Aufschwung dank Bürgerarbeit: Was vom Wunder bleibt

Bad Schmiedeberg hat seine Zauberformel gegen Arbeitslosigkeit gefunden: Nicht mehr ABM, kein 1-Euro-Job und erst recht kein Hartz IV. Bürgerarbeit heißt die Lösung.

Gudrun Schnaar spaziert mit einer Bewohnerin des Seniorenheimes. Bild: Birgitta Kowsky

BAD SCHMIEDEBERG Als das Kurfürstenpaar vom Leiden der Schmiedeberger erfuhr, besuchte es die vom Schicksal geschlagene Stadt und beschenkte sie reichlich mit Wald. Von da an ging es bergauf. Noch heute hat Bad Schmiedeberg einen bedeutenden Waldbesitz. Nun kann es nicht jedes Jahr so eine Segnung wie 1431 geben, aber auch 2007 war nicht schlecht. Da wurde Bad Schmiedeberg von der Arbeitslosigkeit befreit. Jedenfalls beinahe, und siehe, die Wohltat hieß Bürgerarbeit. Die 4.000-Seelen-Kommune war im Fernsehen, im Radio, in der Zeitung. Als ob die Straßenbauarbeiter, die hier seit Monaten wühlen, zufällig auf eine Goldader gestoßen wären. Und es war ja ein Eldorado! Das "Wunder von Bad Schmiedeberg" lockte Arbeitsmarktpolitiker und Korrespondenten an.

Bad Schmiedeberg im Südosten Sachsen-Anhalts ist die erste Gemeinde, in der seit September 2006 Bürgerarbeit flächendeckend praktiziert wird. Die Arbeitslosenquote sank von 15,6 Prozent auf 6 Prozent. Derzeit gibt es in der Stadt 106 Bürgerarbeiter. Die Arbeit ist sozialversicherungspflichtig, die Arbeitszeit beträgt 30 Wochenstunden plus 8,5 Stunden für Weiterbildung und Bewerbung, das Entgelt liegt bei etwa 800 Euro brutto. Bürgerarbeit wird derzeit auch in vier weiteren Gemeinden Sachsen-Anhalts praktiziert, ebenso mancherorts in Thüringen und Brandenburg. Bei einer ersten Evaluation wurde festgestellt, dass die Mehrkosten der Bürgerarbeit durch den stärkeren Vermittlungsdruck auf die Erwerbslosen fast ausgeglichen wurden. Kritiker werfen ein, dass dieser Effekt auch ohne die Bürgerarbeit erreicht werden könnte. Außerdem befürchten sie, dass Bürgerarbeit langfristig Jobs auf dem regulären Arbeitsmarkt verdrängt. THG

Geht es nun aufwärts in Bad Schmiedeberg? Stefan Dammhayn führt in sein Dienstzimmer. Hier im Renaissance-Rathaus hat das Stadtoberhaupt Interviews gegeben, hier waren sie vor rund einem Jahr versammelt, die Experten und Landesminister, die Sozialstaats-Agenten und Arge-Geschäftsführer, hier haben sie den Anbruch der neuen Zeit verkündet, zumindest für Bad Schmiedeberg. Hier wanderte die Zauberformel von Mund zu Mund. Nicht mehr ABM, kein 1-Euro-Job und erst recht kein Hartz IV. Das alles klang nach Siechtum und Schmerz, von nun an gab es Bürgerarbeit. Schon das Wort war verdienstvoll: Bürgerarbeit - die Bürger arbeiten. Wie schön für jeden Bürgermeister. Arbeiten die Bürger?

Stefan Dammhayn nickt. Die Arbeitslosenquote sei fast so gesunken wie von den Erfindern prognostiziert, von über 15 auf rund 6 Prozent. Das neue Medikament gegen Arbeitslosigkeit, vom sachsen-anhaltischen Wirtschaftsminister Reiner Haseloff und Rainer Bomba von der Bundesagentur für Arbeit aus Halle erfunden, wirkt. Dabei ist die Mixtur simpel: Bürgerarbeit ist eine Intensivbetreuung für Arbeitslose, gekoppelt mit Druck. Wer nach der Prozedur noch nicht vermittelt war, der wurde Bürgerarbeiter: 30 Stunden pro Woche für gemeinnützige Tätigkeit, dazu 8,5 Stunden für Weiterbildung und Bewerbung - kurzum, eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ohne Zeitlimit.

