Auf dem Wochenmarkt: Kaufen unter freiem Himmel

Einst waren sie Treffpunkt und oft einzige Einkaufsquelle, heute kämpfen sie gegen Shoppingcenter und Bioläden: Wochenmärkte müssen ihre Nische suchen.

Wochenmärkte stehen heute in Konkurrenz zu Supermärkten und Bioläden. Bild: dpa

Samstagmittag ist auf dem Winterfeldtplatz kein Durchkommen. Eltern mit Kindern an der Hand schieben sich zwischen den Marktständen durch, Blumen werden über den Köpfen balanciert, Menschentrauben scharen sich um Bistrotische, Obsttüten an den Füßen. Der Schöneberger Wochenmarkt ist beliebt wie kaum ein anderer in der Stadt. Er ist Einkaufsquelle und sozialer Treffpunkt gleichermaßen - und kommt damit der ursprünglichen Funktion von Märkten nach. Nicht überall sieht es so aus: Kleine Kiezmärkte mit Verkaufstagen unter der Woche kämpfen oft um ihr Bestehen. Überlebenschancen: ungewiss.

"Die Leute kaufen weniger ein, weil sie weniger Geld haben - das hat sich verändert", sagt Thomas Loest. Er verkauft seit mehr als zwei Jahrzehnten Obst und Gemüse auf Märkten, vorwiegend in Charlottenburg. Um zwei Uhr in der Nacht beginnt sein Arbeitstag, es geht zum Großmarkt, mit der Frischware danach zum Markt. Bis zum Feierabend hat er meist deutlich mehr als zwölf Arbeitsstunden hinter sich. Früher habe ihm sein Job mehr Spaß bereitet, erzählt er: "Die Menschen hatten mehr Zeit, sie waren zufriedener." Heute wollten sie schneller bedient werden. Und: Zuerst würden sie nach dem Preis fragen, dann erst entscheiden.

Reich werde man mit dem Beruf nicht, bekennt Loest. "Insgesamt hat man nur eine Chance, wenn man auf Qualität setzt." An Wintertagen wie dem vergangenen Mittwoch bilanziert er am besten gar nicht. Der Wind fegt über den Hohenzollernplatz, die Temperatur liegt deutlich unter null, auf dem Bürgersteig und am Straßenrand häufen sich braune Schneeberge. Jetzt kauft nur ein, wer wirklich etwas braucht.

Thorsten Schulz etwa. Er wohnt um die Ecke, bei Händler Loest kauft er aus Tradition ein. "Die Qualität ist besser als im Supermarkt", sagt er. Der 34-Jährige ergänzt den Einkauf auf dem Markt durch Waren aus dem Supermarkt. Zufallskäufe gibt es nicht - Schulz überlegt vorher, was er möchte.

Loest hat im Prinzip nur Kunden wie Thorsten Schulz - nahezu alle Käufer kommen regelmäßig und wohnen im Umfeld des Hohenzollernplatzes. Montags und donnerstags steht er mit seinem Obst und Gemüse in der Charlottenbrunner Straße, dienstags und freitags am Rüdesheimer Platz, mittwochs und samstags am Hohenzollernplatz. Im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf gibt es 13 kommunale Wochenmärkte, dazu kommt eine Handvoll privater. Berlinweit sind es etwa 120 Märkte. "Sie sind für die lokale Wirtschaftsstruktur auf jeden Fall noch von Bedeutung", sagt Andrea Schulz, die sich bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) mit Wochenmärkten befasst. Doch die Klientel habe sich verändert, bekennt sie. "Früher war der Wochenmarkt für jeden da, heute ist er es nicht mehr." Billiger sei er jedenfalls nicht geworden.

Der Marktverwalter in Charlottenburg-Wilmersdorf sieht noch andere Veränderungen. "Es wird immer schwieriger, überhaupt Händler zu finden, die durchhalten", sagt Joachim Pletz. Der Nachwuchs fehlt. Blieben die ersten Händler weg, entfalte sich eine Sogwirkung: Der Markt verliert an Attraktivität und Vielfalt, die Kunden bleiben aus, der Verkauf lohnt nicht mehr.

Ein Beispiel ist die Mainzer Straße am Bundesplatz: Dort harren an einem lausigen Januardonnerstag zwei Verkäufer von Billigklamotten und 50-Cent-Kurzwaren sowie ein Kartoffelhändler aus. Sicher, in den Wintermonaten sind auch andere Wochenmärkte weniger bestückt als im Restjahr. Aber der Markt an der Mainzer Straße, der sei am Eingehen, sagt Händler Loest vom Hohenzollernplatz. "Heute kann man da nichts mehr verdienen." Schuld ist seiner Meinung nach der Supermarkt am Ende der Straße. Er locke regelmäßig mit Sonderangeboten und ziehe so die Kunden ab.

Ganz so einfach sei das nicht, sagt dazu Pletz vom Bezirk. Seiner Ansicht nach kommt es auf die richtige Angebotsmischung an - Obst und Gemüse müssten da sein, Blumen, Brot, Fleisch und Fisch. Auch das Umfeld muss stimmen. In einer gutbürgerlichen Gegend mit älteren Bewohnern hielten sich traditionelle Wochenmärkte eher als in Gegenden mit vielen Singles oder in Wohnvierteln, die sich rasch verändern.

Käsehändler Abdurrahman Dogan bestätigt das: "Am Hohenzollernplatz gibt es mehr Mittelschicht als im Wedding - hier habe ich die Kunden für meine Waren." Die Menschen im Kiez seien bereit, für Qualität zu bezahlen. Dogan arbeitet seit zehn Jahren selbstständig. Wie sein Kollege Loest sagt er, dass sich das Kaufverhalten nach der Euroeinführung geändert habe: "Früher kamen die Masseneinkäufer, heute kommen die Menschen aus Idealismus und kaufen weniger." Dogan hat 120 Käsesorten im Angebot; früher waren es weniger, doch die Bestellung insgesamt war größer.

Ein gesunder Angebotsmix also, Qualität - und die entsprechende Werbung dafür - scheinen den Erfolg von Wochenmärkten auszumachen. Das stellte auch die IHK bei einer Tagung fest. Mit Logos und Aktionsangeboten auch für die Folgetage könnten Kunden dauerhaft gebunden werden. Marktverwalter Pletz hat zudem festgestellt, dass sich auch eine Spezialisierung lohnt: Der Karl-August-Platz etwa gehört heute zu den beliebtesten Marktorten im Bezirk. Das war nicht immer so - zwischenzeitlich drohte der Markt zu verblassen, an Profil zu verlieren. Pletz und seine Kollegen warben Spezialitätenhändler an. Nun werden am Karl-August-Platz besondere Weine angeboten und österreichischer Fisch, je nach Jahreszeit auch Pilze. "Der Markt definiert sich über Sachen, die man nur dort findet."

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