Interview mit dem neuen Fahrradbeauftragten: "Radfahren muss schnell und bequem werden"

Arvid Krenz will eine Stadt, durch die Radfahrer sicher und zügig rollen - mit sicheren Kreuzungen und eigenen Spuren. Er kritisiert, dass es dafür noch an einer übergreifenden Strategie fehle.

Jedes Jahr werden die Berlin 20 Kilometer Radwege gebaut - Zu wenig, findet der Fahrradbeautragte. Bild: ap

taz: Herr Krenz, Sie sind der neue Fahrradbeauftragte des Senats - eine ehrenamtliche Tätigkeit, bei der Konflikte programmiert sind. Warum machen Sie das?

Arvid Krenz: Zum einen bin ich Verkehrsplaner und habe schon von daher Interesse, die Planung in der Stadt mitzugestalten. Zum anderen bin ich selbst oft unzufrieden, wenn ich als Radfahrer in Berlin unterwegs bin - das passiert an vielen kleinen Stellen über die Stadt verteilt, und es sind Schwachpunkte, die man angehen muss. Ich handele also auch aus Eigeninteresse.

Der neue Fahrradbeauftragte des Senats lehrt und forscht als Verkehrsplaner an der Technischen Universität Berlin (TU). Radverkehr ist dabei ein wichtiges Thema - in einem Seminar untersucht er etwa mit seinen StudentInnen Wirkung und Sicherheit von Radstreifen zwischen Geradeaus- und Abbiegespur an Kreuzungen. Auch in seiner Doktorarbeit möchte Krenz diese Radstreifen in Mittellage untersuchen.

Der 33-Jährige lebt seit dem Jahr 2002 in Berlin, aufgewachsen ist er im brandenburgischen Liebenwalde. Als er in die Großstadt umzog, habe er das Fahrradfahren im Prinzip neu erlernen müssen, sagt Krenz. Er wohnt in Steglitz und kombiniert das Fahrrad gerne mit dem öffentlichen Nahverkehr. (pez)

Was genau stört Sie?

Das geht von Radwegebreiten und den Zustand des Weges über die Führung von Wegen bis hin zum fehlenden Netz. Man merkt, dass der Radverkehr noch nicht den Stellenwert hat, den er haben sollte.

Was macht ein Fahrradbeauftragter konkret?

Ich komme ja neu von außen dazu, muss also erst einmal alle Akteure kennen lernen - sowohl auf Senats- und Bezirksebene als auch bei der Polizei, bei den Verkehrsunternehmen und den Lobbyverbänden. Dann möchte ich mir die Abläufe anschauen. Meiner Meinung nach dauert die Umsetzung von Zielen zu lange.

Zum Beispiel?

Seit es die Radverkehrsstrategie gibt, sind pro Jahr durchschnittlich 20 Kilometer Radwege gebaut worden. Das finde ich für eine Stadt wie Berlin relativ wenig.

Die Defizite sind ja bekannt, wirklich geändert hat sich aber bisher nichts.

Ich weiß nicht, ob ich den Durchbruch schaffe. Es braucht einen langen Atem. Ich möchte kleine, konkrete Schritte gehen - in diesem Jahr etwa in der Unfallkommission mitarbeiten. Wenn Kreuzungen aufgrund von Unfällen umgestaltet werden, will ich mich für die Belange von Radfahrern starkmachen. An der neuen Radverkehrsstrategie möchte ich natürlich mitwirken. Ich finde, dort müssen die Ziele höher gesteckt und überprüfbarer werden.

Haben Sie das Gefühl, dass Ihre bisherigen Gesprächspartner in der Senatsverwaltung - die Referatsleiter und Staatssekretärin Maria Krautzberger - tatsächlich etwas ändern wollen?

Sie sind gewillt, etwas für den Radverkehr zu tun, so viel wurde in den kurzen Gesprächen klar. Ob mir das weit genug geht, kann ich jetzt noch nicht einschätzen.

Es gibt ja Symbolprojekte, die nahelegen, dass sich das Gesamtsystem weiter am Autoverkehr ausrichtet - etwa der geplante Ausbau der A 100.

Das kann man als Symbol sehen, man kann es aber auch als Chance nutzen - wenn man die A 100 ausbaut, macht man das sicherlich auch, um Viertel von Verkehr zu entlasten. Man muss dort aber gleich umgestalten und ein Zeichen setzen: Hier ist mehr Rad- und Fußverkehr gewünscht. Dann geht es in die richtige Richtung, dann kann man trotzdem von einer fahrradfreundlichen Politik sprechen. Nur wenn das nicht stattfindet, geht es in die falsche Richtung. Das ist also sicherlich ein Projekt, auf das man kritisch schauen muss.

Was halten Sie als Verkehrsplaner von den Autobahnplänen?

Das ist schwierig. Vom subjektiven Empfinden her glaube ich, dass Berlin kein Problem mit dem Autoverkehr hat und es dieses Teilstücks nicht bedarf.

Wie leicht ist es für Sie, den Senat zu kritisieren?

