Multitalent Jim Avignon im Interview: „Gefühlt bin ich ein kleiner Anarchist“

Der Maler und Musiker Jim Avignon mag das Chaos. Ein Gespräch über teure und billige Kunst, die Gentrifizierung und New-Yorkifizierung Berlins.

Jim Avignon bei der Arbeit

„Für viele Galerien bin ich doch eher eine Art sichere Bank“: Jim Avignon. Foto: dpa

taz: Herr Avignon, Sie sind ein bekannter Maler und Künstler, scheinen aber völlig frei von Allüren zu sein und wirken wie ein Duztyp, den man gerne als Nachbarn hätte. Sind Sie wirklich so nett und ausgeglichen?

Jim Avignon: Ende der 90er habe ich den Song „I am a friendly dog in an unfriendly world“ geschrieben. An der Aussage hat sich bis heute nichts geändert. Solange es keinen triftigen Grund gibt, nicht nett zu sein, versuche ich auch, nett zu sein. Wenn ich aber das Gefühl bekomme, dass das ausgenutzt wird, vermag ich auch mal einen anderen Ton anzuschlagen.

Zu Ihrer Nahbahrkeit gehört, dass Sie fleißig über Krisen auf Ihrer Homepage berichten. Jeder darf wissen, was bei Jim Avignon schiefläuft.

„Hier Erfolg! Da bin ich beliebt!“ – wenn ich das bei einem Künstler lese, finde ich das meist schnell ziemlich langweilig. Wenn ich die Biografie von jemandem studiere, ist diese immer dann am Spannendsten, wenn gerade etwas auf der Kippe steht oder wenn jemand seine Richtung ändert, weil er merkt: So wie bisher geht es einfach nicht weiter. Und das finde ich auch bei mir interessanter. Die Krisen haben mich zu dem gemacht, was ich geworden bin, und nicht der Umstand, dass alles immer nur gut gelaufen ist. Die Brüche sind doch viel aufregender.

Scheitern ist also etwas Positives?

Ich kann es durchaus genießen, wenn mal alles danebengeht. Es kann passieren, dass ich auf der Bühne stehe und merke, dass alles aus dem Ruder läuft, und trotzdem finde ich es großartig. Ist doch viel besser als ein einstudiertes Konzert, wo du immer dasselbe machst. Immerhin ergibt sich ja meist ein Erkenntnisgewinn aus dem Scheitern. Letztlich mag ich auch einfach Chaos, und gefühlt bin ich ein kleiner Anarchist.

Sie legen es durchaus darauf an, dass etwas nicht so läuft wie geplant. Fünf Minuten Soundcheck reichen Ihnen völlig bei Konzerten.

Man kann aber auch nach drei Stunden Soundcheck Schiffbruch erleiden. Aber es stimmt schon: Oft gehen meine Shows dann daneben, wenn ich vorher zu kurz alles eingepegelt habe. Ich bin aber nun mal jemand, der am liebsten erst mal macht, um dann hinterher festzustellen: Okay, das war jetzt klug, jenes dagegen weniger.

Manchmal pendeln Sie zwischen Arbeitswut und Ausgebranntsein. Für dieses Jahr hatten Sie angekündigt, keine Ausstellungen zu geben, weil es im letzten Jahr zu viele waren. Sind Sie manisch?

Ich würde das selbst nicht so formulieren. Als ich bekannt gab, mich in diesem Jahr vom Ausstellungsbetrieb fernhalten zu wollen, habe ich im Freundeskreis vor allem Hohn und Spott geerntet. Und es hat ja auch wirklich nicht geklappt mit der Auszeit. Die Fotos für dieses Interview sind nun auch wieder während der Vorbereitung für eine Ausstellung entstanden.

„Manchmal passiert es selbst mir, dass ich zu lange vor einem Bild sitze, und dann ist die Leichtigkeit einfach verloren“

Gab es noch einen anderen Grund, eine Pause anzukündigen, außer dem, dass Sie im letzten Jahr einfach zu viel gemacht haben?

