Buchautorin Graw über den Kunstbetrieb: "Fluchtpunkt aller Interessen"

In ihrer Neuerscheinung "Der große Preis" untersucht Isabelle Graw das veränderte Verhältnis von Kunst und Markt. Ein Gespräch über Handlungsspielräume und Definitionen im Kunstbetrieb.

"Warhol ist der markreflexive Künstler par excellence." Bild: dpa

taz: Frau Graw, in den letzten Jahren schien es, als seien die teuersten auch die bedeutendsten Kunstwerke. Erübrigte das nicht jedes Gespräch über Kunst?

Isabelle Graw: Mit Bourdieu gehe ich ja davon aus, dass sich das Kunstwerk in einen Markt- und einen Symbolwert aufspaltet. In dem eben zu Ende gegangenen Kunstboom der letzten zehn Jahre ist es zu einer Situation gekommen, in der der Marktwert des Kunstwerks tendenziell mit seinem Symbolwert gleichgesetzt, respektive verwechselt wurde. Das zeigte sich etwa daran, dass es tatsächlich sehr verbreitet war, Artikel über einen Künstler wie Andreas Gursky mit Hinweisen auf seinen jüngsten Auktionsrekord zu versehen. Als ob dieser Auktionsrekord gleichbedeutend sei mit einer künstlerischen Leistung.

So wie der Marktwert dazu imstande war, kurzfristig Symbolwert zu generieren, ist er doch langfristig auf andere Beglaubigungsinstanzen angewiesen. Nur der Glaube an eine nicht in Preisen bezifferbare symbolische Bedeutung vermag den Marktwert dauerhaft zu legitimieren. Dieser Symbolwert wird von Kunstgeschichte, Kunstkritik, Museen, Ausstellungen, Kuratoren etc. produziert, respektive in dem hier gepflegten Kommunikationsprozess ermittelt. Das Gespräch über Kunst erübrigt sich keineswegs - ganz im Gegenteil trägt es maßgeblich zu dem bei, was ich Wertbildungsprozess nenne. Allerdings ohne dass dies das primäre Ziel wäre.

Müsste dem Symbolwert heute nicht eine besonders hohe Bedeutung zukommen, wo wir uns als Wissensgesellschaft definieren?

Das ist eines der vielen Paradoxa, mit denen ich mich herumgeschlagen habe. Einerseits kann man feststellen, dass der Kunstbetrieb der Prototyp einer Wissensgesellschaft ist, weil hier auf geradezu paradigmatische Art und Weise kulturelles Kapital angehäuft und potenziell in ökonomisches verwandelt wird. Allerdings sind die Kriterien, für das, was in einer Wissensgesellschaft für der Rede wert erklärt wird, nie rein ökonomische.

Idealtypisch wird ja nicht nur das Wissen bezahlt, das ökonomisch sofort verwertbar ist. Andererseits war in den letzten Jahren im Kunstbetrieb eine Ökonomisierung noch der vormals als marktfern geltenden Bereiche zu konstatieren - Museen mutierten zu Unternehmen, Kunstakademien wurden evaluiert etc. Zwischen diesen beiden Polen setzt meine Untersuchung an, denn schon im Begriff Kunstmarkt vermittelt sich ja dieses Spannungsverhältnis. Der Kunstbereich ist insofern Wissensgesellschaft avant la lettre, weil hier Wissen immer schon marktförmig gemacht wurde. Vielleicht wurde der Kunstbereich deshalb in den letzten Jahren ein Fluchtpunkt für alle möglichen gesellschaftlichen Interessen und Hoffnungen, weil hier Verhältnisse anzutreffen waren, die sich verallgemeinert haben.

Und dann hat die Wissensgesellschaft im Kunstbetrieb sicher einen attraktiveren Auftritt als etwa in der Kernphysik?

In der Tat. Die Kunstwelt verfügt über das, was ich mit Urs Staehli als "attraktive Inklusionsmodi" bezeichne - opulente Partys, Glamourversprechen, transgressive Praktiken etc.

Bei Isabelle Graws Neuveröffentlichung "Der große Preis. Kunst zwischen Markt und Celebrity Culture" (DuMont Buchverlag, Köln 2008, 255 Seiten, 19,90 Euro), handelt es sich nicht um eine der zuletzt vielfach auf den - ja - Markt geworfenen und gerne mit dem Stichwort Insider beworbenen Abrechnungen mit dem Kunstbetrieb. Vielmehr stellt die Kunstkritkerin und Herausgeberin von Texte zur Kunst einen soliden kunstsoziologischen Essay zum grundlegenden Strukturwandel des Verhältnisses von Kunst und Markt vor.