Die Bürgerarbeit entfaltete viele Effekte, auch unerwartete. Stefan Dammhayn hat es voriges Jahr beim rheinischen Karneval erlebt. Dort sei er nämlich inmitten tausender Jecken zielsicher erkannt worden, als wäre er Gunther Emmerlich und nicht der Ortsvorsteher von Krähwinkel. "Sag mal, du bist doch der Bürgermeister von Bad Schmiedeberg? Dich hab ich im Fernsehen gesehen!" Für die Publizität war Bürgerarbeit sehr gut.

Und für die Bürgerarbeiter? "Die Leute bestätigen, dass sie wieder einen Tagesrhythmus haben, sie haben ein Zeitgefühl bekommen. Was auch bestätigt wird: dass das Selbstwertgefühl wieder da ist." Dammhayn streicht mit der Hand behutsam über die Tischplatte. Es ist alles geordneter seit einem Jahr. Und nach dem Presserummel auch ruhiger. Ihm sei nicht ganz wohl gewesen, als die ersten Bundestagsabgeordneten auftauchten. Habe doch die Gefahr bestanden, dass das Ganze "parteipolitisch zerredet" werde.

Das war wohl nicht der einzige Grund des Unwohlseins. Es hätten andere Bürgermeister fragen können, warum das Füllhorn nicht über ihrem Marktplatz ausgeschüttet wurde. Warum Bad Schmiedeberg? Für Dammhayn ist es heute noch ein Mysterium, aber eines von der guten Art. Die Stadtkasse sei zwar immer noch leer, bedauert Dammhayn, aber die Bürger seien jetzt zufriedener.

Über dreißig Vereine habe man in der Stadt, deren Vorsitzende stehen nun seltener mit Klagen oder Begehrlichkeiten im Amtszimmer. Haben doch viele Vereine einen eigenen Bürgerarbeiter erhalten. Da schreiben sie die Feuerwehrchronik, halten den Sportplatz sauber und die Schlosskirche offen, all diese Sachen. In der Schule, wo Dammhayn als Lehrer seine Brötchen verdient, haben zwei Bürgerarbeiterinnen eine Bibliothek eingerichtet. Und dann war da noch "Deutschland höchster Adventskranz", der nun schon zum zweiten Mal in Folge in den Nachthimmel leuchtete. Eigentlich Luxus pur.

"Glückselig sind die, die in deinem Hause wohnen, Herr, sie loben dich von Ewigkeit zu Ewigkeit!" Auf die Stadt gemünzt, klingt das Psalmwort, das seit 1563 über dem Rathausportal geschrieben steht, vielleicht etwas zu ekstatisch. Und auch Wälder werden kein zweites Mal verschenkt. Doch meint es der Weltgeist nicht gut mit dem Städtchen?

Es geht aufwärts, wenn auch mit jagendem Puls. Heinz Stegert ist nicht zu bremsen. Und das Dollste kommt ganz oben: Stegert spaziert auf dem Turmumgang der Stadtkirche so sorglos herum, als wäre er ein Hochseilakrobat. Vor einem Jahr ist er nur mit Hemmungen aus der Tür gekommen. Also die Höhenangst ist nun weg. Über den 54-jährigen Bürgerarbeiter Stegert berichteten damals Zeitungen und Radiostationen.

Wäre er wirklich Artist, könnte er nun Autogramme verteilen. Doch Heinz Stegert ist Elektriker und seit nun vier Jahren arbeitslos. Jeden zweiten Tag steige er auf den Turm, erzählt er. Es treibt ihn hinauf, und für den Kreislauf ist das eh gut. Hier oben ist man auch ein wenig entrückt. Der Wind weht, die Felder glänzen, und in der Ferne steht der Wald, der einst so wunderbar zur Stadt kam.

Seit Dezember 2006 ist Stegert in der Kirchengemeinde beschäftigt und so etwas wie ein Hausmeister. Für einen Elektromeister wie ihn ist das eigentlich unter Niveau, zumal er als Bürgerarbeiter keine Reparaturen vornehmen darf, damit er den Handwerkern nicht die Aufträge wegnimmt. Aber die Hände haben was zu tun, man weiß, was man am Morgen tun wird, wenn man am Abend einschläft, und man grübelt wohl auch weniger. An die 800 Euro, von denen gern geredet wird, kommt Stegert nicht heran.

Das Leben habe wieder sein Gleichmaß, hat der Bürgermeister versichert. Vielleicht ist Stegert deswegen vom Räderwerk der Turmuhr mit seinen Zahnrädern und Rollen so angetan. Schon das Zugucken beruhigt. Und jede Viertelstunde rotieren Hebel und die Glocke tönt. Doch viel tun darf Stegert auch hier nicht, schließlich gibt es im Ort einen Uhrmachermeister, der den Service besorgt.

