Berliner Szene
: Nett sein in Berlin

Komplimente

Und jetzt sitzen wir am Tresen. Den Gästen sind wir im Weg

Mein letztes Geld hatte ich an einem osteuropäischen Flughafen in die teuerste Bodylotion gesteckt, die ich hatte finden können: Coco Chanel. Sehr klassisch. Sehr teuer. Der Preis bewegte sich im gehobenen zweistelligen Bereich. Ich fühlte mich großartig, so sinnlos war die Anschaffung. Ich stellte mir vor, ich würde riechen wie meine Uroma. Als sie noch jung war, natürlich.

Das zahlte sich gleich aus. Vollgepackt und verschwitzt schleppte ich meine Einkäufe durch eine schmutzige Neuköllner Straßenschlucht, als ein junger Hipster ziemlich nah an mich heran kommt: Dreitagebart, hängende Hose, unverschämt knappes Shirt. Ich begriff nicht so ganz, was er von mir wollte. Geduldig hörte ich mir einige Komplimente an. Dann schrieb er mir seine Nummer auf: S., der bald nach Köpenick ziehen wird.

Danach musste ich erst mal schauen, ob mein Portemonnaie noch da war – wozu das jetzt verschweigen? „Na, und?“, raunzte ich B. an. Der hatte mich sehr ausgiebig verständnislos angestarrt, als ich ihm davon berichtete. Langsam setzte B. sein Tegernseer an die Lippen, ohne mich aus den Augen zu lassen. Es war ein strafender Blick. Mein Portemonnaie war natürlich noch da. Die Telefonnummer habe ich trotzdem weggeworfen.

Nun sitzen wir in einer Bar unter Hipstern, die wir bloß Bobos nennen, weil wir nicht mehr auf der Höhe der Zeit sind, und sorgen uns um unsere Zukunft. Wir sind schon jetzt die Ältesten. Wir reden darüber, wie es „damals“ war, als wir vor einem Jahrzehnt in den Kiez kamen. Die Berliner Eckkneipen zu betreten und sich zu den seltsamen Einheimischen zu setzen war eine Mutprobe. Und jetzt sitzen wir am Tresen. Den Gäste sind wir im Weg. Um uns herum hängt der Duft aus dem letzten Jahrhundert. Sonja Vogel