftigkeit fehlt" oder die "sich eindeutig gegen die Werte der Union richten", werden nicht registriert. Alle übrigen prüft die Kommission nach eingegangenen 300.000 Unterschriften ein zweites Mal. Sie klärt binnen zwei Monaten, ob das angestrebte Projekt überhaupt auf europäischer Ebene behandelt werden darf und die EU-Kommission zuständig ist.

Ein Bürgerbegehren, das Minarette in der EU verbieten will, hätte deshalb ebenso wenig eine Chance wie eine Initiative zur Einführung der Todesstrafe. Bei beiden Themen hat die EU keine Kompetenz. Wesentlich kniffliger wäre es, wenn die Kommission aufgefordert würde, endgültige Außengrenzen der Union festzulegen, die mit den geografischen Grenzen Europas übereinstimmen sollen. Eine Million Unterschriften gegen den Beitritt der Türkei ließen sich mühelos sammeln - und dass die EU-Kommission in Erweiterungsfragen zuständig ist, kann kein Jurist bestreiten.

Spannend wird es auch beim arbeitsfreien Sonntag. Die Frage, inwiefern im Binnenmarkt in die Tarifautonomie eingegriffen werden darf, um die Wettbewerbsbedingungen in den Mitgliedsstaaten anzugleichen, hat schon häufig für juristischen Streit gesorgt.

Binnen zwölf Monaten, so sieht es der Kommissionsvorschlag vor, muss die Zahl von einer Million Unterschriften erreicht sein. Die EU-Kommission muss danach innerhalb von vier Monaten Stellung nehmen. Will sie kein Gesetz vorschlagen, ist sie verpflichtet, ihre Gründe darzulegen. Auch im Fall einer Ablehnung würde ein Anliegen also für Aufmerksamkeit sorgen und in den beteiligten Ländern wohl eine lebhafte Debatte auslösen. Das neue Instrument könnte zu einem mächtigen Werkzeug der Bürgergesellschaft werden, die das gleiche Initiativrecht erhält wie das Europäische Parlament.

Der deutsche Strafrechtsprofessor Jürgen Meyer, der im Verfassungskonvent einer der Initiatoren eines europäischen Bürgerbegehrens war, appellierte in einer Brüsseler Anhörung an Kommissar Sefcovic: "Sorgen Sie bitte dafür, dass das, was wir mit viel Mühe erkämpft haben, nicht vergeblich war!" Die von der Kommission vorgeschlagene Mindestbeteiligung von einem Drittel der Mitgliedsstaaten hält Meyer für zu hoch, die Überprüfung der Unterschriften mittels Personalausweis- oder Sozialversicherungsnummer für zu kompliziert und zwölf Monate Frist für die Unterschriftensammlung für zu wenig. Und es soll nur eine einzige Zulässigkeitsprüfung geben.

Verbündete findet Meyer im Europaparlament und - erstaunlicherweise - bei vielen europäischen Regierungen. Nach anfänglichem Zögern sehen sie in dem neuen Instrument eine Möglichkeit, die Europäer wieder enger an die ungeliebte Union zu binden. In einer ersten Aussprache im Kreis der EU-Außenminister sagte der polnische Vertreter Radoslaw Sikorski: "Das ist ein hervorragendes Instrument. Wir sollten aber keine unvernünftig hohen Verwaltungshürden bei der Prüfung der Unterschriften aufbauen." Auch Schweden, Großbritannien, Irland, Estland und Frankreich sprechen sich für ein unkompliziertes Signatursystem aus.

Nur Deutschland und Österreich scheinen weniger begeistert von der Idee, den Bürgern Gesetzesinitiativen zu ermöglichen. "Es ist natürlich unter dem Gesichtspunkt der Political Correctness ein ganz wichtiges Instrument", sagte Staatssekretär Werner Hoyer leicht säuerlich bei der Außenministersitzung. Er müsse aber "Wasser in den Wein gießen". Die von der EU-Kommission für Deutschland vorgeschlagene Schwelle von 72.000 Unterschriften sei lächerlich niedrig. Auch müssten die Unterschriften strenger geprüft werden. "Es kann nicht sein, dass einer abends durch die Kneipen zieht und sich das auf den Bierdeckel kritzeln lässt."

Während die Regierungen noch debattieren, machen einige Organisationen schon Nägel mit Köpfen. Das könnte allerdings nach hinten losgehen. Da die derzeit laufenden Unterschriftenaktionen nicht bei der Kommission registriert sind, werden sie den formalen Anforderungen nicht gerecht - selbst wenn sich Rat und Parlament noch vor der Sommerpause auf einen Verordnungstext einigen. Greenpeace, die europäischen Sozialisten und die christlichen Initiativen, die bereits angefangen haben, werden also von vorn beginnen müssen, wenn die Verordnung in Kraft ist.

Mark Breddy von Greenpeace sieht das gelassen: "Der neue Vertrag sieht das Bürgerbegehren vor, deshalb nutzen wir das Instrument. Wenn die EU so lange braucht, um sich auf die Details zu einigen, ist das nicht unser Problem. Eine Million Bürger, die ein Moratorium beim Genanbau wollen - das kann man nicht so leicht beiseite wischen."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.