Schwuler Bürgermeister über Diskriminierung: "Ich spüre Pseudo-Liberalität"

Wolfgang Erichson wollte als Heidelberger Bürgermeister für Gleichberechtigung sorgen. Jetzt verklagt der Homosexuelle seine eigene Stadt. Ein Gespräch über seinen Grundsatzkampf.

Erichson (re.) ist mit einem Mann verheiratet - und bekommt trotzdem keinen Ehegattenzuschlag. Dagegen klagt er jetzt. Bild: dpa

taz: Herr Erichson, Sie verklagen als Bürgermeister Ihren eigenen Arbeitgeber, die Stadt Heidelberg. Sind Sie sauer oder wütend, dass Ihnen der Ehegattenzuschlag für Ihren Mann verweigert wird?

Wolfgang Erichson: Nein. Weder noch. Ich wusste, worauf ich mich einlasse. Wenn der Bürgermeister für Chancengleichheit nicht gegen diese Ungleichbehandlung eintritt, wer sollte es dann tun? Ich wollte mit dem Thema ganz bewusst an die Öffentlichkeit. Außerdem ist die Stadt nicht schuld. Sie hat durch das Finanzministerium Baden-Württemberg ausdrücklich die Anweisung bekommen, den Ehegattenzuschlag nicht zu zahlen. Da ich nicht direkt das Land Baden-Württemberg verklagen kann, muss ich es über den Weg der Klage beim Verwaltungsgericht Karlsruhe gegen meinen Arbeitgeber, die Stadt, machen.

Die Landesregierung beruft sich auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Das argumentiert, die Unterhaltszahlungen seien für Kinder gedacht.

Genau. Es geht vom klassischen alten deutschen Familienbild aus: Papi arbeitet und Mami bleibt zu Hause und erzieht die Kinder. Dieser Mehraufwand wird bezahlt. Das Schizophrene daran ist: Würde sich mein Ehegatte wie eine treu sorgende Ehefrau verhalten, aufhören zu arbeiten und sich um den Haushalt kümmern, wäre er bedürftig. Dann wäre ich unterhaltspflichtig und würde den Ehegattenzuschlag bekommen.

Wie ist es bei nichtgleichgeschlechtlichen Partnerschaften?

Der Heterobeamte bekommt den Zuschlag immer. Egal, ob seine Ehefrau bedürftig ist, egal ob Kinder da sind, das spielt alles keine Rolle. Die Kinderbegründung hat man benutzt, um den Anspruch bei den gleichgeschlechtlichen Partnerschaften auszuhebeln. Wobei das auch Schwachsinn ist, weil es in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften natürlich auch Kinder gibt.

Haben Sie selbst im Finanzministerium vorgesprochen?

Warum sollte ich? Ich halte mich an den Dienstweg. Auf politischer Ebene haben SPD und Grüne im Landtag die Regierung aufgefordert, es wie in Hamburg, Berlin, Brandenburg oder Sachsen-Anhalt zu machen, in denen auch gezahlt wird. Hessen, Bayern, Thüringen oder Sachsen zahlen dagegen auch nicht. Ich ziehe zur Not bis zum Europäischen Gerichtshof.

Sein Privatleben: Wolfgang Erichson wurde am 5. August 1955 in Berlin geboren. Er studierte an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege und schloss 1979 als Diplomverwaltungswirt ab.

Seine politische Karriere: Seit 1995 ist Erichson Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen. Im Jahr 2007 wurde er als Bürgermeister für Integration, Chancengleichheit und Bürgerdienste in Heidelberg bestimmt. Zuvor machte er Karriere in der Senatsverwaltung Berlin und war unter anderem Leiter der zentralen Stelle für Asylbewerber.

Sein Coming-out: Erichson hatte sein Coming-out Mitte der 70er, erst mit 30. Vorher war er mit einer Frau verheiratet. Seit einem halben Jahr ist er mit dem 43-jährigen Schlosser Bertold Quast zusammen.

Der hat in einem Urteil zur Antidiskriminierungsrichtlinie eigentlich schon in Ihrem Sinne entscheiden.

Die Rechtslage ist außerordentlich diffus, weil der Beschluss des Europäischen Gerichtshofes dem des Verfassungsgerichts widerspricht. Der sagte 2007: Wenn vergleichbares Arbeitsentgelt nicht gezahlt wird, ist das diskriminierend.

In dem Urteil ging es aber um Witwenrente.

Es ging um beides. Sobald der Staat durch den Ehegattenzuschlag die gleichgeschlechtliche Partnerschaft anerkennt, erkennt er den Unterhaltsanspruch meines Partners an. Dann muss er auch Hinterbliebenenvorsorge zahlen. Wenn ich morgen sterben würde, bekäme mein Gatte gar nichts, weil er beamtenrechtlich ein mir wildfremder Mensch ist.

Muss sich das BVG nicht automatisch an den Europäischen Gerichtshof halten?

Der Europäische Gerichtshof hat sein Urteil für alle Instanzen der Bundesrepublik Deutschland für bindend erklärt. Weil die Richtlinie zum 3. Dezember 2003 hätte umgesetzt werden müssen, setzte er das Urteil rückwirkend in Kraft. Das heißt, der Anspruch auf Ehegattenzuschlag für gleichgeschlechtliche Partnerschaften besteht seit diesem Tag. Das hat Berlin veranlasst, als einziges Land rückwirkend zu zahlen.

Mit welchem Argument lehnt das BVG das Urteil ab?

