Debatte Krise der EU: Mehr reinreden

Der Streit über Griechenland zeigt: Nur als echte Solidargemeinschaft hat die Union eine Zukunft. Andernfalls droht nicht nur der Währungsverfall.

Angela Merkel hat sich mit ihrer Weigerung, deutsches Steuergeld für Griechenlands Rettung herauszurücken, in der EU ziemlich isoliert. Gäbe es konkrete Zusagen, würde der Reformeifer in Athen sofort nachlassen, lautet ihre offizielle Begründung. In Wahrheit aber sind Schäuble und Merkel in dieser Sache so widerspenstig, weil Deutschland als größte Volkswirtschaft mit Eurowährung den größten Kredit bereitstellen müsste - eine entsprechende Zusage käme bei den deutschen Wählern so kurz vor der Nordrhein-Westfalen-Wahl schlecht an.

Auch die Motive derjenigen Länder, die Finanzhilfen für Griechenland befürworten, sind nicht uneigennützig. Spanien, Portugal, Italien und Irland wissen, dass sie schon morgen ebenfalls vor dem Problem stehen könnten, keine bezahlbaren Kredite mehr auf dem Kapitalmarkt zu finden. Und Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker, der Chef der Eurogruppe, fürchtet um den Ruf und den Bestand der Einheitswährung. So streitet in dieser Frage, wie oft in der EU, das Eigeninteresse mit dem Solidaritätsgedanken - und bei näherer Betrachtung ist das eine doch recht eng mit dem anderen verknüpft. Denn wenn fünf der sechzehn Euroländer bankrottgehen, ist die Einheitswährung am Ende. Sie aber wird der Krise und dem globalen Konkurrenzdruck besser standhalten, als D-Mark oder Franc es könnten.

Ein typisch europäischer Kompromiss, der alle Positionen irgendwie berücksichtigt, zeichnet sich inzwischen ab. Der Internationale Währungsfonds soll beteiligt werden, ohne zu viel Einflussmöglichkeiten zu bekommen. Die Mitgliedsstaaten sollen nach ihren Möglichkeiten oder ihrem Anteil am Eurozonen-BIP Kredite bereitstellen, die dann von der EU-Kommission mit einem einheitlichen marktüblichen Zins an Griechenland weitergegeben werden. Die Brüsseler Behörde will sich dabei möglichst viel Einfluss sichern. Vor allem Deutschland warnt aber vor einem Rettungsweg, der die geltenden Verträge überstrapaziert. Dann droht der Bundesregierung eine Schlappe vor dem Bundesverfassungsgericht. Um einen Europäischen Währungsfonds nach dem Muster des IWF zu gründen, müssten die EU-Verträge erneut geändert werden.

Der aktuelle Streit über den besten Weg, Griechenland zu helfen, verdeckt die viel wesentlichere Frage, wie es mit der Eurozone denn nun mittelfristig weitergehen soll. Mit einer Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, wie ihn die Bundeskanzlerin fordert, ist es nicht getan. Spanien hat vorbildlich gewirtschaftet und in guten Zeiten Reserven gebildet. Dennoch steht das Land jetzt vor dem Bankrott, weil es sich zu einseitig auf den Bausektor verlassen hat. Die Branche wurde in den letzten zehn Jahren enorm ausgeweitet, während andere Produktionszweige schrumpften. Die Löhne spanischer Arbeiter sind im Vergleich zu denen in anderen Euroländern im gleichen Zeitraum deutlich gestiegen. Die Vorschriften des Stabilitätspakts - maximal 60 Prozent Staatsschulden und ein Haushaltsdefizit unter 3 Prozent - reichten nicht aus, um diese fatale Entwicklung rechtzeitig absehen und abwenden zu können

Wirkungsloser Stabilitätspakt

Die stark unterschiedliche Lohnentwicklung in den Mitgliedsstaaten führt ebenso wie die unterschiedliche Steuer- und Sozialpolitik zu großen Spannungen in der Eurozone. Natürlich ist es kurzsichtig und populistisch, wenn Frankreichs Finanzministerin Christine Lagarde Deutschland jetzt für genau die Sozialreformen und Exporterfolge tadelt, die vor den Schröder-Reformen von den EU-Nachbarn und der EU-Kommission angemahnt worden waren. Doch auf die Dauer gibt es natürlich Probleme, wenn sich hinter derselben Währung so stark divergierende Wirtschaftsleistungen verbergen.

Die in Brüssel angesiedelte Denkfabrik "Bruegel" hat in ihrer jüngsten Untersuchung darauf aufmerksam gemacht, dass strukturelle Versäumnisse in einigen Euroländern durch die Einheitswährung viel länger verdeckt wurden, als es in einem System freier Wechselkurse hätte geschehen können. Sie fordert, die bestehenden Kontroll- und Koordinationsmöglichkeiten strenger als bisher anzuwenden. So sollen nach Brüssel übermittelte Haushaltsdaten und andere Wirtschaftsindikatoren von der EU-Kommission besser kontrolliert werden. Taschenspielertricks, wie Athen sie mehrfach erfolgreich probierte, wären dann nicht mehr so leicht möglich. Auch solle die Kommission von den im Vertrag vorgesehenen Möglichkeiten der Wirtschaftsüberwachung, der Frühwarnung und der wirtschaftspolitischen Empfehlungen stärker als bisher Gebrauch machen.

Ein frommer Wunsch. Die rechtlichen Möglichkeiten gibt es, die Forderung, sie auch umzusetzen ist so alt wie die Einheitswährung selbst. Doch bislang scheiterte jede weiter reichende Einmischung oder Koordinierung seitens der EU-Kommission am Widerstand der großen Mitgliedsstaaten. Gerade der Bundesregierung ist die Vorstellung unerträglich, dass Brüsseler Bilanzbuchhalter nach Berlin reisen, um die Haushaltszahlen nachzurechnen. In Paris sieht man das ähnlich.

EU-Buchhalter nach Berlin?

Wie stark die Vorbehalte sind, zeigt die Debatte über die Agenda 2020 - die europäische Wachstumsstrategie für die kommenden zehn Jahre. Die EU-Kommission hat fünf messbare Ziele vorgeschlagen, die von jedem Mitgliedsland in nationale Programme übersetzt werden sollen. Nur so könnte man eine neuerliche Pleite wie das Fehlschlagen der Lissabonstrategie vermeiden. Im Entwurf für die Schlusserklärung des heute beginnenden Gipfels, der in Brüssel zirkuliert, sind die klaren Ziele aber schon wieder durch schwammige Formulierungen ersetzt.

Eine Währung ist nur dann mehr wert als das bedruckte Papier, wenn ihr die Gläubiger vertrauen. Nur eine Solidargemeinschaft, die wichtige wirtschaftspolitische Entscheidungen eng untereinander abstimmt, kann dieses Vertrauen aufrechterhalten. Andernfalls drohen astronomische Kreditzinsen, und am Ende kommt der Währungsverfall. Aus ganz egoistischen Gründen also müssen sich die Euroländer in Zukunft gegenseitig mehr in die Wirtschaftspolitik hineinreden, damit keines von ihnen untergeht. DANIELA WEINGÄRTNER

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