Debatte Atomausstieg: Staatsterritorismus

Wenn der islamistische Terrorismus wirklich so gefährlich ist, muss die Bundesregierung die Atommeiler ausschalten. Wenn nicht, darf sie keine Überwachungsgesetze einführen.

Aus allen Medienkanälen dröhnt derzeit die Kampagne zum "Ausstieg aus dem Ausstieg" aus der Atomkraft. Selbst die vergleichsweise seriöse Tagesschau spielte mit Außenseiterängsten, indem sie verkündete, Deutschland stünde mit seiner Atompolitik in der G 8 im "Abseits". Eine andere Kampagne, nämlich die zur Überwachung der Bundesdeutschen zum "Schutz vor dem islamistischen Terrorismus", ist derweil kurzzeitig ausgesetzt worden. Wohl in der Hoffnung, dass niemand auffällt, wie diametral sich die Begründungen pro Atomkraft und pro Überwachung widersprechen.

Denn wenn islamistische Terroristen wirklich so heftig nach dem Besitz von atomaren Massenvernichtungswaffen gieren, wie Bundesinnenminister Schäuble mit stets sorgenvollem Blick betont, dann müssen die Nuklearmeiler auf der Stelle ausgeschaltet werden. Dann ist es absolut unverantwortlich, Islamisten zu ermöglichen, ein Flugzeug in ein Atomkraftwerk zu steuern oder eine Bombe in ein Zwischenlager zu platzieren oder Nuklearmaterial für "schmutzige Bomben" abzuzweigen. Auch das Weiterlaufen der Gelddruckmaschinen alias alte Atomkraftwerke ist damit ein gemeingefährlicher Akt gegen die Sicherheit der Bundesrepublik und ihre Bewohner. Frau Generalbundesanwältin, übernehmen Sie!

Wenn die von Islamisten ausgehende Gefahr aber vielleicht doch nicht so groß ist, wozu dann die ganzen geplanten oder schon verabschiedeten Sicherheitsgesetze? Warum dann Telekommunikationsüberwachung, heimliche Onlinedurchsuchungen, erweiterte Rasterfahndung, großer Lauschangriff, Speicherung aller Fingerabdrücke, biometrische Passdaten? Wieso hat der Bundestag dann beschlossen, dass alle Telefon- und Mailverbindungen der Deutschen ein halbes Jahr auf Vorrat gespeichert werden müssen? Warum will nun auch die EU die Daten aller Fluggäste volle 13 Jahre lang speichern lassen? Weshalb all diese Durchleuchtungen und Zugriffe auf unser Privatleben?

Entweder - oder. Entweder der eine Argumentationsstrang stimmt oder der andere. Jedenfalls solange al-Qaida nicht versprochen hat, beim nächsten Anschlag aus purer Höflichkeit einen Bogen um alle Atomanlagen zu machen. Oder ist das Ganze etwa ein Großversuch, wie viel Unfug einer Bevölkerung untergejubelt werden kann?

Man musste in der letzten Woche nur in die Werbebeilage, sorry, Titelgeschichte des Spiegel schauen ("Kernkraft - ja bitte?"), um das Grausen zu kriegen. Warum die Atommeiler weiterlaufen müssen, wird mit Sätzen wie dem folgenden begründet: "Die weltweite Nachfrage nach Kühlschränken, klimatisierten Wohnungen, Unterhaltungselektronik, Autos, Warmwasser steigt - und damit der Bedarf an Strom." Offenbar betanken Spiegel-Redakteure ihre Autos mit der Nuklearbrühe aus dem absaufenden atomaren Endlager Asse oder aus dem französischen Tricastin. Obwohl selbst sie einräumen, es sei seit dem 11. September "der Alptraum der Welt", dass eine Terrororganisation einen nuklearen Angriff starten könnte, kulminiert der Text doch in dem Aufruf ominöser "Fachleute", die Reaktoren "möglichst lange laufen zu lassen, auch um das technische Wissen zu erhalten". Was für eine gloriose Begründung! Wir brauchen Atommeiler, weil wir das atomtechnische Wissen brauchen! Um es an Bin Laden weiterzugeben, oder was?

