"Eine Luxus-Diskussion"

FLUCHT II Wilfried Schulz, Intendant in Dresden, über das Engagement des Staatsschauspiels

Wilfried Schulz

ist seit 2009 Intendant des Staatsschauspiels Dresden. Vom kommenden Jahr an wird der 63-Jährige zum Düsseldorfer Schauspielhaus wechseln.

taz: Herr Schulz, warum ist es wichtig, dass sich das Thea­ter sozial für Flüchtlinge engagiert?

Wilfried Schulz: Ich würde wenig davon halten, soziale Aktionen zu betreiben, wenn es nicht auch auf der Bühne eine Haltung dazu gäbe. Unser Spielplan ist aber extrem geprägt von den Themen, denen man in Dresden nicht entkommt. Jeden Montag ziehen die Pegidisten mit hass­er­füllten Parolen am Haus vorbei – ich stehe auf dem Balkon und finde es gespenstisch. Es erinnert an alte Wochenschauen, die man nicht mehr sehen will. Es gibt eine große Übereinkunft innerhalb des Hauses, aber auch weit in die Stadtpolitik hinein, dass wir die selbstverständliche Aufgabe haben, Flagge zu zeigen. Wer, wenn nicht Theater, soll über Toleranz und Weltoffenheit reden?

Wie kam es dann zum praktischen Einsatz?

Der reale gesellschaftliche Konflikt ist in Dresden erst seit dem Sommer vorhanden, vorher war die Begegnung mit dem „Fremden“ eine reine Fiktion in dieser Stadt. Zu diesem Zeitpunkt haben wir beschlossen, unmittelbar zu reagieren. Weil es als Theater auch unsere Aufgabe ist, soziale Zusammenhänge mitzugestalten, und weil viele Mitarbeiter ein Bedürfnis haben, etwas zu tun. Wir leben im Jahr 2015 und nicht 1931. Viele ­Menschen möchten zum Ausdruck bringen: Wir wollen nichts versäumen! Wir wollen handeln! Einerseits auf der Bühne, andererseits aber auch in diesem sozialen Bereich. Die Diskussion darüber, ob es die dezidierte Aufgabe von Theater ist, hier zu helfen, halte ich für ­luxuriös.

Welche Rückwirkung hat das aufs Theater?

Ich fände es zynisch, uns vorzuhalten: Ihr Theater seid froh, dass ihr endlich wieder eine Aufgabe habt. Theater steht immer in einem gesellschaftlichen Zusammenhang. Seine Nützlichkeit in den sozialen oder politischen Bereich hinein ist mal mehr, mal weniger zu fassen. Aber seit der Antike ist sie nie verloren gegangen. Wenn ich die Mittel hätte, würde ich zehnmal so viel machen! Ich würde alles tun, was hilft: direkt, in der Kommunikation mit Flüchtlingen. Und ich würde auch gern zehnmal so viele Zeichen setzen und sagen: Nein, ihr Engstirnigen und Hasserfüllten, ihr seid nicht die Mehrheit und ihr werdet es auch nicht werden!

Interview Barbara Behrendt