Da Gegen!

Jubiläum Vor 100 Jahren gründete sich in Zürich das dadaistische „Cabaret Voltaire“. Ihren Höhepunkt erreichte die Bewegung 1920 mit der „Internationalen Dada-Messe“ in Berlin. Das Publikum war vor allem eins: empört!

Sie karikierten mit beißendem Spott den wilhelminischen Obrigkeitsstaat

von Cara Wuchold

„Gegen die ästhetisch-ethische Einstellung! Gegen die blutleere Abstraktion des Expressionismus! Gegen die weltverbessernden Theorien literarischer Hohlköpfe!“ Der Dadaismus hatte klare Feindbilder. Expressionisten? Sesselpupser! Futuristen? Schwachköpfe! So stand es klar und deutlich im Manifest. Der Schriftsteller Richard Huelsenbeck war Mitunterzeichner und schon 1916 bei der Gründung von Dada im Zürcher Cabaret Voltaire dabei.

Ein Jahr später schleppte er den Dada-Virus auch in Berlin ein. Und infizierte eine Horde politisierter Künstler, die aufbegehrten gegen Weltkriegstaumel und satte Bürgerlichkeit. Im Jahr 1918 gründete Richard Huel­senbeck mit den Künstlern Raoul Hausmann, George Grosz, John Heartfield und – als einzige Frau – Hannah Höch den Club Dada. Es gab keine Regeln, Satzungen, Statuten, kein festes Programm. Sie trumpften auf mit Lärmmusik, Zufallsgedichten oder Collagen und waren sich einig in ihrem Streben nach Anti-Kunst. Gemeinsam mit Huelsenbeck und Hausmann ging der selbst ernannte Berliner „Oberdada“ Johannes Baader auf Dada-Tournee.

Höhepunkt der Bewegung war die „Erste Internationale Dada-Messe“, gezeigt vom 1. Juli bis 25. August 1920 in der Galerie von Otto Burchard, der seine Räume im Hinterhof des Hauses am Lützowufer 13 zur Verfügung stellte. Das Lützowviertel war in der Weimarer Republik das Zentrum des Berliner Kunsthandels, und später gründete genau hier Alfred Flechtheim seine Galerie – wie Herwarth Walden einer der wichtigsten Förderer avantgardistischer Kunst in der Weimarer Republik, der auch George Grosz vertrat.

Die Ausstellungswände der Dada-Messe waren dicht behängt mit Gemälden, Druckbögen, Collagen, Buchumschlägen, Aquarellen, Zeichnungen, Zeitungen oder Reklameentwürfen. Plakate skandierten Parolen wie „Nieder die Kunst – Dilettanten erhebt euch gegen die Kunst!“ Der „Preussische Erzengel“ von John Heartfield and Rudolf Schlichter hing von der Decke: ein Soldat als lebensgroße Puppe mit Schweinskopfmaske in Feldgrau. Die Reichswehr zog damals vor Gericht – eine Rekonstruktion ist heute im Besitz des Museum of Modern Art.

Hannah Höch zeigte mit ihren Fotomontagen ein ganz neues Kunstgenre. Sie zerschnitt Illustriertenfotos und Schlagzeilen aus den Medien, kombinierte sie neu und schuf daraus ironisch-verfremdete Kaleidoskope. Reichspräsident Friedrich Ebert erschien so in Badehose und der amerikanische Präsident und Friedensnobelpreisträger Woodrow Wilson als Friedensengel. In der 1919 entstandenen Montage „Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte Weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands“, heute im Besitz der Neuen Nationalgalerie, kreuzt Höch Zeitungsschnipsel über Militär und Politik, Wissenschaft, Industrie und Revolution. Das Bild avancierte zur Dada-Ikone.

Und auch Max Ernst, der Dada in Köln etablierte, reiste an und war Mitorganisator des Spektakels in Berlin. Der Künstler und Autodidakt hatte als Expressionist begonnen, stellte allerdings bald fest: „Nicht die vernünftigsten Menschen haben Weltgeschichte gemacht, sondern die Wahnsinnigen.“ Und er zog daraus eindeutige Schlüsse für seine Kunst: „Wenn die Malerei ein Spiegel der Zeit ist, muss sie wahnsinnig sein.“

Der Maler George Grosz – traumatisert vom Ersten Weltkrieg – karikierte mit beißendem Spott den wilhelminischen Obrigkeitsstaat, die menschliche Verrohung, sexuell motivierte Gewalt oder das Schicksal der Kriegsversehrten. Er kassierte Anzeigen wegen Beleidigung des Militärs, Verbreitung unzüchtiger Schriften und Gotteslästerung wie auch andere seiner Dada-Kollegen.

Überhaupt war das Berliner Ausstellungspublikum vor allem eins: empört. Der Schriftsteller und Journalist Kurt Tucholsky bezeichnete Dada nach seinem Ausstellungsbesuch als „Krampf“. Man sei „von neun bis sieben Uhr ununterbrochen zersetzend lustig und satirisch aufgelegt“. Nur einen ließ er gelten: „Dieser eine, um den sich der Besuch lohnt, ist George Grosz, ein ganzer Kerl und ein Bursche voll unendlicher Bissigkeit. (…) Er allein ist Sturm und Drang, Randal, Hohn und – wie selten: Revolution.“

Nach dem Zweiten Weltkrieg inspirierte der Dadaismus Kunstströmungen wie Fluxus oder die konkreten Poeten , aber auch die Berliner Subkulturen ließen sich immer wieder anstecken von seinem anarchischen Potenzial. Wie viel Blödsinn steckte in Dada und wie viel künstlerische Kraft? Zum 100. Dada-Jubiläum kann man sich diese Frage jetzt noch einmal neu vornehmen. Denn dem Wahnsinn, den Max Ernst beschrieb, dem sind wir ja immer noch oder gerade jetzt wieder sehr nah.

100 Jahre Dada: Veranstaltungen in Berlin

Die Bewegung hatte klare Feindbilder: erste Internationale Dada-Messe in Berlin im Juni 1920 Foto: Wikimedia Commons

Am 5. 2. 1916 eröffneten Emmy Hennings und Hugo Ball das Cabaret Voltaire. Im Verbrecher Verlag erscheint deshalb nun der großformatige Band „Eine lebendige Zeitschrift gewissermassen“ von Thilo Bock, in dem die Entstehung des Dadaismus untersucht und weder Balls Katholizismus noch sein Anarchismus unterschlagen werden. (Lesung, 9. 1., Bar Fahimi, Skalitzer Str. 133). Außerdem feiert das Acud Theater vom 5. bis 7. 2. das Festival „DaDa iN BeRLiN“ mit Ausstellungen, Performances, Musik und Filmen (Veteranenstr.21, www.acud.de); die Ausstellung „Dada Afrika“ in der Berlinischen Galerie präsentiert noch bis zum 7. 11. Werke aus internationalen Sammlungen (Alte Jakobstr. 124–128, www.berlinischegalerie.de).