Kolumne Post aus New York: Das konservative Laisser-faire

Post aus New York: Die Evangelikalen in den USA gehen langsam auf Distanz zur Republikanischen Partei. Ihren Einfluss verlieren sie deshalb noch lange nicht.

In den letzten 30 Jahren haben die Evangelikalen in den USA die Republikanische Partei stark unterstützt, 2004 stimmten 78 Prozent von ihnen für George W. Bush. Wie werden sie 2008 wählen? Dies wird eine Schlüsselfrage im kommenden Wahlkampf sein. Deshalb hat auch die New York Times ihr schon lange Beiträge gewidmet, CBS News und das Forschungszentrum "Pew Forum" haben zu ihr ebenso Studien veröffentlicht wie zuvor ABC.

Klar ist: Die Evangelikalen wenden sich zunehmend von den Republikanern ab. Lag zwischen 2001 und 2005 der Anteil der weißen religiösen Anhänger unter 30 Jahren konstant bei 55 Prozent, so liegt er heute bei nur noch 37 Prozent. Eine CBS-Umfrage ergab zudem: 23 Prozent der weißen Evangelikalen sind an den Vorschlägen der Kandidaten zu Gesundheitspolitik interessiert, 20 Prozent an ihrer Haltung gegenüber dem Irakkrieg - in beiden Fällen liegen die Werte nur knapp unter denen aller BürgerInnen. Abtreibung und Homoehe spielen eine weit geringere Rolle als früher.

Die evangelikale Umweltbewegung ist mittlerweile so groß, dass sie teilweise den evangelikalen Mainstream bestimmt. Viele Gemeinden abseits der großen politischen Schaltzentralen der Macht wollen nicht mehr bedingungslos den Republikanern folgen - es ist zwar noch kein Schisma, aber eine deutliche Absetzbewegung. Sie kümmern sich nun weniger um Themen wie Abtreibung oder die Rechte von Homosexuellen und mehr um die Sorgen der Armen und Kranken - ganz wie Jesus Christus.

Besonders verwirrend für Parteien wie Experten ist die unglaubliche Popularität von Rudy Giuliani bei Mainstream-Evangelikalen. Der ehemalige Bürgermeister von New York ist immerhin zweimal geschieden und befürwortet die Homoehe. Dennoch würden ihn laut CBS 26 Prozent der Evangelikalen wählen, kaum weniger als den extrem konservativen Fred Thompson. 61 Prozent davon würden Giuliani wählen, obwohl er nicht ihre Ansichten teilt.

Wieso? Wenn Evangelikale den Republikanern beitreten, damit die Abtreibung verboten wird und später auch die Homoehe - warum sollten sie einen Kandidaten unterstützen, der das nicht will? Wenn sie also keinen Anti-Abtreibungs-/Anti-Homoehe-Kandidaten bekommen, warum zum Teufel wählen sie nicht gleich einen Demokraten?

Weil die Evangelikalen die Republikaner nicht allein wegen ihrer Werte bevorzugen. Es ist ein Irrtum, wenn man an der Idee eines faustischen Paktes festhält, der besagt: Die Evangelikalen stimmen nur für die Republikaner, weil ihnen deren Engagement für das Verbot der Abtreibung so wichtig ist, dass sie jede Wirtschafts- und Sozialpolitik einfach hinnehmen. Sicher, die Hoffnung auf ein Abtreibungsverbot oder generell eine konservative Gesellschaftspolitik war zwar immer wichtig, aber sie ist nicht der Kitt gewesen, der Republikaner und Evangelikale zusammenhielt.