Ich bin ja nicht angestellt, es ist ein Ehrenamt. Ich bin berufen vom Senat, aber trotzdem frei in meiner Entscheidung. Ich würde immer zunächst das Gespräch suchen, auch wenn man unterschiedlicher Auffassung ist, und da bin ich offensiv. Wenn ich den Senat nicht überzeugen kann, muss ich sehen, ob ich mehr an die Öffentlichkeit gehe und so den Druck erhöhe.

Grüne Welle für Radfahrer?

Das ist eine Idee. Das Erste, was ich mir wünsche, ist eine sichere Radverkehrsanlage an jeder Kreuzung. Davon ist Berlin noch weit entfernt. Es gibt das Fahrradroutennetz vom Senat, aber das reicht nicht aus. Ich möchte nicht auf Wegweiser achten müssen, sondern die Hauptstrecken müssen in den Zustand gebracht werden, dass sie attraktiv und durchgehend sind. Hier sehe ich bislang keine Strategie.

Bietet sich das Modell "Shared Space" - also gemeinsam genutzter Verkehrsraum ohne Regeln - für Berlin an?

"Shared Space" ist eine Planungsphilosophie: Der Straßenraum soll wieder erkennbar werden in seiner Funktion. Der Begründer hat gesagt: Wenn wir wollen, dass sich die Leute wie in einer Kirche verhalten, müssen wir Kirchen bauen - aber im Moment bauen wir Discos. Für Berlin ist "Shared Space" schwer umzusetzen, weil versucht werden muss, den ruhenden Verkehr herauszuhalten. Das wird meist mit Pollern gelöst und dann geht es doch wieder in die Richtung, Verkehrsteilnehmer zu separieren - also genau nicht die Fläche mit anderen zu teilen.

Wie kann man denn eine Straße so bauen, dass Autofahrer sich rücksichtsvoll verhält, etwa vor einem Kindergarten?

Nach "Shared Space" soll die Gestaltung für Unsicherheit sorgen, sodass der Verkehrsteilnehmer nicht weiß, wie genau die Straßenführung verläuft. Damit wird er automatisch langsamer fahren - so weit jedenfalls die Philosophie.

Braucht es einen Mentalitätswandel?

Es sind immer subjektive Gründe, warum Menschen mit dem Auto fahren. Ich kann nicht in die Köpfe schauen. Es hat Vorteile, wenn man den Fahrradverkehr positiv darstellt - mit einem Netz von Hauptstrecken, auf dem Radfahrer schlicht Zeit sparen. Dann brauchen wir keinen Mentalitätswandel, dann fahren die Leute aus rationalen Gründen Fahrrad. Radfahren muss schnell und bequem sein. Bis wir dahin kommen, dauert es aber noch.

Zum Saisonstart wird indes deutlich, dass die Mentalität auf den Straßen immer noch ist: Ich zuerst. Gut zu beobachten ist das ja bei den Konflikten zwischen Bus- und Radfahrern auf den BVG-Spuren. Sehen Sie eine Lösung?

Wo viel Platz ist, sollte man für Radfahrer eine Extraspur legen. Busstreifen generell als Ersatz für eine Radverkehrsanlage sehe ich als schwierig an.

Das dauert wieder Jahre. Was kann man kurzfristig tun?

Ich bin sehr für ein Miteinander. Ansonsten macht man sich das Leben nur gegenseitig schwer. Ausrasten von Busfahrern ist wie Kapitulieren, und Radfahrer müssen sich ja nicht unnötig breit machen. Ich selbst habe mich früher viel mehr aufgeregt im Straßenverkehr, das mache ich nicht mehr. Ich fahre offensiv und schnell, aber rücksichtsvoll. Manchmal kann ich verstehen, warum Radfahrer sich nicht an Regeln halten. Was nicht heißt, dass ich das gut finde. Aber es gibt Punkte, in denen ich nachvollziehen kann, dass man zum Beispiel über einen Bürgersteig abkürzt - etwa wenn man nur 200 Meter in eine Richtung will und die Straße sehr breit ist. Kaum einer wird da zweimal queren, um auf der korrekten Seite zu fahren.

Genau solche Verkehrssünden will die Polizei in diesen Wochen gezielt kontrollieren und bestrafen.

Ich finde es gut, dass die Polizei kontrolliert. Die Frage ist: Steht sie immer an den richtigen Stellen? Denn die Polizei sollte die Verkehrsteilnehmer auch überzeugen. Gelingt es ihr also, mich aufzuklären, oder habe ich als Radfahrer das Gefühl, nur bestraft zu werden, weil es ums Abkassieren geht? Wenn das passiert, erweist sich die Polizei einen Bärendienst. Bei manchen Orten, an denen in der Vergangenheit kontrolliert wurde, frage ich mich schon, ob die Polizei wirklich dort stehen musste. Kontrollen sind sinnvoll, es hilft zu überzeugen, wenn die Präsenz in alle Richtungen spürbar ist: wenn Radfahrer zum Beispiel auch sehen, dass die Polizei Radstreifen-Parker kontrolliert und Autofahrer stoppt, die beim Rechtsabbiegen die Vorfahrt missachten.

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