Die deutschen Krisen-Gewinne schrumpfen

Vom Überleben in der Krise

VON JÜRGEN VOGES

Die Eurokrise geht ins vierte Jahr – und ist damit nur wenig jünger als die seit Oktober 2009 amtierende schwarz-gelbe Bundesregierung. Die Krise hat Deutschland einen großen Machtzuwachs in Europa beschert. Das Resultat der Krise, die Kluft zwischen wachsender Armut im Süden der Eurozone und ihrem relativ prosperierenden Norden, muss sich die Bundesregierung zurechnen lassen.

Als es noch kostengünstig möglich war, verweigerte Kanzlerin Angela Merkel den Euro-Krisenländern zunächst jede Unterstützung. Bis heute sperrt sich Berlin gegen einen Ausgleich des Zinsgefälles innerhalb des Währungsraums. Immerhin hinderte die Bundesregierung im Sommer die Europäische Zentralbank nicht daran, die Währung zu retten, und trägt mit dem Rettungsfonds selbst zu deren Erhalt bei.

Die halbherzige deutsche Rettungspolitik folgte und folgt aber durchaus einer Logik. Die Bundesregierung will den heutigen Euroraum erhalten, weil etwa ein Nord-Euro sehr stark würde und deutsche Exporte verteuerte. An einem wirklichen Ende der Dauerkrise hat Berlin aber letztlich gar kein Interesse. Die deutsche Exportwirtschaft konnte in den vergangenen Jahren nicht trotz, sondern wegen der Eurokrise Rekorde aufstellen. Der schwache Euro, die niedrigen Zinsen und der Zustrom von Kapital aus Südeuropa förderten die Ausfuhr, beflügelten den deutschen Aktienmarkt und senken die Kreditkosten.

2012 belief sich der Wert der deutschen Exporte nach Schätzung des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen auf 1,103 Billionen Euro und übertraf den Rekord des Vorjahres um 4 Prozent. Stark gestiegene Lieferungen nach Übersee konnten den leichten Rückgang der Ausfuhren in den Euroraum mehr als ausgleichen. Die Exporte in Nicht-EU-Staaten wuchsen gegenüber dem Vorjahr um gut 10 Prozent, die Ausfuhr in die gesamte EU stagnierte, nur die Lieferungen in andere Euro-Staaten sanken krisenbedingt um knapp 2 Prozent.

Rückenwind erhielten die deutschen Geschäfte mit Nicht-EU-Staaten vor allem durch den niedrigen Eurokurs. Die Gemeinschaftswährung hatte durch die Krise 20 Prozent an Wert verloren und kostete im Sommer nur noch 1,21 Dollar. Entsprechend verbilligten sich deutsche Ausfuhren in den Dollarraum oder nach Japan. Die deutsche Exportkraft erreichte 2012 den höchsten Wert seit 1991.

Deutsche Unternehmen und Gebietskörperschaften profitierten zudem von der Politik des billigen Geldes, mit der die Europäische Zentralbank (EZB) die Krise im Süden des Währungsraums bekämpft. Die EZB kann ihre Geldpolitik nur an der Gesamtentwicklung des Euroraums ausrichten.

Ihr Gegensteuern gegen die europäische Rezession verbilligt auch Kredite und Investitionen keineswegs notleidender deutscher Konzerne und fördert die hiesige Bauwirtschaft. Ein großer Nutznießer der Minizinsen war zudem der Bundesfinanzminister: 2009 zahlte der Bund für einen Schuldenberg von 1,05 Billionen Euro 38 Milliarden Euro Zinsen; 2012 waren für 1,3 Billionen Euro Schulden nur rund 31 Milliarden Zinsen fällig. Käufer deutscher Staatspapiere akzeptieren zeitweise negative Renditen. Je teurer die Verschuldung für die Euro-Krisenländer wurde, umso billiger wurde sie für Deutschland.

■ ist freier Autor in Berlin. Von 1982 bis 2010 berichtete er aus Niedersachsen für die taz über Energie- und Wirtschaftspolitik. Zuletzt bearbeitete er in der Wirtschaftsredaktion der Nachrichtenagentur dapd die Schwerpunkte Konjunktur und Eurokrise.

■ An dieser Stelle wechseln sich wöchentlich unter anderem ab: Gesine Schwan, Rudolf Hickel, Ulrike Herrmann, Jens Berger, Sabine Reiner und Eric Bonse.

Doch diese deutschen Vorteile schwinden. Der Euro hat mittlerweile wieder 10 US-Cent an Wert hinzugewonnen. Der US-Haushaltsstreit hat die Eurokrise als internationales Finanz-Topthema verdrängt. Auch das Zinsgefälle innerhalb der Eurozone sollte mit Abflauen der Krise geringer werden.

Finanzminister Schäuble hält die Eurokrise für halbwegs ausgestanden. Die Bundeskanzlerin glaubt allerdings, dass „das wirtschaftliche Umfeld nächstes Jahr nicht einfacher, sondern schwieriger“ wird. Ein Widerspruch ist das nicht. Mit der Entspannung der Krise schmelzen auch die Krisengewinne dahin.