Evangelikale wählen die Republikanische Partei, weil sie mit deren Idee des Laisser-faire und eines "small government" sympathisieren, also einer Regierung, die möglichst wenig in die Belange der Bürger eingreift. Diese Ansichten sind auch ein zentraler Teil der evangelikalen Tradition. Individualität, Wirtschaftsliberalismus und Eigenständigkeit - ja, das verdanken die Amerikaner zu einem Gutteil den Evangelikalen. Schon seit dem 17. Jahrhundert haben sie die Bedeutung der individuellen Entscheidung für Jesus betont, auf individuellem Bibellesen bestanden und die Befähigung eines jeden Gläubigen zur Priesterschaft hervorgehoben. Im 19. Jahrhundert entfaltete das eine progressive, antiautoritäre und populistische Wirkung.

Bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts waren die Evangelikalen keiner Partei verbunden und gingen oft überhaupt nicht zur Wahl. Das änderte sich erst, als sie in den 60er Jahren den Eindruck hatten, dass die Demokraten nicht genügend für die Individuen eintreten. Damals verloren viele Amerikaner ihre Arbeitsplätze, weil US-Unternehmen in Billiglohnländer zogen, um dort preiswerter zu produzieren; zudem verdrängten Entwicklungsländer die USA teilweise vom Weltmarkt, weil ihre Produkte weniger kosteten. Darüber hinaus gelang es den Demokraten aus Sicht der Evangelikalen nicht, den "Illiberalismus" in Übersee zu besiegen, weder den Kommunismus noch die Organisation erdölexportierender Länder (Opec) oder den iranischen Revolutionsführer Ajatollah Khomeini.

Den Demokraten warfen sie vor, die maßlose Alternativkultur ebenso zu befürworten wie großzügige Almosen in einem Programm zur Bekämpfung der Armut. Um die individualistische, selbstverantwortliche Courage von früher wieder zu erlangen und engagiert alles Illiberale zu bekämpfen, haben sich die Evangelikalen mit dem klassischen Business-Milieu verbündet, das ihre Vorstellungen von Eigenverantwortung und Selbstständigkeit teilt.

Man kann also sagen: Die Evangelikalen haben nicht ihre Ansichten verändert, sondern der von ihnen geschätzte progressive Individualismus wurde seit den 60er-Jahren eben von den Republikanern vertreten. Ab den 80ern wurde deren ökonomisches Programm sogar noch beliebter bei den Evangelikalen wie beim Mittelstand allgemein. Denn auch sie investierten nun zunehmend an den Börsen.

Diese evangelikale Tradition macht es nun sogar möglich, Rudy Giuliani zu wählen. Es ist eine Stimme für Wirtschaftsliberalismus, Individualismus und Eigenständigkeit, für "small government" und eine Außenpolitik, die furchtlos die illiberalen Tyrannen dieser Welt bekämpft. Giuliani ist der Held des 11. September 2001 in New York und angriffslustig gegenüber dem Iran. Für viele Evangelikale erscheint es daher denkbar, ihn zu wählen, so wie sie bisher aus den gleichen Gründen schon die Republikaner unterstützt haben.

Doch was ist nun mit den Evangelikalen, denen jetzt eher die Armen und Kranken wichtig sind? Sie werden sich sehr schwer damit tun, die Demokratische Partei zu wählen, weil sie gegen Abtreibungen sind. Und sie werden sich ebenso schwer damit tun, die Republikaner zu wählen, weil sie deren Wirtschafts- und Sozialpolitik ablehnen. Oder wie es der Vizepräsident der National Association of Evangelicals, Richard Cizik, kürzlich sagte: "In meiner Bibel steht nirgends, dass ich ökonomisch oder politisch ein Konservativer sein muss." Diese Konstellation kann dazu führen, dass Religion nicht mehr einer der Parteien zugeordnet wird.

Viele amerikanische Kirchenmitglieder wiederum glauben schon lange, dass es gut für die Religion sei, nicht mit dem Makel der Politik behaftet zu sein. Denn die Religiosität wächst ebenso wie die Reputation der Kirchen, wenn sie sich aus der Politik heraushalten. Es gilt allerdings auch: Auch wenn es bei den Wahlen 2008 keinen evangelikalen Block gibt, der die Republikaner unterstützt, heißt das noch lange nicht, dass die Religiösen an Einfluss verlieren.

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