Die Ansprüche sind bescheiden geworden, die Wünsche auch: Es möge doch mit der Bürgerarbeit weitergehen, sagt Heinz Stegert beim Abstieg. Kurz vor Weihnachten gab es die Nachricht, dass die Bürgerarbeit zumindest bis Ende 2008 fortbesteht. Denn zeitlich unbegrenzt ist sie nur in der Theorie. Da sich die Bürgerarbeit in der Testphase befindet, sind die Arbeitsverträge befristet. Als die Briefe in Bad Schmiedeberg verteilt wurden, atmete auch die fünfköpfige Brigade von Pastor Krause auf.

Es gebe gute und sinnvolle Arbeit zu tun, sagt Krause bei der Dienstbesprechung in die Runde. "So dass das auch zu einer sozialen Stabilisierung bei euch geführt hat", ermuntert er die Seinen. "Na ja, und auch in der Gemeinde", schickt er nach. "Ich gehe jeden Tag mit Freude hierher", öffnet eine der Frauen ihr Herz. Heinz Stegert nickt bloß stumm. Seitdem seine Frau im vergangenen Jahr zuerst bei einer Reinigungsfirma entlassen wurde und dann schwer erkrankt ist, muss er für fast alles aufkommen - mit weniger als 800 Euro.

Eigentlich sollte das Projekt auch den Weg in den ersten Arbeitsmarkt öffnen, die Bürgerarbeiter sind angehalten, regelmäßig Bewerbungen abzuschicken. Gefruchtet hat das wenig. Fünf Bürgerarbeiter sind im letzten Jahr im ersten Arbeitsmarkt untergekommen, meldet die zuständige Arbeitsagentur in Wittenberg, 106 Personen sind derzeit in Bürgerarbeit. Pastor Krause hat 2007 keinen aus seinem Kollektiv verabschiedet, wohl aber einen Neuzugang begrüßt.

Im Altenpflegeheim am Stadtrand aber fehlt eine der ersten Bürgerarbeiterinnen. Eine Krankenschwester aus Kasachstan hat es geschafft - zumindest indirekt. Da ihr Mann im Münsterland Arbeit gefunden hat, ist die Familie umgezogen. Doch der Aufschwung keimt auch hier. Britta Bennwitz, Bürgerarbeiterin der ersten Stunde, ist zur Managerin aufgestiegen und organisiert den Dienstplan der Kolleginnen. Auch ihr Mann hat wieder Arbeit als Kraftfahrer.

Ja, das Jahr sei gut verlaufen, resümiert Bennwitz. Ihre Kollegin Gudrun Schnaar, die beim Start der Bürgerarbeit der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, ist sogar in den Urlaub gefahren, ein seltenes Glück für Bürgerarbeiter. Sie habe mit ihrem Mann eine Busreise nach Tirol unternommen, sagt Frau Schnaar. Das eine Ticket habe sie bezahlt, das andere beim Preisausschreiben gewonnen, sagt sie strahlend, nimmt eine Kanne und gießt die Pflanzen.

Mit etwas Abstand erscheint Bad Schmiedeberg mit seinen Gassen, dem Rathaus und der Kirche wie die Kulisse für ein karges Wintermärchen. Die Rolle des bescheidenen Prinzen ist dabei nach Magdeburg vergeben. Er sei sehr zufrieden und wolle das Projekt Bürgerarbeit auf jeden Fall durchziehen, sagt Arbeitsminister Reiner Haseloff am Telefon. Und das Thema sei in Berlin angekommen. "Wir haben beim Bund erreicht, dass man sich dieser Problematik geöffnet hat."

Die Bürgerarbeit erfuhr in der Hauptstadt eine Metamorphose. "Kommunal-Kombi" heißt die Fortentwicklung. Sie wurde noch im Hause Müntefering erfunden und soll an Landkreise verabreicht werden mit einer Arbeitslosenquote von über 15 Prozent. Allerdings zahlt der Bund nur 500 Euro, den Rest sollen die Kommune und das jeweilige Bundesland beisteuern. Bad Schmiedeberg jedenfalls wäre überfordert. "Wir müssen sehen, wie dieses Angebot finanztechnisch umsetzbar ist", mahnt Minister Haseloff.

Einer wird da nicht mehr helfen. Haseloffs Mitstreiter Rainer Bomba ist nach Süden verzogen. Bomba war das Superhirn der Bürgerarbeit und "Geschäftsführer Operativ" in der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Halle. Der 43-Jährige ist im letzten Sommer zum Chef der Regionaldirektion Bayern mit Sitz in Nürnberg aufgestiegen, quasi Tür an Tür mit Frank-Jürgen Weise, dem Chef der BA. Es geht eben aufwärts.

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