Unschöne neue Welt

LITERATUR Wahnsinn und Gesellschaft: Angelika Meiers „Heimlich, heimlich mich vergiss“ erzählt von einer ins Wanken geratenen Sci-Fi-Psychiatrie

Beeindruckt war letztes Jahr nicht nur unsere Rezensentin von Angelika Meiers zweitem Roman „Heimlich, heimlich mich vergiss“ (Diaphanes, 336 S., 22,90 Euro). Angesiedelt hat die Literaturwissenschaftlerin, die über Jacques Derrida, Ludwig Wittgenstein und die „Aporie in Philosophie, Literatur und Lebenspraxis“ promoviert hat, ihre zwischen Science Fiction und subversiver Satire auf die durchtherapierte Gesellschaft balancierende Erzählung in einer futuristisch-kafkaesken psychiatrischen Klinik, in der mit einem in die Brust implantierten, Erinnerungen unterdrückenden „Mediator“ optimierte Ärzte ihre ewig kranken Patienten mit allerlei Psychopharmaka, Geschlechtsverkehr, Yoga oder Esoterik ruhigstellen.

Totale Transparenz lautet das Credo im Glaspalast auf dem Hügel und so muss auch der mit einer zusätzlichen Hirnrinde ausgestattete Cyborg-Psychiater Franz von Stern vorschriftsmäßig als „Referent in eigener Sache“ einen Bericht über sich selbst verfassen. Dann aber gerät das hermetisch abgeschlossene System, in dem niemand mehr weiß, wo überhaupt der Ausgang liegt, ins Wanken: Plötzlich taucht eine ambulante Patientin auf, in der der scheiternde Selbstbeschreiber auch noch seine Ex-Frau entdeckt.

Gespickt ist Meiers surreale Wissenschaftsfarce mit subtilen Verweisen auf philosophische und literarische Diskurse über Identität und Macht, Wahnsinn und Normalität, Vergangenheit und Zukunft. Und mit nicht minder subtilen Seitenhieben gegen eine Gegenwartsgesellschaft, in der der Zusammenhang von Transparenz und Undurchschaubarkeit, Depression und Selbstoptimierung immer psychotischere Züge annimmt. Am Montagabend liest Angelika Meier im Literaturzentrum aus ihrem ebenso intelligenten wie subversiven Roman.  MATT

■ Mo, 7. 1., 19.30 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38