Durchaus. Für viele Galerien bin ich doch eher eine Art sichere Bank. Sie müssen sich gar nicht so besonders bemühen mit meinen Ausstellungen, das Geld für die Miete kommt meistens trotzdem rein. Gerne werden Shows von mir auch in Monate gelegt, wo sonst nicht so viel geht, etwa in die Schulsommerferien. Diese Tendenz wollte ich stoppen. Meistens ist es so, dass ich die richtig guten Ideen erst dann bekomme, wenn das Geld knapp wird. Aber im letzten Jahr kam halt konstant Geld rein.

Mit dem Galeriebetrieb kamen Sie aber noch nie so richtig klar, oder?

Ich will, was meine Preise angeht, eben kein lineares Modell und immer höhere Preise für meine Kunst. Immer teurer, immer wertvoller, immer exklusiver, das will ich alles nicht. Galerien schon eher. Ich produziere für ein anderes Pu­blikum als das in der Kunstszene übliche. Mein Credo ist: Mehr Bilder für mehr Leute zu günstigeren Preisen.

Kunst als kapitalistische Spekulationsware, wie das heute gang und gäbe ist, dagegen haben Sie schon immer angearbeitet.

Diese Auseinandersetzung mit dem Kunstestablishment ist durchaus der rote Faden in meinem Leben. Was Punk- und Wave-Bands, die ich gut fand, als ich mit der Kunst anfing, mit ihrer Musik versuchten, das wollte ich auch mit meiner Kunst machen. Dazu gehörte, an Undergroundorte zu gehen und reduziert zu arbeiten, mit billigen Materialien und mit einem verknappten Strich. Im Prinzip habe ich also versucht, die berühmten drei Akkorde des Punks in eine Bildsprache zu übersetzen. Grundsätzlich hat sich bis heute nichts an meiner schon damals entstandenen Skepsis gegenüber dem Kunstmarkt geändert.

Jim Avignon, der ewig subversive Künstler. Irgendwann hieß es, Sie würden sich nur noch ausverkaufen und Ihre Kunst für Werbung verramschen.

In den 90ern habe ich viel in Technoclubs gemalt. Techno war das neue heiße Ding, aber Clubs waren dunkel und voller Nebel, und so waren Bilder von mir in den Clubs dankbare Bildmotive für die Trendmagazine. Ich konnte mich bald vor Anfragen, Werbung für Zigaretten oder was weiß ich zu machen, kaum retten, und ein paar der lukrativsten Angebote habe ich angenommen. Aber nach zwei Jahren war ich völlig ausgebrannt. Ich schwamm in Geld, hatte aber überhaupt keinen Plan, was ich mit all dem Geld machen sollte. Gegenüber meiner Szene hatte ich ein schlechtes Gewissen, ich fühlte mich wie ein Verräter meiner eigenen Philosophie. Ich habe dann ständig Freunde eingeladen und geschaut, dass ich die 100.000 Mark schnell wieder loswurde.

Haben Sie es denn geschafft, dass ein echter Jim Avignon auch heute auf dem Kunstsammlermarkt wirklich kaum etwas wert ist?

Es gibt eine ganze Menge Sammler meiner Kunst, manche haben bereits 200 Arbeiten von mir und kaufen immer weiter. Ich glaube aber nicht, dass diese Sammler meine Kunst als Investment kaufen. Meine Bilder kosten in Galerien inzwischen immerhin 1.000 bis 1.200 Euro, aber es wird immer weiter auch Sachen von mir geben, die man für unter 100 Euro kaufen kann. Es ist gar nicht möglich, dass eine bestimmte Arbeit plötzlich 50.000 Euro wert sein kann, wenn der Künstler weiter Kunst für 50 Euro anbietet. Außer bei Banksy vielleicht, der es wirklich geschafft hat, das Kunstsystem auf den Kopf zu stellen – da kann ich nur den Hut ziehen.

Sie können Ihre Bilder auch so billig abgeben, weil Sie so fix arbeiten. Man nennt Sie den schnellsten Maler der Welt.

