Auf der Suche nach den verlorenen Illusionen

PROGRAMMDRAMATURGIE Tilman Köhler bringt am Staatsschauspiel Dresden Christa Wolfs „Der geteilte Himmel“ auf die Bühne

Intendant Wilfried Schulz’ bewusste Hinwendung zu den Lebenserfahrungen seines Publikums

VON JOACHIM LANGE

„Der geteilte Himmel“ brachte Christa Wolf 1963 ihren Durchbruch auf dem Weg zur wichtigsten Autorin im Osten Deutschlands. Mit einer ungebrochenen Verehrung, die übers Literarische hinausging. Ungeachtet aller späten Enthüllungen und Debatten. Und trotzt ihrer Irrtümer. Vielleicht auch deswegen. Natürlich ließ sich der Himmel über Berlin nicht wirklich teilen. Das Land darunter aber schon. Und es ließen sich Liebespaare trennen, so wie Rita und Manfred in Christa Wolfs Geschichte.

Dass „Der geteilte Himmel“ jetzt in Dresden zu Bühnenehren kommt, passt in die Programmdramaturgie, mit der Intendant Wilfried Schulz in den letzten drei Jahren dem Schauspiel einen erheblichen Aufwind beschert hat. Theaterversionen von Tellkamps „Turm“ oder auch Mulischs „Steinernem Brautbett“ gehören zu dieser bewussten Hinwendung zu den Lebenserfahrungen seines Publikums. Bei der von Tilmann Köhler und Dramaturgin Felicitas Zürcher gemeinsam mit dem Ensemble erarbeiteten Version fällt der offenkundige Respekt vor dem Text auf. An der Inszenierung des für seine beschleunigt gegenwärtige Bühnensprache bekannten Dresdner Hausregisseurs erstaunt die geradezu poetische Melancholie, mit der er diesmal zu Werke geht. Dass die Perspektive auf diese Lovestory ohne Happy End heute eine andere ist als kurz nach dem Mauerbau, versteht sich von selbst. Wir wissen nicht, was aus Rita Seidel im Osten und Manfred Herrfurth im Westen des geteilten Landes geworden ist. Wir wissen heute nur, was aus dem geteilten Land wurde.

Nun war Christa Wolfs Entscheidung für Ritas (und ihr eigenes) Hierbleiben natürlich eine Parteinahme für den Staat und die Utopie einer anderen Gesellschaft, die er seinem Selbstverständnis nach ja auch war. Dass diese Liebesgeschichte, die an den Verhältnissen, die so tief in alles Private eingriffen, scheiterte, auch heute noch zu bewegen vermag, dass ihre Sprache, die den reifen, immer etwas vage bleibenden Christa-Wolf-Sound vorzeichnet, eben nicht von den klassenkämpferischen Forderungen ihrer Zeit angeschmuddelt ist, macht einen guten Teil ihrer Wirkung aus.

Köhler hat eine Suche nach verlorenen Illusionen inszeniert. Sicher, die Liebe von Manfred und Rita scheitert, weil er sich entschließt, ein Jobangebot im Westen anzunehmen, wo dem Chemiker die Schwierigkeiten wegorganisiert werden, die ihm im Osten den letzten Nerv rauben. Und weil sich die junge Rita entschließt, ihm nicht zu folgen, sondern sich für ihre Arbeit im Waggonbau Halle und ihre Zukunft als Lehrerin entscheidet. Das hat auch mit dem Mauerbau zu tun, der diese Entscheidungen zementiert. Aber nicht nur. Köhler gelingt es, weder die Utopie zu denunzieren noch aus Manfreds Pessimismus und Lebensanspruch eine alternative Klarsicht zu machen. Seine Stärke besteht darin, der zeitlosen Suche der Jüngeren nach dem inneren Antrieb, dem eigenen Selbstverständnis und dem Anspruch an das Leben nachzuspüren. Damit wird dieses Stück aus der Zeit des Mauerbaus auch zu einem von heute.

Sein bester Einfall ist die Verdreifachung der Rita. Die älteste (Hannelore Koch) führt wie ein Alter Ego der Autorin (und mit Passagen aus ihrem späten Lebensresümee „Stadt der Engel“) in die Geschichte ein. Sie liefert fortan eine rückblickende Abgeklärtheit. Als junge Verliebte erweist sich die blutjunge Lea Ruckpaul als Idealbesetzung. Die Rita im Krankenhaus, nach dem Selbstmordversuch (aus deren Perspektive Christa Wolf erzählt) ist auch bei Annika Schilling noch sehr jung, aber durch eine zentrale Verlust-Erfahrung eingedunkelt. Als Manfred macht Matthias Reichwald den Glücks- und Lebensanspruch des Chemikers vital deutlich, aber auch seine innere Zerrissenheit und seine Liebe zu Rita glaubhaft. Albert Goette und Hannelore Koch bieten als seine Eltern klar konturierte Reibungsflächen. Ahmad Mesgarha, Philipp Lux und Albrecht Goette statten Ritas väterlichen Brigade-Freund Meternagel, den redlichen Aufsteiger Wendland und den Dauernörgler Kuhl als personifizierten sozialistischen Betriebsalltag im Waggonbaus Halle-Ammendorf auch mit einer Portion von komödiantischem Witz aus.

Auch wenn an diesem Abend die Sprache dominiert, so ist der herabhängende Wolkenhimmel, von dem sich Rita einmal ein Stück himmelwärts ziehen lässt, und dann die sich steil aufrichtende Spielfläche als Metapher für die Mauer ein starkes Bild (Bühne: Karoly Risz). So wie die immer wieder aufgeblasenen und platzenden Luftballons, als Sinnbild des sozialistischen Produktionsalltages oder der immer wieder scheiternde Versuch, die steile Wand hinaufzugelangen, subversiv komödiantischen Witz einschmuggeln. Langer, dankbarer Beifall.