Nach Graw, die an der Frankfurter Städel-Schule unterrichtet, wo sie dem diesjährigen Leiter der Biennale von Venedig, Daniel Birnbaum, das Institut für Kunstkritik gründete, hat sich der mittelständisch organisierte Kunstmarkt inzwischen zu einer visuellen Industrie entwickelt, zu der börsennotierte Galerieketten und Auktionshäuser, ein professionelles Eventmarketing und Celebritys gehören, aber auch das vermeintlich ganz andere - die akademische und kunstinstitutionelle Theorieproduktion.

Der Glaube an ein Außerhalb des Marktes ist eines seiner effektivsten Marketinginstrumente, zu dem sich nur der marktreflexive Künstler ins Verhältnis setzt, der nicht naiv mitspielt.

Hat die Kunst Mittel, dem Markt Grenzen zu setzen? Außer der, wie Sie es nennen, marktphobischen Neigung - zumal unter markterfolgreichen Akteuren -, die Bedeutung des Marktgeschehens für das eigene Tun auszublenden?

Ja, die Kunst hat durchaus die Möglichkeit, sich zu den Marktbedingungen, von denen sie selbst geprägt ist, ins Verhältnis zu setzen und sie zu verhandeln. Da kommt die marktreflexive Geste, wie ich es nenne, ins Spiel. Damit meine ich jene Gesten, die deutlich machen, dass man von der eigenen Teilhabe in bestimmten Bereichen des Marktgeschehens ausgeht und sich als per se kompromittiert begreift, wenn man so will. Um sich dann auf dieser Basis nicht sämtliche Bedingungen vom Markt diktieren zu lassen. Das erörtere ich dann an ausgewählten Beispielen, die auch meinen eigenen Präferenzen entsprungen sind, angefangen bei Gustave Courbet bis hin zu Andrea Fraser. Vor allem Courbet und Warhol sind meine Gewährsmänner der Marktreflexion.

Und Andy Warhol beobachtet - und begrüßt - dann auch schon das Aufkommen der Celebrity Culture, von der Sie sprechen?

Warhol ist der markreflexive Künstler par excellence schon wegen der Art und Weise, in der sein Werk selbst die Kunst-Geld-Analogie auf die Spitze treibt. Man denke daran, dass der erste Gegenstand seiner Siebdruckbilder nicht ohne Grund die Dollar-Note war. Dann hat er sich ganz ostentativ zum commercial artist stilisiert und sich damit klar vom Selbstbild des Künstlers als artiste maudit oder als Underground-Künstler abgegrenzt.

Er ergriff gleichsam die Flucht nach vorn, indem er die Vorurteile, die man eh gegen ihn hatte, als ehemaligen Designer der Fashion Industrie, auf überzogene Weise bestätigte. Und tatsächlich muss man ihn als Praktiker und Theoretiker der Celebrity-Kultur bezeichnen, sowohl was die Motive seiner frühen Porträts betrifft, bei denen es sich um Filmstars handelte, als auch was seine eigene Selbststilisierung als Celebrity Artist angeht.

Was hat Sie bewegt, die Celebrity-Kultur in Zusammenhang mit der Entwicklung zu sehen, dass vormals als privat Geltendes wie Körper, Gesundheit, Aussehen oder Freundschaften inzwischen einem ökonomischen Optimierungsdruck unterliegen?

Es fällt auf, dass in der Celebrity-Kultur einzelne Individuen herausgegriffen und dafür bewundert und belohnt werden, dass sie ihr medial inszeniertes Leben erfolgreich zu Markte tragen. Ihr Leben, und nicht etwa ihr Produkt oder ihre Leistung wohlgemerkt. In der Celebrity-Kultur zeigt sich eine Gesellschaftsform, die es nicht nur akzeptiert, sondern akklamiert, dass heute selbst das Privatleben profitabel vermarktet werden kann. Warhol ist der Künstler, der diesen Umschlag von der Leistungsgesellschaft zur Celebrity-Kultur in seinen Arbeiten schon sehr früh verhandelt hat.

Hat er dieser Entwicklung nicht auch Vorschub geleistet? Mit seinen Superstars, die anders als Filmstars, einen Lifestyle, genauer gesagt sogar einen Underground-Lifestyle zu Markte trugen?