„Man“ ist relativ. Ich selber habe mich mal so genannt. Ich kann tatsächlich sehr schnell eine große Wand füllen. Geschwindigkeit ist eigentlich etwas, was der Kunstidee eher diametral entgegengesetzt ist. Im Allgemeinen erwartet man von einem Künstler, dass er sich in seinem Atelier in seine Arbeit versenkt und nach drei Monaten mit einem fertigen Bild wieder rauskommt. Dagegen nun zu sagen: Hey, ich bin der schnellste Maler der Welt – das ist dann ja schon fast ein Witz. Inzwischen aber gibt es tatsächlich viele schnelle Maler, die ganzen Street-Artists etwa, und es existieren sogar Schnellmalwettbewerbe, auf die auch ich manchmal eingeladen werde.

Wie viele Bilder können Sie denn bei Ihrem Tempo in einer Woche malen? 20?

Ich kann auch an einem halben Tag 20 Bilder malen.

Brüten Sie auch mal länger über einem Bild?

Die höchste Form der Kunst ist für mich die Reduktion auf das Wesentliche. In Musik und Kunst versuche ich, mit sehr wenigen Elementen Dinge auf den Punkt zu bringen. Manchmal passiert es selbst mir, dass ich zu lange vor einem Bild sitze, und dann ist die Leichtigkeit irgendwann einfach verloren. Zu lange dran gemalt ist dann das Urteil – kannst du gleich in die Tonne treten.

Bei Wikipedia steht, Ihre Kunstrichtung nenne sich „Art Modeste“. Was ist das überhaupt?

Ich wüsste vor allem gerne, wer sich das ausgedacht hat. Meines Wissens gibt es keine „Art Modeste“. Mir gefällt es aber gut, dass im Internet jede Menge falsche und seltsame Dinge über mich stehen. Es kursieren in der englischsprachigen und in der deutschen Wikipedia sogar unterschiedliche Angaben über meinen Geburtstag und -ort.

Am 28. Februar 1968 seien Sie geboren, schreibt die deutsche Wikipedia, ein Geburtsort fehlt. In der englischsprachigen Wikipedia dagegen steht: Am 24. Dezember 1966 in München geboren. Was stimmt denn nun?

Beides ist falsch.

Sie können an dieser Stelle nun für noch mehr Verwirrung sorgen und sich ein paar ganz neue biografische Daten ausdenken.

Hmm, dafür bräuchte ich jetzt aber erst mal ein wenig Zeit. Es wäre schade, diese Möglichkeit mit etwas Unüberlegtem zu verschenken

Sie sagen, Sie wollen sich jedes Jahr in Ihrem Leben einer neuen Herausforderung stellen. Im letzten Jahr wollten Sie das Klavierspiel erlernen, um mit dem Piano „Bohemian Rhapsody“ von Queen spielen zu können. Hat das hingehauen?

Nein, das ging total schief. Ich habe eine Sehnenscheiden­entzündung bekommen und musste das Vorhaben wieder aufgeben.

Sie sind wieder einmal gescheitert, aber das ist doch gut.

Ich war schon ein wenig traurig.

Warum überhaupt ausgerechnet „Bohemian Rhapsody“? Der Bombastsong fällt einem nicht als Erstes ein, wenn man an Ihren Lo-Fi-Synthie-Pop denkt.

Die Sache mit „Bohemian Rhapsody“ war für mich halt eine aberwitzige Idee. Weder kann ich singen noch kann ich Klavier spielen, also nahm ich mir ein besonders schwieriges Stück vor, das mit dem, was ich sonst mache, möglichst wenig zu tun hat. Bei „Give peace a chance“ von John Lennon hätten alle gesagt: Okay, das kriegt selbst der Jim noch hin. „Bohemian Rhapsody“ war dagegen schon absurd over the top.

Musik ist schon ziemlich wesentlich für Sie, oder? Nicht nur weil Sie Musiker sind, sondern auch für Ihre Kunst.

Wie etwa Rapper mit Worten spielen und Sprachbilder produzieren, das beeinflusst mich auch beim Malen. 50 Prozent meiner Bilder sind von der Musik, die ich beim Malen gehört habe, beeinflusst.

Welche Musik hören Sie grade?

Die neue Platte von Drake finde ich gut. Und Tame Impala.

Gehen Sie noch viel auf Konzerte?

Tame Impala beispielsweise habe ich live gesehen. Allerhöchstens zwei- bis dreimal kann ich in der Woche noch ausgehen. Bevor ich meine Tochter hatte, bin ich eigentlich täglich ausgegangen.

