Die Region erobern: Köstlich derb

Wilde Natur und Slow Food in den Abruzzen. Traditionsreiche Küche und moderne Weine

Barrea am Lago Barrea in den Abruzzen Bild: Enzo Cositore/sxc

Samnium nannten die Römer die Gegend nordöstlich des Golfs von Neapel, die sich vom Gran Sasso, dem höchsten Berg des italienischen Stiefels, bis hinunter zur Adria zieht. Es dauerte Jahrhunderte, bis sie diese Region erobern konnten. Denn die Samniter, die die schroffen Hänge der Abruzzen, die Hochebenen und die sanften Hügel der Küstenregion bewohnten, waren nicht nur für ihre Tatkraft und Energie, sondern auch für ihre Sturheit berühmt. So mussten die Legionen des Diktators Sulla große Teile des tapferen Bergvolks töten oder in alle Winde zerstreuen, bevor die Region dem römischen Imperium einverleibt werden konnte - um fortan als kühles Rückzugsgebiet der von Sommerhitze geplagten Römer zu dienen. Der Tourismus ist in den Abruzzen schon seit der Antike etabliert. Die Natur ist wild und kontrastreich: raue Felslandschaften, sanfte Hügel und Wälder und die Küste des Mittelmeers auf engstem Raum. Zwischen schneebedecktem Hochgebirge und feinen Sandstränden liegen nur wenige Kilometer. Weite Teile davon sind unberührt, denn die Abruzzen sind die Region Italiens mit den meisten Schutzgebieten. Auf den kultivierten Flächen sticht der Weinbau hervor.

Der Nationalpark Abruzzen ist das erste in Italien geschaffene Schutzgebiet. Der Park ist in verschiedene Schutzzonen eingeteilt und für Touristen deshalb nur teilweise erschlossen: www.abruzzen-online.de.

Die Reise fand auf Einladung des Weingutes Masciarelli statt. www.masciarelli.it

Gianni Masciarelli erbte 1981 einen Weinberg, auf dem sein Großvater bis dahin Wein für den den Eigenbedarf anbaute. Der Weinanbau auf dem kleinen Erbe von zwei Hektar Größe wurde seine Leidenschaft. Heute erstreckt sich das Weingut Masciarelli auf über 400 Hektar. "Was ist Wein, wenn nicht die Kunst, die Natur zu begleiten", sagt Gianni Masciarelli als wir seine moderne Kelterei in dem 800-Seelen-Dorf San Martino sulla Marrucina besichtigen. Schon seit 1992 erhalten seine Weine internationale Auszeichnungen, im Jahr 2000 wurde der nach dem Haus des Großvaters "Villa Gemma" benannte Montepulciano dAbruzzo zum besten Rotwein Italiens gekürt. Sein Ziel, aus dem "einfachen" Landwein der Montepulciano-Traube einen weltweit beachteten Spitzenwein zu machen, hat Gianni Masciarelli damit erreicht - und er setzt weiter auf Qualität und Produkte, die die Kultur der Abruzzen widerspiegeln: "Ein bisschen ungeschliffen vielleicht, aber dafür aufrichtig, stark und entschlossen." Sieben Spitzenrestaurants hat die Region, die sich zur Gruppe "Qualita dAbruzza" zusammengeschlossen haben und entsprechend der Slow-Food-Philosophie aus hochwertigen regionalen Rohstoffen Gerichte zaubern, zu denen dann zum Beispiel der vom Slow-Food-Führer 2007 ausgezeichnete "Villa Gemma 2003" serviert wird.

Dass die Natur der Abruzzen nicht nur gute Weine, sondern auch hervorragende Lebensmittel hervorbringt und das Genießen sehr eng mit der Kultur verbunden ist, zeigen die vielen Feierlichkeiten, die den Produkten gewidmet sind: vom Fest des Trüffels über das Fest des Safrans, der Pasta und der Kichererbse, bis hin zum Fest der Mohrrübe und des Bauchspecks feiern die Dörfer der Abruzzen ihre regionalen Köstlichkeiten. Und sie verbinden nicht nur in der Küche und im Weinkeller die Moderne mit einer bis in die Antike zurückreichenden Tradition.

Augenscheinlich wird dies in dem Bergstädtchen Santo Stefano di Sessanio. Mit privaten und öffentlichen Geldern läuft hier seit Jahren ein Restaurationsprojekt, das die mittelalterlichen Häuser nicht renoviert, sondern in ihrem Originalzustand konserviert. Einige der bereits fertiggestellten Häuser werden unter dem Namen "albergo diffuso" an Hotelgäste vermietet, die sich dann in einem mittelalterlichen Gemäuer in einer topmodernen Designerbadewanne entspannen können.

Direkt gegenüber der Kirche und des Pfarrhauses von Santo Stefano di Sessanio hängt ein großes Poster und ein rotes Banner: das Büro der kommunistischen Partei. Das ist kein Zufall: "Die PCI nimmt ihre Büros immer am liebsten direkt an der Kirche", klärt uns eine ortskundige Seniora auf. Nicht nur Wanderer und Mountainbiker, Schlemmer und Weinkenner, Liebhaber von Wölfen und Bären kommen in den Abruzzen auf ihre Kosten. Auch Don Camillo und Pepone sind hier wahrscheinlich noch zu finden. Wenn das nicht Italien ist!

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.