Kolumne New York: Im Teufelskreis der Kredite

Die Hypothekenkrise in den USA führt uns mal wieder vor Augen, wie viel Kapitalismus mit Religion zu tun hat. Leider gilt das auch für seine Alternativen.

Schlechte Nachrichten: Seitdem ich das letzte Mal für diese Zeitung geschrieben habe, bin ich um einiges ärmer geworden. Und wenn man bedenkt, wie traurig meine finanzielle Lage schon damals war - der Tatsache geschuldet, dass ich Professorin bin, und das in einem Land, in dem eine Professorin weniger gilt, als beispielsweise Finanzhändler zu sein -, sieht es jetzt absolut trostlos für mich aus. Diese neue Armut habe ich allerdings nicht mir selbst zuzuschreiben; schuld daran sind die Finanzhändler - die Typen, die das große Geld verdienen. Aber immerhin habe ich daraus eines gelernt: Kapitalismus hat etwas mit Religion zu tun.

Allem Anschein nach hat es bei uns in den USA eine "Immobilienblase" gegeben, das heißt: Der Wert der Häuser wurde in die Höhe getrieben, weil die Finanztypen bereit waren, möglichst vielen Leuten Geld zu niedrigen Zinsen zu leihen, damit sie Häuser kaufen konnten. Das taten die Leute dann auch, und dadurch stieg die Nachfrage, der Wert der Häuser ging ebenfalls in die Höhe und die Leute nutzten den inflationierten Wert ihrer Häuser als Sicherheit für Kredite, um noch mehr Häuser oder irgendwas anderes zu kaufen. (Können Sie mir so weit folgen?)

Wir wussten, dass der Wert der Häuser zu hoch angesetzt war; wir wussten auch, dass das Geld nicht abgesichert war - es gab dort kein "dort", wie es Gertrude Stein einst mit Blick auf Oakland formulierte. Aber die Finanztypen vergaben immer weiter Kredite, und die Leute nahmen immer weiter Kredite auf - bis der Wert der Häuser schließlich einen Gipfelpunkt erreichte und danach einbrach. Nun haben wir "strukturierte Produkte", wie Banker durch Hypotheken abgesicherte Darlehen unter anderem nennen, im Wert von mittlerweile insgesamt einer Billion Dollar am Hals. Die Leute können die Kredite nicht mehr zurückzahlen, die sie aufgrund des aufgeblasenen Wertes ihrer Häuser aufgenommen haben, weil dieses Geld im Grunde überhaupt nie existiert hat. Und die Finanzinstitute können ihre hypothekarisch gesicherten Wertpapiere nicht verkaufen, das heißt: Sie können die Schulden nicht zurückzahlen, die sie bei anderen Finanzinstituten aufgenommen haben. (Ich hoffe, Sie können mir weiterhin folgen.)

Es gibt keine "Liquidität" mehr ("Liquidität" steht für Geld, das man verleihen kann. Das habe ich von meinem Präsidenten gelernt, wobei anscheinend wenigstens dessen Redenschreiber studierte Betriebswirte sind), weil die Geldverleihinstitutionen kein Geld an Leute verleihen, die ihre Schulden nicht bezahlen können. Und schließlich wird die Wirtschaft schwächer, weil die Leute kein Geld mehr für neue Geschäfte oder Investitionen aufnehmen können, und nun sind wir, die Führer der freien Welt, in Schwierigkeiten. (Wir geben uns gerade die größte Mühe, dem noch irgendwie zu folgen.) Dass es ernste Schwierigkeiten sind, wissen wir, seit die bekanntermaßen zurückhaltenden Banken in Europa interveniert und haufenweise Euro für die Unternehmer lockergemacht haben - im letzten Monat an einem einzigen Tag im Gegenwert von 130 Milliarden Dollar -, damit wenigstens die europäische Wirtschaft nicht zusammenbricht.