Ewiger Lieblingsmusiker?

Kein Musiker, sondern ein Radio-DJ, aber ich war immer schon ein großer Fan von John Peel. Wenn ich einen Haupteinfluss in meinem Leben nennen müsste, dann wäre das John Peel. Genres waren ihm scheißegal. Er sagte: Ich spiele erst ein Acidstück, dann Rocksteady und danach Lärmpunk. Seine Auswahl war rein instinktiv, und das hat mir gefallen. Er war total nahbar und wie ich einer, der auf jede noch so eigenartige Anfrage reagierte, ganz ohne Arroganz. Ich habe ihm einmal geschrieben, prompt kam eine Postkarte von ihm, in der er sagte, wenn ich einmal in London bin, soll ich einfach bei ihm vorbeikommen. Wahrscheinlich dachte er jedoch nicht, dass ich das auch wirklich machen würde. Und so saß ich dann wenige Wochen später bei John Peel zum Tee.

In den 90ern gehörten Sie zu Berlin wie der Fernsehturm. Sie malten in Clubs und waren wichtiger Teil der Subkultur. 2006 haben Sie der Stadt überraschenderweise den Rücken gedreht und sind nach New York gezogen. Warum?

Ich war ein bisschen müde von Berlin. Vor allem aber wollte ich neuen Input. In New York war ich nur noch unterwegs und habe alles Geld, das ich eigentlich für den Lebensabend gespart hatte, ausgegeben. Ich bin wochenlang nur durch die Stadt gelaufen, ganze Tageswanderungen waren das. Ich war viel in Galerien, was ich in Berlin kaum gemacht hatte, weil ich immer das Gefühl hatte, gleich fragt mich jemand, was ich denn hier wolle, wo ich doch eigentlich gegen Galerien bin. Ich glaube, ich kenne jetzt New York sogar besser als meine Heimatstadt.

Vor zwei Jahren sind Sie zurückgekommen. Haben Sie sich im neuen Berlin gleich wieder zurechtgefunden?

Der Kotti hat sich schon sehr verändert. Freunde von mir sind dort bereits fünfmal überfallen worden. Früher ist so etwas in Berlin nicht passiert, es gab keinen Ort auf der Welt, an dem ich mich sicherer gefühlt hätte als hier. Und an einem sonnigen Tag am Nachmittag sitzen an der Kreuzberger Schönleinstraße Leute und bereiten mit ihrer Alufolie gerade ihre Drogen auf, und das sind noch nicht mal irgendwelche Junkies, sondern Hipster. Mich selbst tangiert das eigentlich nicht, aber es stört mich doch, wenn ich da mit meiner Tochter vorbeilaufe.

Gentrifizierung, Hipster, alles, was die Berliner aufregt, stammt aus New York. Was kommt als Nächstes?

Essen hat in New York alle anderen Themen von Musik bis Kino inzwischen abgelöst. Essen war immer der wichtigste Gesprächsstoff in New York. Und ich hätte nicht geglaubt, dass das in Berlin ähnlich laufen würde. Aber die Dandy-­Diary-Typen haben das Gegenteil bewiesen. Diese Modeblogger machen ihren Veggie-Laden in Berlin auf, und 5.000 Leute stehen bei der Eröffnung davor auf der Straße.

Da hätten Sie auch gleich drüben bleiben können.

Die New-Yorkifizierung Berlins hat für mich aber durchaus auch ihre angenehmen Seiten. Wenn ich Heimweh nach Brooklyn habe, kann ich ums Eck in drei Bars gehen, die so aussehen wie Bars in Brooklyn und wo die Barkeeper Amerikaner sind, die Speisekarten auf Englisch, und die Gäste kommen auch aus den USA.

Zum Schluss hätten wir nun gerne noch neue biografische Eckdaten für den nächsten falschen Wikipedia-Eintrag!

In New York wurde ich immer wieder für einen Polen gehalten, was vielleicht auch daran lag, dass ich in einem polnischen Viertel gewohnt habe. Die Spur führt jedenfalls nach Polen, also nehme ich Danzig als meinen Geburtsort. Und da ich mich inzwischen lieber jünger als älter mache, wähle ich als Geburtstag den 9. März 1969.

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