Selbstschutz ist kein Terror

Justiz Eine islamistische Mutter lernte in Syrien das Schießen, um sich und ihre Töchter zu verteidigen. Das war nicht strafbar, stellt der Bundesgerichtshof nun fest

Andrea B. im Februar 2015, während ihres Prozesses im Münchener Landgericht Foto: Peter Kneffel/dpa

Aus Karlsruhe Christian Rath

Wer sich in den syrischen Kampfgebieten zur Selbstverteidigung das Schießen beibringen lässt, ist nach deutschem Recht noch kein Terrorist. Das entschied jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) im Fall der sogenannten „Allgäuer Islamistin“.

Die Verkäuferin Andrea B. aus Immenstadt im Allgäu konvertierte vor drei Jahren zum Islam und radikalisierte sich schnell. Anfang des letzten Jahres zog sie mit ihren zwei Töchtern, die damals drei und sieben Jahre alt waren, nach Syrien und wurde dort Zweitfrau eines Kämpfers der islamistischen Al-Nusra-Front. Diese wird dem Terrornetzwerk al-Qaida zugerechnet.

Andrea B. wollte zwar nicht selbst an den Kämpfen gegen das Assad-Regime teilnehmen, doch ließ sie sich vor Ort im Gebrauch von Maschinenpistole, Sturmgewehr und Handgranaten unterrichten. Im Fall eines Angriffs der Regierungstruppen wollte sie sich und ihre Töchter verteidigen können. Weil die Lage allerdings immer gefährlicher wurde, kehrte Andrea B. im Mai vergangenen Jahres zusammen mit den Kindern nach Deutschland zurück.

Das Landgericht München I verurteilte die junge Frau im Februar 2015 nur zu einer eineinhalbjährigen Bewährungsstrafe wegen Kindesentziehung. Denn sie hatte den Vater der Mädchen vor ihrer Reise nach Syrien nicht nach seinem Einverständnis gefragt.

Gegen dieses milde Urteil ging die Staatsanwaltschaft in Revision. Sie wollte, dass Andrea B. auch wegen „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ verurteilt wird. Diese Anti-Terror-Vorschrift war erst im Jahr 2009 als Paragraf 89a ins Strafgesetzbuch eingeführt worden, um EinzeltäterInnen oder lose Gruppen schon im Vorfeld von Terrortaten bestrafen zu können.

In der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe hatte auch die Bundesanwaltschaft für eine zusätzliche Bestrafung plädiert. Eine Verteidigung gegen die offiziellen syrischen Truppen sei nicht gerechtfertigt gewesen, denn diese handelten rechtmäßig, wenn sie versuchten, von Rebellen besetztes Gebiet zurückzuerobern. Jede militärische Konfrontation mit Assads Armee sei daher eine schwere Gewalttat, die den syrischen Staat gefährde.

Dem folgte der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs nun aber nicht. Zwar sei es strafbar, sich im Umgang mit Schusswaffen unterweisen zu lassen, wenn man dabei eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet. Doch nicht jede Gewalttat in einem bewaffneten Konflikt falle unter das deutsche Anti-Terror-Strafrecht, so der Vorsitzende Richter Jörg-Peter Becker. Erforderlich sei vielmehr eine „Gesamtbetrachtung“.

Nicht jede Gewalttat in einem bewaffneten Konflikt ist strafbar

Und dabei spiele auch eine Rolle, dass die Angeklagte Andrea B. zwar mit der Al-Nusra-Front sympathisiert habe, sich aber nicht aktiv an Kämpfen habe beteiligen wollen. Die Waffenausbildung habe sie nur absolviert, um ihr eigenes Leben und das ihrer beiden Kinder zu schützen. Sie habe mit ihren Kindern sogar mehrfach den Wohnort gewechselt, um nicht in Kämpfe verwickelt zu werden. Die Zielrichtung ihres Handelns sei also vor allem „defensiv“ gewesen und habe sich „allenfalls mittelbar gegen die staatliche Ordnung“ in Syrien gerichtet.

Zum Schluss wurde Richter Becker noch grundsätzlich. Im Kontext von Bürgerkriegen sei der neue Paragraf 89a generell „zurückhaltend“ auszulegen. Schließlich seien von der Norm alle ausländischen Staaten, auch „Diktaturen und Unrechtsstaaten“, geschützt. Möglicherweise will der Bundesgerichtshof den Paragrafen 89a auch bei der Vorbereitung auf aktive kämpferische Handlungen im syrischen Bürgerkrieg nicht anwenden.

Az. 3 StR 218/15

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