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Mit Kanonen auf linke Spatzen

Repression Im Friedrichshainer Nordkiez spitzt sich die Lage zu. Solidarität mit den Anwohner*innen braucht es schon vor der Demo am 6. Februar

Wie Solidarität zeigen? Ein Spaziergang durchs Viertel ist der richtige Anfang (CC BY-ND 2.0) Foto: Chiara Alchimia

von Desiree Fischbach

Im September letzten Jahres, während in Hamburg die große Neonazidemo „Tag der Patrioten“ stattfinden sollte, die im Vorfeld allerdings vom Bundesverfassungsgericht verboten wurde, wurde auch die Rigaer Straße, das jahrzehntealte Herz und der Rückzugsraum der linken Szene in Friedrichshain, von mehr als 40 Neonazis angegriffen. In den frühen Morgenstunden kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit einigen Anwohnern.

Dass im Friedrichshainer Nordkiez um die Rigaer Straße im Umkreis von 3,5 Kilometern kurze Zeit später, seit Anfang Oktober 2015, die Anzahl der Streifen, die verdachtsunabhängige Personenkontrollen durchführen, erhöht wird, liegt allerdings nicht an Neonazis. Auch, dass die Polizei erneut mehrfach an der Rigaer 94 anrückt, um mit eher peinlichen als legitimierenden Fundstücken wie Kellergerümpel, wieder abzurücken, liegt nicht an Neonazis. Bei einer Hausdurchsuchung ohne Durchsuchungsbefehl am Abend des 13. Januar 2016, mit der Begründung „Gefahr im Verzug“, rücken unter anderem 550 Polizisten samt SEK, Hundestaffel und Hubschrauber an und dringen in die Rigaer 94 ein. Es geht nicht um Neonazis.

Es liegt an den Anwohnern, der linksautonomen Szene, deren Ergebnisse Tom Schreiber von der SPD, der bei einer früheren Massenkontrolle im November 2015 dabei ist, auf Twitter als „Widerlich! Abartig! Ekelhaft!“ bezeichnet. Schreiber fordert: „Harte Hand! Harter Druck! Schnelle Verurteilungen!“.

Seit der „Langen Woche der Rigaer Straße“ im Juli 2015 spitzt sich die Situation im Nordkiez zu. Als im September letzten Jahres Steine von einem Hausdach auf einen Streifenwagen geworfen werden, deutet Innensenator Henkel dies als linksextremen Terror und schießt auf diese vermeintliche „Kampfansage gegen den Rechtsstaat“ nun mit den sprichwörtlichen Kanonen auf die linken Spatzen auf den Dächern zurück.

Nun muss man noch nicht mal Anhänger*in der linksautonomen Szene sein, die, zugegebenermaßen hier und da manchmal auch selbstgerecht und ritualhaft gegen den Staat und seine Organe agiert, um zu merken, dass hier gleichwohl Unverhältnismäßigkeit und Ungerechtigkeit von der anderen Seite zu Tage treten, denen es sich gemeinsam mit den Anwohner*innen solidarisch entgegenzustellen gilt.

Nun ruft unter anderen die Piratenpartei zur Solidarität mit den Anwohner*innen der Rigaer Straße auf und stellt auf ihrer Website heraus: „Die Härte, mit der Innensenator Henkel diesen Einsatz durchführen lässt, deutet auf eine Instrumentalisierung zum vorgezogenen Wahlkampf hin.“ Außerdem heißt es: „Nein zu Gefahrengebieten! Durchsuchungen von Privatwohnungen nur mit richterlichem Durchsuchungsbefehl.“Dass Solidarität auch einfach humoristisch sein kann, bewiesen bereits einige Potsdamer Hausprojekte, die besondere Grüße gegen Polizeiwillkür nach Berlin sendeten, indem sie freiwillig Gegenstände an die Potsdamer Polizeiwache übergaben, die „mit viel Phantasie“ als „gefährlich“ ausgelegt werden könnten.

Also nichts wie hin da, wenn es auf der Demo am 6. Februar 2015 heißt: „Rebellische Strukturen verteidigen, solidarische Kieze schaffen!“ Um 16 Uhr geht es mit einer Kundgebung in der Gürtelstraße los.

Da der 6. Februar noch über zwei Wochen hin ist, sind alle herzlich eingeladen, sich auch schon vorher und auch andernorts solidarisch zu zeigen.

Erik, Anwohner der Rigaer Straße, wurde selbst schon fünf Mal unverhältnismäßig und verdachtsunabhängig kontrolliert und gibt den Rat, alles möglichst genau zu dokumentieren, sollte man in eine derartige Situatuin geraten oder etwaige Kontrollen beobachten. Filmmaterial zu sammeln und Öffentlichkeit zu schaffen sind wichtige Strategien, denn nicht selten passieren Regelverstöße durch Polizist*innen, die es anzuzeigen gilt. Auf gar keinen Fall sollten Berliner*innen den zu Unrecht verteufelten Bezirk meiden, sondern ihn ganz normal zu jeder Zeit weiter frequentieren. Auch wenn Einsätze stattfinden, ist so viel Öffentlichkeit und Kontrolle erwünscht wie möglich, so Erik. „Wenn die viele sind, sollten wir auch viele sein. Sonst fühlen sie sich überlegen und machen, was sie wollen.“ Außerdem könne man gerne etwa auch offene Briefe verfassen. An Henkel oder an die direkten Abgeordneten und diese Ungerechtigkeit anprangern. Laut Erik ginge es klar um Gentrifizierung, die Räumung der 94 und die Verdrängung der Linken. Koste es, was es wolle. Und wenn der Preis die Ungerrechtigkeit ist. Am 2. Februar ist in der Galiläakirche eine Versammlung geplant. Wie im Alltagsleben im Nordkiez, bei den offenen Briefen, den großen und kleinen Polizeieinsätzen, hat Erik auch für die Versammlung und die Demo den Wunsch: „Je mehr, desto besser.“