Heiner Geißler über den Fall Clement: "Clement ist Strohmann für Schröder"

Die Debatte um den Rauswurf des früheren Wirtschaftsministers ist ein Symptom, sagt Heiner Geißler. In Wahrheit geht es um das geistige Chaos der SPD nach der Agenda 2010.

Wolfgang Clement vertritt die Agendapolitik seines Ex-Chefs Gerhard Schröder, sagt Heiner Geißler. Bild: dpa

taz: Herr Geißler, Sie sind in drei Funktionen ein Experte für den Fall Clement - als ehemaliger Generalsekretär, als Kritiker der Agenda 2010, als Abweichler von ...

Heiner Geißler: ... als Abweichler?

HEINER GEISSLER, 78, von 1977 bis 1989 Generalsekretär der CDU. Er publizierte schon 1975 als rheinland-pfälzischer Sozialminister ein Buch über die "Neue soziale Frage" und trat 2007 der globalisierungskritischen Organisation Attac bei.

Zumindest als einer, der dem damaligen Parteivorsitzenden Helmut Kohl nicht genehm war.

Die Frage ist doch: Wer ist der Abweichler? In den Augen der chinesischen Führung ist der Dalai Lama ein Terrorist.

Wer ist dann im Fall der SPD der Terrorist - Clement oder die Leute, die ihn aus der Partei ausschließen wollen?

Clement ist kein Abweichler. Er vertritt die Linie, die zumindest offiziell in der SPD noch immer vorherrscht: Schröders Agendapolitik.

Er hat aber vor einer Landtagswahl davor gewarnt, die Stimme für die eigene Partei abzugeben.

Während eines Wahlkampfs die Interessen der gegnerischen Partei zu vertreten, das ist in der Tat ein schwerwiegender Vorwurf.

In diesem Punkt hat die Schiedskommission der nordrhein-westfälischen SPD also recht?

Mit einem Ausschluss muss das nicht unbedingt enden. Aber es ist der klassische Fall von parteischädigendem Verhalten. So ist das damals von allen führenden SPD-Leuten bezeichnet worden. Auch vom Parteivorsitzenden, in dessen Augen Herr Clement der Agent eines Energiekonzerns war.

Was aber kein zwingender Ausschlussgrund wäre?

Das Kriterium ist immer die Auswirkung auf die Partei. Wenn jemand im Dienst einer anderen Organisation deren Interessen vertritt und dabei gleichzeitig der eigenen Partei Schaden zufügt, dann ist das Grund genug für ein Parteiordnungsverfahren. Ob das zu einem Ausschluss führt, ist eine Ermessensfrage. Da spielen auch andere Gesichtspunkte eine Rolle.

Die Verdienste um die Partei?

Und die Folgen nach innen und außen. Da spielt auch Clements Uneinsichtigkeit eine Rolle. Er hätte sich zumindest für den eigentlichen schweren Fehler entschuldigen müssen. Nur ist dieser Fehler nicht der Grund für die heftigen Auseinandersetzungen in der SPD.

Sondern?

Clement ist der Strohmann für Schröder, für die Agendapolitik. Hier steht die SPD vor ihrer eigentlichen Aufgabe. Vielleicht verhilft ihr die Auseinandersetzung um Clement dazu, endlich das Überfällige zu tun.

Und zwar?

Nicht aus Rechthaberei an der Agenda 2010 festzuhalten und wider besseres Wissen zu behaupten, sie sei wirtschafts- und sozialpolitisch richtig gewesen.

Verhindert die Verhärtung durch den Fall Clement diese Debatte nicht gerade?

Oder auch nicht. Die SPD ist jetzt gezwungen, sich noch einmal über die Auswirkungen der Agenda zu unterhalten. Dann wird sich herausstellen, dass viele Argumente zur Verteidigung der Agenda vorgeschoben sind. Man will nicht zugeben, dass die SPD unter Schröder einen schweren Fehler gemacht hat - verbrämt durch die Überschrift Reform, die plötzlich die Fronten verkehrt hat.

Inwiefern?