Zum Zeitpunkt seiner Entscheidung gab es das EuGH-Urteil noch nicht. Jetzt geht alles wieder in den unteren Instanzen los. Zudem hat der Bund im Dezember 2007 das Unterhaltsrecht geändert und gleichgeschlechtliche Partnerschaften der Ehe vollkommen gleichgestellt. Ich habe also die Pflicht, Unterhalt für meinen Mann zu zahlen. Meine Argumentation ist: Wenn der Staat mich bei den Pflichten gleichstellt, muss er mich auch bei den Rechten gleichstellen.

Bekommen Sie in Heidelberg eigentlich Zuspruch für Ihren Grundsatzkampf?

Unterschiedlich. Ich bekomme die üblichen hasserfüllten homophoben E-Mails, aber auch viel Zustimmung. Das hält sich die Waage.

Was müssen Sie sich anhören?

Dass die Leute das alles unmöglich finden, ich solle als Schwuler für mich leben, man hätte keine Lust, meinen Lebenswandel zu finanzieren. Schlimm genug, dass ich schwul sei, ich müsse es auch noch jedem auf die Nase binden. Da gibt es auch einiges nicht Druckreifes. Alles anonym.

Haben Sie mal befürchtet, dass Ihre Homosexualität für Ihr öffentliches Amt ein Problem sein könnte?

Nein. Ich habe das in meiner Bewerbung immer offen kommuniziert. Diskriminierend finde ich das nicht, ein Heterosexueller gibt ja auch an, ob er verheiratet oder geschieden ist. So weit sind wir immerhin schon: Man muss sich nicht verstecken.

Haben Sie das Gefühl, in Heidelberg kann man seine Homosexualität ausleben?

Ich spüre keine Unterdrückung, aber eine gewisse Pseudoliberalität: "Ich kenne auch einen Schwulen, die sind ja auch ganz nett, aber sollen es doch bitte für sich behalten." Sich als schwuler Mann so extrem in die Öffentlichkeit zu begeben, das wird nicht gern gesehen. Aus der Stadt selbst kommt allerdings wenig Negatives. Bei öffentlichen Auftritten trete ich ganz normal und selbstbewusst mit meinem Mann an meiner Seite auf. Das ist die einzige richtige Art, es zu tun. Ich bin ein Jahr im Amt, da hat wie bei Wowereit eine Gewöhnung eingesetzt. Wahrscheinlich, weil ich von Anfang an offen war. Ich habe daraus nie ein Hehl gemacht. Es regt in Heidelberg niemand mehr auf.

Sie waren früher in Berlin bei der CDU und jetzt in Baden-Württemberg bei den Grünen. Hat das was mit Ihrer Homosexualität zu tun?

Ich war bis 1975 bei der CDU, eine Jugendsünde. Ausgetreten bin ich wegen eines korrupten Baustadtrats aus Berlin-Charlottenburg. Zu dem Zeitpunkt war ich heterosexuell und verheiratet. Erst 1995 bin ich bei den Grünen in Berlin eingetreten, das hat von den Themen her gepasst.

Sie waren erst verheiratet?

In der damaligen Situation war der Druck der Familie groß, dem klassischen Bild zu entsprechen. Das habe ich versucht. Erst Mitte der 70er Jahre, mit 30 Jahren, hatte ich mein Coming-out. Das hatte damit zu tun, dass Homosexualität sichtbarer wurde. Früher konnte man mit niemand reden und nirgends hingehen. Heute hat ein junger Mensch ganz andere Möglichkeiten, es gibt schwule Bars und Beratungsprojekte, schwule Politiker, die öffentlich auftreten.

Was hat Sie schließlich in den Süden gezogen?

Ich habe mich auf eine bundesweite Ausschreibung der Grünen beworben, die hatten das Vorschlagsrecht für den Posten. Das Dezernat für Integration, Chancengleichheit und Bürgerdienste fand ich besonders spannend, schließlich habe ich im Berlin der 80er-Jahre Selbsthilfegruppen für Schwule wie Mann-O-Meter mit gegründet. Als schwuler Bürgermeister in einer baden-württembergischen Stadt, das ist schon was. Da kann man noch Aufbauarbeit leisten.

Sie hatten im ersten Wahlgang im Gemeinderat vier Gegenkandidaten, im zweiten noch einen. Dachten Sie, Ihre Wahl könnte an Ihrer Homosexualität scheitern?

Ich wusste, es könnte ein Problem sein. Weil ich es aber gleich gesagt habe, habe ich dem die Spitze abgebrochen. Es ist wie früher bei den Frauen: Man muss eben doppelt so gut sein wie die Mitbewerber, damit die Homosexualität kein Totschlagargument ist.

Sollten Sie das Verfahren gewinnen, was wäre der nächste Schritt für mehr Gleichstellung?

Was ich tun kann, mache ich hier. Ich habe zum Beispiel die Gebühren für gleichgeschlechtliche Partnerschaften denen der Ehen angepasst. Die sind nämlich in Baden-Württemberg höher, mit der Begründung, es gibt weniger davon, also sei der Verwaltungsaufwand höher. Das ist die ganz subtile, kleine Diskriminierung im Alltag. Langfristig ist mein Ziel, dass Baden-Württemberg Homosexuelle auch im Steuer- und Beamtenrecht völlig gleichgestellt. Den Ehegattenzuschlag und das Ehegattensplitting sollte man eigentlich völlig abschaffen. Geben wir das Geld doch für Familien mit Kindern aus, egal ob es homosexuelle, heterosexuelle oder Patchworkfamilien sind.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.