Hauptstadt der Elektroautos: Ganz leise an die Spitze gefahren

Berlin wird zur Hauptstadt der Elektroautos: Drei Pilotprojekte laufen oder sind geplant. Wissenschaftler üben trotzdem Kritik: Das gesamte Verkehrsverhalten müsse sich ändern.

Besitzer eines Elektroautos tanken bitte hier. Bild: ap, Thomas Kienzle

Noch ist die Ladestation recht verwaist an der Friedrichstraße. Zwar staut sich der Verkehr wie eh und je an der Kreuzung zur Leipziger Straße - doch kaum ein Elektroauto schert aus, um sich frischen Saft an der blauen Vattenfall-Säule zu holen, für die ein Eckparkplatz reserviert ist. Das soll sich in absehbarer Zeit ändern: Drei Pilotprojekte, bei denen Energiekonzerne mit Autounternehmen kooperieren, sind im Stadtgebiet geplant beziehungsweise gestartet. "Berlin ist als Leitmarkt für Elektromobilität attraktiv", sagt die Ökonomin Claudia Kemfert. Zwar seien die hier angesiedelten Unternehmen nicht unbedingt vorn bei der Technik. Aber die Vernetzung von Forschung, Politik und Praxis funktioniere in Berlin so gut wie in fast keiner anderen europäischen Hauptstadt, so die Expertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung bei einer Berliner Konferenz.

Auf Initiative des Vattenfall-Konzerns und von BMW erproben seit dem Frühsommer 50 Autofahrer strombetriebene Mini-Kleinwagen; Ziel dürfte vor allem ein Test für die Akku-Technik sein. Vattenfall stellt die Infrastruktur; registrierte Nutzer können ihre Batterien an den Ladesäulen für 23 Cent pro Kilowattstunde "auftanken". Der Mini etwa fasst 35 Kilowattstunden - macht einen Volltank-Preis von gut acht Euro. Auch andere registrierte Elektroautos dürfen dort tanken.

RWE und Daimler wollen einen ähnlichen Versuch mit Smart-Wagen im Frühjahr starten. Und auch der Eon-Konzern und Volkswagen planen eine Kooperation, und zwar mit dem Hybrid-Golf. RWE hat im Stadtgebiet bislang etwa 60 Ladesäulen aufgestellt, 500 sollen es werden. "Wir glauben, dass dieses Geschäftsfeld große Zukunftschancen hat", sagt Unternehmenssprecher Harald Fletcher.

Die Vorteile des Feldversuchs lägen darin, dass Autofahrer unkompliziert an Strom aus Erneuerbaren Energien kämen. Der Konzern investiert dem Sprecher zufolge eine Milliarde Euro jährlich in Ökostrom - das Berliner Projekt sei eines der Schwergewichte. Und findet in der Hauptstadt wohl auch die gewünschte Beachtung - wie der Daimler-Mini, der bei der Berliner Wirtschaftskonferenz im November medienwirksam vor dem Roten Rathaus platziert wurde.

Dass sich Berlin als Versuchsort eignet, sagen auch Verkehrsforscher. Nicht nur die Nähe zu Politik und Lobbyisten sei entscheidend: "Der Problemdruck ist hier am geringsten", sagt Oliver Schwedes von der Technischen Universität (TU). Er begleitet den Modellversuch von RWE und Daimler mit einer Nutzeranalyse. Der öffentliche Nahverkehr sei gut ausgebaut, das Zusammenspiel von Elektroautos mit anderen Verkehrsmitteln könne wirksam erprobt werden.

Schwedes sieht die Beliebtheit des Forschungsfelds insgesamt jedoch kritisch. "Es wird nur die Technik verändert, nicht aber das Verhalten", sagt er. Seiner Ansicht nach ist der Klimawandel nur zu bewältigen, wenn die Menschen ihre Mobilitätsmuster änderten - ein Routinebruch muss her. "Man muss wegkommen von den bisherigen Verkehrslogiken", sagt Schwedes. Wenn zwei Drittel der Kohlendioxidproduktion bei der Herstellung von Autos entstehen, hilft es wenig, nur die Technik zu ändern: Die Zahl der Autos muss abnehmen.

Schwedes und die Mitarbeiter am Institut für integrierte Verkehrsplanung träumen von einem öffentlichen Elektroauto, das die bisherigen Muster revolutioniert: "Unsere Vision ist, dass keiner mehr ein Privatauto braucht." Die Autos sollen frei verfügbar im Raum stehen, möglichst mit einem noch einfacheren System als Call-a-bike von der Deutschen Bahn: Wer spontan ein Auto braucht, geht auf die Straße und nimmt sich das nächste. Die Wagen könnten mit Mobiltelefonen aufgespürt werden. Das Ortungssystem dürfte auch potenziellen Autodieben ihr Handwerk erschweren.

Die Wissenschaftler wollen vor allem Autofahrer ansprechen, die dem öffentlichen Nahverkehr aufgeschlossen gegenüber stehen und bereit sind, Auto mit Bus oder Bahn zu kombinieren. Etwa 3 Prozent der Bevölkerung gehören Schätzungen zufolge zu dieser Gruppe. "Wenn es gelingen würde, durch attraktive Angebote diese 3 Prozent für den öffentlichen Verkehr zu gewinnen, müsste dieser seine Kapazitäten deutlich ausbauen", ist sich Schwedes sicher.

Damit wäre ein Schritt in Richtung Nachhaltigkeit getan - im Gegensatz zu laufenden Mobilitätsprojekten. In Ulm etwa hat Daimler Smart-Wagen bereitgestellt, die für registrierte Nutzer wie ein öffentliches Auto funktionieren. Sie können nach Bedarf benutzt und am Zielort abgestellt werden. "Unserer Ansicht nach fördert das eher noch den Verkehr, weil viele das Angebot für eine Spritztour oder andere Extrafahrten nehmen", sagt Schwedes.

Noch sucht die TU nach einem Versuchsviertel für die öffentlichen Autos. Schwedes denkt an die geplante Europa-City nördlich des Hauptbahnhofs. "Man könnte von vornherein die geeignete Infrastruktur aufbauen, etwa entsprechende Parkplätze für die Ladestationen einplanen und die Netzstrukturen für Elektromobilität schaffen", sagt er. So könnten Nutzungskonflikte von vornherein vermieden werden. Klar bleibt dabei: Die Funktionen eines herkömmlichen Autos wird das Elektroauto nicht erfüllen können. Die Reichweite ist begrenzt. "Aber genau hier brauchen wir ja ein radikales Umdenken", sagt der TU-Forscher Schwedes: kurze Fahrten mit dem Elektroauto, für längere Fahrten Bus und Bahn miteinplanen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.