Nachruf Fanny Müller: Spott und Wahrheit

Ruppiger Humor und ein funktionierendes Koordinatensystem: Die Mutter der „Frau K.“, Fanny Müller, ist im Alter von 74 Jahren gestorben.

Porträt Fanny Müller

Fanny Müller, 1941-2016 Foto: Archiv

Als ich die „Geschichten von Frau K.“ las, damals erschienen im kleinen Verlag Weisser Stein, verliebte ich mich sofort in ihren ruppigen und doch gleichzeitig liebenswerten Humor. Vor allem die Geschichte „Hassu ma ne Maak?“, als Frau K. mit eben dieser Frage belästigt wird, fand ich hinreißend, denn Frau K. stutzte die vor dem Supermarkt herumlungernden Punks mit den Worten zurecht: „Ich hab selbs keine Maak. Ich hab noch nich ma zehn Maak! Und überhaupt, ihr seid doch noch jung und gesund … ihr könnt doch ma ne Bank überfalln.“

Das war ein Ton, von dem man sofort wusste, der war nicht ausgedacht, das war der Ton einer eigenwilligen, schrulligen, alten Dame, die sich im Hamburger Schanzenviertel zu behaupten weiß, und die in ihrem Leben schon alles einmal erlebt hat. „Ne, zweimal“, würde Frau K. sagen.

Als der Verlag Weisser Stein dann pleite ging, hatte ich das Glück, dass Fanny Müller zur Edition Tiamat wechselte, wo sie trotz ihres Erfolgs, den sie kurze Zeit später mit dem zusammen mit Susanne Fischer geschriebenen Buch „Stadt Land Mord. Kriminelle Briefe nachgelassener Frauen“ hatte, dem Verlag bis zuletzt treu blieb.

Nachgelassene Frauen war eines der Themen, die bei Fanny Müller immer wieder auftauchten, aber eben nicht im Sinne von verlassen, sondern Gottseidank verlassen, oder eben „weggejagt“, weil das auch wieder „so 'n Dösbaddel“ war. Es geht also um Frauen, die ihr Leben nicht nach ihrem Typen oder Macker ausrichten, sondern die in ihrem Leben auch ganz gut ohne auskommen mit Ausnahmen selbstverständlich, aber das ist dann eben nichts Ernstes.

Frau K. war so eine Frau, wobei da der Krieg, die Währungsreform und das Schicksal eine Rolle spielen, aber sie ist eine Frau, die sich nicht unterkriegen lässt und die auf die neue Zeit und seine Hervorbringungen mit Häme und Spott reagiert, und das ja häufig nicht zu unrecht.

Den Namen zurückgekauft

Ein bisschen war Fanny Müller auch so. Auch sie war nicht gerade auf Rosen gebettet, was aber kein Grund war, sich nicht über die Scheidung mit ihrem Ehemann zu freuen, der immerhin zu einer Kolumne taugte. Als der Ex-Ehemann dann „bei einer Zeitung angeheuert hatte, von der jeder behauptet, er läse sie nicht, höchstens wegen dem Sportteil“ war das der Anlass für Fanny Müller, sich für 15 Maak beim Standesamt ihren Mädchennamen wieder zurückzukaufen. Und da weiß man doch sofort, dass Fanny Müller ein funktionierendes Koordinatensystem hatte, wenn man bedenkt, dass das heute niemand mehr schlimm findet, vielmehr sogar „irgendwie geil“.

Jedenfalls wurde Fanny Müller geboren (und zwar am 17. Juli 1941 in Helmste), ging zur Schule und so ging es dann immer weiter. Sie wuchs mit den Beatles auf, absolvierte eine Hotelfachlehre und war nacheinander Büffetstütze, Kaltmamsell, Aupair in Paris, Stewardess auf dem TEE, Privatsekretärin, Gattin, geschiedene Gattin.

Anschließend studierte sie Erziehungswissenschaften und Soziologie und wurde Lehrerin an einer Gewerbeschule sowie Bikerbraut. Sie unternahm einmal sogar einen Ausflug in die Politik und wurde in die Hamburger Bürgerschaft gewählt, wo sie für Arbeit und Soziales zuständig war. Aber da merkte sie schnell, wie wenig sie ausrichten konnte, weshalb sie sich schnell wieder davon verabschiedete.

Anständige Arbeit

Sie fing an ihre „Geschichten von Frau K.“ zu schreiben und in der Hamburger taz zu veröffentlichen. Danach hatte sie eine zeitlang eine Kolumne in der Titanic und schrieb außerdem für die jungle world, die taz, Brigitte, Stern, Weltwoche, Frankfurter Rundschau und Spiegel special. Wenn aber irgendein Redakteur glaubte, in ihren Artikeln herumpfuschen zu dürfen, verabschiedete sie sich schnell wieder. Da sie nämlich etwas „anständiges arbeitete“, war sie nicht darauf angewiesen, sich zu arrangieren.

Am 4. November 2005 erhielt sie den Ben-Witter-Preis und Willi Winkler hielt eine ganz wunderbare Laudatio. Als wir dann später in einem noblen Hamburger Restaurant auf Kosten der Zeit zusammen speisten, sagte sie zu mir: „Ich wusste gar nicht, dass der von mir spricht.“ Gefreut hat es sie umso mehr, wenngleich sie immer misstrauisch blieb gegenüber Leuten, die als offizielle Vertreter der Kultur galten, denn wie sie einmal schrieb: „Als Kind hielt ich Kultur für etwas, das Erwachsene in einem Beutel mit sich führen, wenn sie verreisen. Dieser Eindruck änderte sich im Laufe meines Lebens, allerdings neige ich heute immer mehr dazu, meinem ursprünglichen Urteil recht zu geben.“

Jetzt ist sie weg. Unterwegs zu Horst Tomayer und Harry Rowohlt, die ja auch aus Hamburg waren. Und ich weiß auch schon, was sie sagen wird: „Harry, du redest zuviel.“

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