Bezeichnend ist auch, was für Argumente gegen die Atomkraft nicht genannt oder nur flüchtig gestreift werden. Es gibt keine andere Energienutzung, die stärkere Auswirkungen noch auf die allerfernste Zukunft hat. Der atomare Abfall wird noch rund 250.000 Jahre lang gefährlich strahlen. Das ist ungefähr doppelt so lang wie die gesamte bisherige Entwicklungsgeschichte des Homo sapiens. Was für eine moralische Unverschämtheit und Arroganz, das unseren Nachfahren aufzubürden!

Auch die weiteren Risiken der Atomkraft dürfte die taz-Leserschaft zu Genüge kennen. Und der Vorschlag von Politikern, der Energieindustrie via weiterlaufende Meiler Profite in Höhe von laut Ökoinstitut sagenhaften 65 Milliarden Euro zuzuschanzen, damit deren Bosse sie gnädiglich in regenerative Energien investieren, ist reinste Blauäugigkeit. Es gibt viele Beispiele dafür, wie die vier marktbeherrschenden Konzerne Eon, RWE, Vattenfall und EnBW dezentrale grüne Energieversorgungssysteme nach Kräften verhindern.

Aus alledem ergibt sich ein grässlicher Verdacht: Was sich hier entwickelt, bei Energiekonzernen, Multis, Sicherheitsfirmen und der Zusammenarbeit aller dieser Institutionen, das ist Staatsterritorismus. Ja, Sie haben richtig gelesen: Staatsterritorismus. Damit ist die flächendeckende Kontrolle des Staatsterritoriums und seiner Einwohner sowie die hermetische Sicherung seiner Grenzen durch einige wenige Machthabende gemeint, und der Staatsterror schwingt im Begriff durchaus mit. Im Zeichen von Klimawandel und globalem Kampf um die letzten Ressourcen haben die Überwachungsgesetze offenbar mehr mit der Sicherung von Herrschaftsprivilegien nach innen und außen zu tun als mit dem Terror von Gotteskriegern.

Das ist keine Verschwörungstheorie. Das Militär ist dabei, sich auf seine Art für den Klimawandel zu rüsten. Unter anderem haben fünf hochrangige Ex-Nato-Generäle, darunter der Deutsche Klaus Naumann, die Studie "Towards a Grand Strategy for an Uncertain World" verfasst, in der sie Klimawandel und Weltbevölkerungswachstum als zwei der sechs wichtigsten Bedrohungen der internationalen Sicherheit nennen. Auch die EU stufte die Klimakatastrophe bei ihrem Brüsseler Gipfeltreffen im März 2008 als Sicherheitsproblem und "Bedrohungsmultiplikator" ein. In den kommenden Jahren seien regionale Unruhen und große Flüchtlingsströme zu erwarten. Als präventive Maßnahmen schlägt die EU nicht etwa ein radikales Umsteuern der Energiepolitik vor, sondern die Absicherung ihrer Grenzen und die polizeilich-militärische Vorbereitung auf Migrantenströme. Ähnlich argumentierten die Christdemokraten, als sie im Frühjahr einen "Bundessicherheitsrat" forderten: Innere und äußere Sicherheit seien nicht mehr zu trennen, so Wolfgang Schäuble, es gehe um "die Sicherheit unserer Energieversorgung oder die Sicherheit unserer kritischen Infrastruktur".

Das Weiterlaufen der Atommeiler soll wohl auch ein Thema im Bundestagswahlkampf 2009 werden. Eigentlich ein Grund, sich zu freuen, ergäben sich damit doch Gelegenheiten, den Unionisten den schreienden Widerspruch zwischen pro Atomkraft und pro Sicherheit um die Ohren zu hauen. Doch, ach und weh, wer soll das übernehmen? Die drei sogenannten linken Parteien im Bundestag? Auf keine der drei ist sicherer Verlass, außer bei der sicheren Versorgung mit dem Langweilerfaktor. Wenn die Zivilgesellschaft nicht endlich wach wird, werden die Protagonisten des "Katastrophen-Kapitalismus-Komplexes", wie Naomi Klein sie nennt, mit ihren volksverdummenden Kampagnen weiter durchkommen.

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