Und damit entdecken wir die religiöse Seite des Kapitalismus. Es ist stets ein Postulat der Moderne gewesen, dass der Kapitalismus mit der säkularen Organisation von Markt und Gesellschaft - mit der Entzauberung der Welt - einhergeht. Dabei ist der Kapitalismus jedoch sogar noch religiöser als die Religion. Denn der Kapitalismus fordert wahrhaftigen Glauben, während die Religion nur das Ritual braucht. Tut, was die heiligen Bücher vorschreiben, und vielleicht kommt dann der Glaube von allein. Von Pascal stammt der Rat, man solle niederknien, und dann werde man glauben. Bemerkenswert dabei ist, dass man nicht glauben muss, um niederzuknien oder in der Obhut der Kirche zu leben.

Aber wenn man investieren will, muss man glauben. Niemand, der noch ganz bei Trost ist, würde nur um des Rituals willen Geld hergeben in der Hoffnung, dass die Zeremonie schon für den Profit sorgen wird. Nein, man muss an den Profit glauben oder an den Propheten, der einem eine himmlische Zukunft verheißt. Ich kann in die Kirche gehen, auch wenn ich vielleicht so meine Zweifel habe, ob Jesus tatsächlich fünf Laib Brot in Speise für 5.000 Menschen verwandelt hat, aber wenn ich 5 Dollar verleihe, dann muss ich glauben, dass ich 5.000 zurückbekomme. Ich muss die Worte des Propheten in meinem Herzen bewahren: "Und er sprach: Bringt sie mir her! Und er ließ das Volk sich auf das Gras lagern, und er segnete sie und sprach: Mein strukturiertes Produkt wird das Volk speisen. Und sie aßen alle und wurden satt." (Matthäus 14, 18-21).

Die Farmer in den 1880er-Jahren in den USA hatten diese Lektion gelernt. Damals war es eine "Farmblase", das heißt, der Wert der Farmen wurde zu hoch angesetzt, weil die Finanztypen die Absicht hatten, möglichst vielen Leuten Geld gegen niedrige Zinsen zu leihen, damit sie sich in den Great Plains Land kaufen konnten. Als der Mittlere Westen dann von einer Dürre heimgesucht wurde, konnten die Farmer ihre Schulden nicht zurückzahlen und verloren ihre Farmen, und somit verloren die Finanzinstitute Geld und konnten ihrerseits die Schulden nicht bezahlen, die sie bei anderen Finanzinstituten aufgenommen hatten. Die Liquidität trocknete aus wie die Dustbowls in Nebraska, und an den Planwagen, die in Trecks Richtung Westen rollten, hingen Banner mit der Aufschrift: "In God we trusted, in Kansas we busted" (Auf Gott haben wir vertraut, in Kansas gingen wir pleite). Hundert Jahre später, bei der Finanzkrise von 1998, sagte ein Beamter der Federal Reserve, die in etwa das Gleiche ist wie die Zentralbanken in Europa, auf die Frage, was man denn tun könne, um die Wirtschaft zu retten: "Beten".

Die Lösung, aus diesem "Kredit-Teufelskreis" auszubrechen, bestünde darin, die Vernunft an die Stelle des Glaubens zu setzen, genau so, wie es die Rationalisten unseres modernen Westens schon seit dAlembert immer gesagt haben. Das einzige Problem dabei ist, dass die möglichen Alternativen genauso auf Glauben beruhen. Zum Beispiel der Sozialismus: Hier muss man nicht nur glauben, dass eine Regierung aus einigen wenigen tausend Menschen in der Lage ist, eine Wirtschaft für viele Millionen zu planen, dass sie noch dazu kompetent und unbestechlich genug für diese Aufgabe ist, sondern auch, dass Menschen, die schlau genug sind, eine Wirtschaft zu planen, dumm genug wären, alle diese Versammlungen über sich ergehen zu lassen. Das erfordert weiß Gott wahrhaftigen Glauben!

Die Lehre, die wir aus der Finanzkrise in Amerika ziehen können, heißt, dass das Leihen von Geld genauso wie das Verleihen von Geld eine Frage des Glaubens ist. Und genau das ist es, was Marx meinte, als er sagte, Religion sei das Opium des Volkes. MARCIA PALLY

Übersetzung aus dem Amerikanischen: Beate Staib

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