Diejenigen, die etwas Richtiges wollten, wurden in die Ecke der Traditionalisten gestellt. Diejenigen, die etwas Falsches gemacht haben, waren die Modernisierer. Da sind die Begriffe völlig durcheinandergekommen. Die SPD muss hier inhaltliche Klarheit schaffen.

Selbst wenn die SPD Ihrer Bewertung der Agenda folgen würde - könnte sie das überhaupt, ohne mit der Aussage in den nächsten Wahlkampf zu ziehen: Wir haben in unserer eigenen Regierungszeit alles falsch gemacht?

Die SPD hat wegen der Agenda schon die Wahl 2005 verloren. Warum soll sie noch einmal mit einem falschen Konzept in den Wahlkampf ziehen?

Die SPD hat 2005 noch überraschend gut abgeschnitten, im Gegensatz zur Union. Müsste auch die CDU Konsequenzen ziehen?

Das tut sie ja auch. Die CDU-Vorsitzende hat viel schneller begriffen als die SPD, dass die letzte Bundestagswahl eine Abstimmung über den wirtschaftspolitischen Kurs war. Vom Leipziger Reformparteitag redet keiner mehr. Ich habe nicht gehört, dass die die Bierdeckel-Steuerreform oder die Abschaffung des Kündigungsschutzes im nächsten Wahlkampf eine Rolle spielen werden.

Liegt darin das Problem der SPD: Dass jeder denkt, sie rennt nur der CDU hinterher?

Der Vorwurf ist doch, dass sie der Linken hinterherrennt. Auch diese Auseinandersetzung wird in der SPD nicht ehrlich geführt. Die Linke ist eine reguläre Partei, mit der man sich nicht auseinandersetzen kann, indem man sie als Nachfolgepartei der SED beschimpft. Die SPD muss sich inhaltlich mit ihr beschäftigen.

Sollte die SPD mit ihr koalieren?

Die SPD muss sich entscheiden. Sie kann nicht sagen: Eine Koalition im Bundestag ist des Teufels, und einen Kilometer weiter im Roten Rathaus ist sie eine politische Tugend. Da hilft auch das Argument der Außenpolitik nicht weiter. Die Außenpolitik kann dazu führen, dass eine Koalition am Ende nicht zustandekommt. Sie ist aber kein ideologischer Grund, um ein Koalition mit der Linken zum alttestamentarischen Sündenfall zu stilisieren. Dieses geistige Chaos ist das eigentliche Problem der SPD.

Der Fall Clement ist nur ein Symptom für dieses Chaos?

Hier wird ein Stellvertreterkrieg geführt, bei dem Clement zwischen die Mühlsteine kommt. Er hat zwar den Anlass dazu gegeben. Aber vom Inhalt her kann man niemanden ausschließen, nur weil er eine bestimmte Energiepolitik vertritt. Auch nicht, weil er immer noch die Agendapolitik für richtig hält. Dann müsste man ganz andere Leute ausschließen.

Während Ihrer Zeit als CDU-Generalsekretär musste beispielsweise der damalige Pazifist Alfred Mechtersheimer die Union verlassen. Welche Kriterien haben Sie damals an solche Ausschlussverfahren angelegt?

Mechtersheimer war in der CSU. In der CDU kann ich mich an keinen Fall erinnern, wo von der Bundespartei ein Ausschlussverfahren angestrengt worden wäre - es sei denn, jemand hat rechtsradikale oder antisemitsiche Auffassungen vertreten. Es gab Diskussionen wegen Franz Alt. Aber das habe ich schon im Ansatz abgewürgt.

Sie selbst sind von Kohl kaltgestellt worden. Gibt es subtilere Möglichkeiten als den Parteiausschluss, um jemanden an den Rand zu drängen?

Der Parteiausschluss ist immerhin ein transparentes Verfahren. Was Sie andeuten, sind Intrigen, wie sie in der Politik halt vorkommen. Davon darf man sich nicht beeindrucken lassen. Meine Loyalität gehört den Leuten, die mich gewählt haben, sie gehört den Grundsätzen meiner Partei. Erst dann gehört sie den Personen.

INTERVIEW: RALPH BOLLMANN

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.