Erste Sitzung des neuen EU-Parlaments: Ein Pole für Europa

Am Dienstag hat sich das neue EU-Parlament konstituiert. Erstmals wurde ein Osteuropäer zu seinem Präsidenten gewählt: der Pole Jerzy Buzek.

Seine Wahl gilt als Symbol für das Zusammenwachsen von Ost und West: Jerzy Buzek. Bild: reuters

Als der würdige, weißhaarige Jerzy Buzek am Dienstag nach seiner Wahl zum Präsidenten des Europäischen Parlaments die Glückwünsche entgegennahm, ruhte für einen Augenblick der politische Streit. Sein Parteifreund und Chef der konservativen Fraktion EVP, Joseph Daul, erklärte gerührt, nun seien Ost und West endlich zusammengewachsen, die Einheit Europas vollendet. Martin Schulz von den Sozialisten (S & D) beschwor den "historischen Moment", in dem ein Solidarnosc-Mitgründer Vorsitzender des Hohen Hauses werde. Die Grüne Rebecca Harms lud Buzek ein, bei der von der Ukraine und Polen gemeinsam ausgerichteten Fußballeuropameisterschaft zusammen ein paar Spiele zu besuchen.

Lothar Bisky von der Linkspartei verwies auf seinen Wahlkreis an der polnischen Grenze und erwähnte stolz, dass zwei seiner Söhne Polnisch gelernt hätten. Die Linke hatte die einzige Gegenkandidatin ins Rennen geschickt, die Schwedin Eva-Britt Svensson, die nur 89 Stimmen erhielt. Buzek wurde von 555 der 713 anwesenden Abgeordneten gewählt. Zuvor hatten Konservative und Sozialisten wie schon zu Beginn der letzten Legislaturperiode ein "technisches Abkommen" geschlossen. Es beinhaltet, dass die beiden größten Parteien jeweils die halbe Legislaturperiode den Posten des Parlamentspräsidenten stellen. Mit einer ähnlichen Absprache hatten sie 2004 die Wahl des liberalen polnischen Bürgerrechtlers Bronislaw Geremek zum Parlamentspräsidenten verhindert. Andernfalls hätte der "historische Moment" wiedergefundener europäischer Einheit, den Martin Schulz nun beschwört, schon fünf Jahre früher gefeiert werden können.

Sogar Timothy Kirkhope, Vorsitzender der neuen "Konservativen und Reformisten", die sich von der größten Fraktion EVP abgespalten haben, versprach Buzek gute Zusammenarbeit. Erst Nigel Farage von der antieuropäisch eingestellten Fraktion "Europa der Freiheit und Demokratie" beendete den Schmusekurs. Er wetterte dagegen, dass die neue Sitzungsperiode mit Europahymne und "Fahnenappell" begonnen habe. "Sie verfolgen offen die Aufwertung der Union zum Bundesstaat. Die Zukunft der europäischen Demokratie lastet nun schwer auf den Schultern der irischen Wähler!"

Damit spielt Farage auf das Referendum zum Lissabon-Vertrag an, das am 2. Oktober zum zweiten Mal abgehalten werden soll. Die Umsetzung des Vertrags von Lissabon nennt der neue Parlamentspräsident Buzek als das übergeordnete Ziel einer Amtszeit. Mit dem irischen Europapolitiker Pat Cox werde er nach Irland reisen, um für den Vertrag zu werben. An zweiter Stelle stehe die Energiesicherheit und die Klimakonferenz in Kopenhagen im Dezember. "Wir möchten in den Klimaverhandlungen erfolgreich sein. Wir sollten aber nicht allein kämpfen, sondern Amerikaner, Chinesen und Japaner mit ins Boot holen."

Zu der Frage, wie er zu den Kohlekraftwerken in seinem Land stehe, die stark zur Luftverschmutzung beitragen, sagte Buzek vergangene Woche in Brüssel: "Vor zwanzig Jahren hatte jedes Land den Energiemix, den es wollte. Wer sich damals für Atomkraftwerke entschied, bekommt heute keine Probleme mit der Klimapolitik. Deshalb brauchen wir Übergangsfristen, damit Länder wie Polen sich anpassen können." Das Abschiedsgeschenk, das Buzek seinem Vorgänger Hans-Gert Pöttering überreichte, kann also als politische Botschaft verstanden werden: eine aus einem einzigen Stück Kohle gefertigte Statue der Heiligen Barbara.

Als weitere Schwerpunkte seiner Arbeit bezeichnet Buzek die Bewältigung der Wirtschaftskrise und die Herausforderungen, die durch legale und illegale Einwanderung entstehen. Um die europäische Politik in diesen Bereichen mehr mitgestalten zu können, sei die Umsetzung des Lissabon-Vertrags der Schlüssel. Schluss sein müsse mit der Praxis, immer mehr Gesetze in erster Lesung durchs Parlament zu treiben und damit die demokratischen Mitspracherechte zu beschneiden.

Dass Manuel Barroso im September erneut zum Kommissionspräsidenten gewählt wird, wird mit jedem Tag unwahrscheinlicher. Zwar weicht S-&-D-Chef Martin Schulz der Frage aus, unter welchen Bedingungen seine Fraktion den Kandidaten der Konservativen mitwählen würde. Doch die Wahl ist geheim, und immer mehr Abgeordnete empfinden die Postengier des Portugiesen als abstoßend. Daniel Cohn-Bendit hat am Dienstag die Debatte mit neuen Personalideen belebt. Da Barroso ja ohnehin den Regierungen nach dem Munde rede, solle er doch Ratspräsident werden - ein Posten, der im Lissabon-Vertrag neu geschaffen wird. "Dieser Ratspräsident ist doch, wenn Sie einen Herrn Sarkozy und eine Frau Merkel im Rat haben, ohnehin nur ein Frühstücksdirektor!" Neuer Kommissionspräsident solle Chris Patten werden, der Exgouverneur von Hongkong. Er sei nicht abgeneigt. Den 369 Neulingen und den 367 Rückkehrern im EU-Parlament dürfte es so in den nächsten Wochen nicht langweilig werden.

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