Er ist immer eine Art Doppelstrategie gefahren. Man machte es sich zu einfach, wenn man ihn nur als marktkonformen Künstler bezeichnet, wie es jetzt in der Ausstellung "Celebrities. Andy Warhol und die Stars" im Hamburger Bahnhof geschah. In dem gleichen Maße, in dem er seinen Ruf als ernst zu nehmender Galerieweltkünstler durch das Frequentieren einer queeren, transgressiven, Drogen konsumierenden Underground-Szene gefährdet hat, griff er das Phänomen Celebrity auf, um seine eigenen Underground-Celebrities zu produzieren, die nach ganz anderen Kriterien funktionierten und von der heterosexuellen Matrix des Hollywoodstars durchaus abwichen. Dabei finde ich es ganz wichtig, dass Warhol sich von der Erbarmungslosigkeit, mit der die Celebrity Culture operiert und allein nach dem äußeren Erscheinungsbild selektiert, nicht ausgenommen hat. Er hat sie persönlich auf sich genommen und praktiziert.

Seitdem sich die Herbstauktionen als ökonomisches Desaster erwiesen, ist die Berichterstattung in der Lifestylepresse über bildende Kunst komplett eingebrochen. Ist das das Ende der Verbindung Kunst und Celebrity?

Nun ja, die offizielle Verlautbarung des Auktionshauses Sothebys geht dahin, dank der stark gefallenen Preise jetzt wieder die wahren Kunstkenner dieser Welt willkommen zu heißen. In einer Videobotschaft heißt es jetzt, der Name des Künstlers allein sei nicht mehr ausschlaggebend, es gehe vielmehr wieder um das Werk selbst. Das ist natürlich Heuchelei und signalisiert einen Rückfall in jenen naiven Idealismus, der die Triebfeder der Vermarktung ist.

Die Vorstellung einer "Kunst an sich" ist ohnehin irreführend, da dem Begriff Kunst, der ja ein Wertbegriff ist, eine evaluierende - sprich ökonomische - Dimension innewohnt. Wenn die Marktkomponente wegfällt, steht gewissermaßen auch der Kunstbegriff selbst zur Disposition. So real und bedrohlich der Einbruch des Kunstmarkts auch ist, ich sehe in der jetzigen Hysterie die Fortsetzung der Boomhysterie, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Aber der Stellenwert der bildenden Kunst als populärster Wachstumsbranche, als Nummer eins auf der kulturellen Werteskala, das ist auf lange Zeit hin vorbei.

Könnten, mit nachlassendem ökonomischem Druck, die schwierigeren, weniger gut verkäuflichen konzeptuellen Positionen wieder mehr ins Spiel kommen?

Überhaupt nicht. Ich glaube nicht an die heilenden Kräfte des Marktes oder an das vielbeschworene Szenario, dass sich jetzt die Spreu vom Weizen trennen würde. Es ist für niemanden gut, dass sich im Moment nichts verkauft. Schon gar nicht für die Künstler, die konzeptuell arbeiten. Es steht vielmehr zu befürchten, dass sich der kommerzielle Kunstmarkt in Krisenzeiten eher auf eindeutige Narrationen kapriziert und das konservative Prinzip Meisterwerk eine neue Konjunktur erfährt.

Wie bewährt sich die Netzwerkgesellschaft, als die sich, wie Sie in Ihrem Buch sagen, die Gesellschaft heute begreift, in dieser Krise?

Ich neige einem pessimistischen Szenario zu, demzufolge der instrumentelle Zug der sozialen Beziehungen noch zunimmt. Denn das Novum dieser Kunstmarktkrise besteht ja darin, dass es keinen Bereich gibt, der ausgenommen ist. In der letzten Rezession, die ich erlebt habe, 1990/91, fungierte der institutionelle Bereich als eine Art Auffangbecken. Das ist jetzt anders. Die Institutionen vor allem in Amerika sind auch von der Krise erfasst, das heißt, es wird eng und jeder muss sehen, wo er bleibt.

Sofern die Krise auch neue Chancen eröffnen kann, wo müssten sie nach Ihren Analysen zu finden sein?

Kunstmarktkrisen sind immer die große Stunde der Kritik gewesen, das gilt auch jetzt. Denn Kunstkritik und auch Kunstgeschichte sind ja diejenigen Instanzen, die künstlerische Bedeutung auf einer anderen Ebene als der des Marktes beglaubigen. Je mehr die Spekulation auf den Marktwert der Kunst schwindet, desto gefragter sind diese Instanzen, und das finde ich natürlich ganz eigennützig gut.

Damit kommen wieder andere Kriterien ins Spiel und es können Neubewertungen und Überprüfungen stattfinden. Allerdings sollte man nicht der Hoffnung erliegen, dass die Ergebnisse dieses Prozesses dann so ausfallen werden, dass man in Jubel ausbricht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.