Begegnungen am Wegesrand

Gesellschaft Das Kino Arsenal widmet Rakhshan Bani-Etemad, der wichtigsten Regisseurin des Iran, eine Werkschau

Mit „Nargess“ rücken die Marginalisierten in den Städten des Iran ins Zentrum der Filme Foto: Rakhshan Bani-Etemad

von Fabian Tietke

Eine Taxifahrt durchs nächtliche Teheran. Ein gerade aus dem Ausland in den Iran zurückgekehrter Dokumentarfilmer kriegt von dem Gelegenheitstaxifahrer Abbas erzählt, wie er versuchte, das Land zu verlassen und notgedrungen schließlich am Steuer des Taxis gelandet ist. Die Verlockungen einer Flucht ins Ausland ist allgegenwärtig. Kaum ist der Dokumentarfilmer ausgestiegen, steigt eine junge Mutter mit einem kranken Jungen im Arm ins Taxi. Die Mutter entpuppt sich als die beste Freundin von Abbas’ Schwester, die unterdessen zur Sexarbeit gezwungen ist, um zu überleben. Mutter und Sohn verschwinden aus dem Auto, als Abbas kurz anhält, um ein Spielzeug als Trostpflaster für den kranken Jungen zu kaufen. Dann endlich kann Abbas seine Tochter von seiner Mutter abholen.

Die iranische Regisseurin Rakhshan Bani-Etemad kehrt mit ihrem neuesten Film „Ghesse-ha“ (Tales) nach einem längeren Ausflug in den Dokumentarfilm zum fiktionalen Film zurück. Das Berliner Arsenal widmet der wichtigsten Regisseurin des Iran nun eine Filmreihe. „Tales“ driftet auf äußerst elegante Art durch Geschichten aus dem Alltag in Teheran. Vom unfreiwilligen Taxifahrer Abbas zur Geschichte von dessen Mutter, die versucht, ihren ausstehenden Lohn von der Regierung zu bekommen. Im Wartesaal eines Ministeriums kreuzen sich die verschiedene Geschichten von der Konfrontation mit einer korrupten, selbstverliebten, ineffizienten Bürokratie wegen allerlei Alltagsproblemen. Die Handlung verschiebt sich durch Gespräche während einer U-Bahn-Fahrt weiter, bis sie in einer privaten Klinik für Frauen landet.

„Tales“ führt Handlungsstränge aus früheren Filmen Bani-Etemads seit Anfang der 1990er Jahre zusammen. In einem Interview mit der Filmzeitschrift Filmcomment erklärt Bani-Etemad das, wie folgt: „Die Personen in meinen Filmen – vom ersten Film bis heute – basieren auf Menschen, mit denen ich mein Leben geteilt habe und auf die ich bei den Recherchen zu den Filmen gestoßen bin. Sie kommen mir immer wieder in den Kopf, und wenn ich an sie denke, frage ich mich, was sie nun wohl machen würden.“

Besonderes Augenmerk gilt den Lebensbedingungen von Frauen im Iran

Rakhshan Bani-Etemad begann Ende der 1980er Jahre nach ihrem Filmstudium in Teheran und einer kurzen Station als Dokumentarfilmregisseurin beim iranischen Fernsehen Kinofilme zu drehen. Ihren Durchbruch hatte sie, als sie 1992 auf dem Fajr Filmfestival in Teheran als erste Frau für ihren Film „Nargess“ den Preis für die beste Regie gewann. Mit „Nargess“ verändert sich der Ton der Filme Bani-Etemads: Die Marginalisierten in den Städten des Irans, vor allem in Teheran, rücken ins Zentrum der Filme. „Nargess“ bildet zusammen mit „The May Lady“ von 1998 und „Under the Skin of the City“ von 2001 die sogenannte Stadt-Trilogie, die Bani-Etemad auch international bekannt machte und ihr zahlreiche Preise auf internationalen Festivals einbrachte. In den Filmen der Stadt-Trilogie hat ein Ausschnitt der iranischen Wirklichkeit auf die Leinwand gefunden, der zuvor meist unsichtbar geblieben ist: Kriminalität als der letzter Strohhalm und eine Überlebenstechnik. Als wie treffend das auch die untere Mittelschicht des Iran erlebt hat, wird daran erkennbar, dass „Under the Skin of the City“ einer der erfolgreichsten Filme des Jahres im Iran war.

Besonderes Augenmerk gilt in den Filmen Bani-Etemads den Lebensbedingungen von Frauen im Iran der Gegenwart. Ein Engagement, das über die Filme hin­ausgeht: Zahlreiche Preise, die Bani-Etemad für ihre Filme gewonnen hat, stiftete sie Initiativen. Mit dem Preisgeld für „Tales“ beispielsweise förderte die Regisseurin die Errichtung einer Unterkunft für obdachlose Frauen. Dieses politische Engagement prägt auch die Dokumentarfilme, die Mitte der 2000er Jahre entstanden. „We Are Half of Iran’s Population“ von 2009 dokumentiert eine Kampagne für Frauenrechte anlässlich der Präsidentschaftswahlen im Iran. Der Film ist eine politische Intervention mit großem Aktualitätsbezug. Dass der Film heute trotz der Unmenge an sprechenden Köpfen noch sehbar ist, verdankt er neben seinem Informationsgehalt einigen wenigen raren Momenten, in denen die Lebendigkeit der interviewten Frauen die Steifheit des Films durchrüttelt. Indirekt macht der Film zudem sichtbar, welch zentrale Momente die Präsidentschaftswahlen immer wieder sind. Alle vier Jahre glimmen die Hoffnungen auf Reformen wieder auf, bevor drei Jahre Mühsal, Stagnation und enttäuschte Hoffnungen folgen.

Werkschau Rakhshan Bani-Etemad: Kino Arsenal, Potsdamer Str. 2, 6.–24. 5., am 6. & 7. 5. in Anwesenheit der Regisseurin, www.arsenal-berlin.de