Lauter gute Katholiken

Die Predigt verstehen wenige, doch die Kirchenbank ist voll – denn in Bayern ist man katholisch. Wer die Kirche im Dorf lässt, wird belächelt, bemitleidet oder korrigiert. Ein Familienbesuch bei einem, der alte Jeans zur Prozession trug

Hier hat alles seine Ordnung: Zu einer bayrischen Fronleichnamsprozession erscheint man besser nicht in zerschlissenen Jeans Foto: Carsten Koall/getty

von Andreas Rüttenauer

Es war eine kurze Karriere als Ministrant. Die endete mit einer kräftigen Watschn. Eine solche hätte der Frau Huber niemand zugetraut. Sie war eigentlich immer nett zu den Kindern, die sie auf die Erstkommunion vorbereitet hat. Aber wer zum Fronleichnamsumzug statt im Kommuniongewand in der von der Mutter zur kurzen Hose umgenähten Jeans erscheint, der gehört bestraft. Die anderen aus der Kommuniongruppe haben gelacht, als sie die kurze Hose gesehen haben. Der traut sich was, mögen sie sich gedacht haben, als sie sich in ihren weißen Kleidchen und mausgrauen Anzügchen in den Prozessionszug eingereiht haben. Trost hat keiner gespendet. Und schnell war auch klar, dass so einer nicht taugt als Messdiener.

Bei ein paar Frühmessen durfte er in seiner kurzen Karriere als Ministrant zur Wandlung mit den hell klingenden Glöckchen läuten. Später hat er erfahren, dass diese Gottesdienste vielleicht sogar interessant waren. Um 7.30 Uhr in der Früh hat Egon Biser in St. Sebastian gepredigt. Schwere Kost für einen zehnjährigen Buben, der bei den arg langen Predigten einen harten Kampf gegen die sonntagmorgendliche Müdigkeit auszutragen hatte. Heute weiß er, dass Egon Biser ein beinahe schon berühmter Theologieprofessor war, der zur Mystik im Christentum geforscht hat. Ob die paar Mütterchen, die sich zu dieser frühen Stunde in der Gemeinde versammelt hatten, Bisers Predigten folgen konnten, fragt er sich bis heute.

Irgendwann ist er dann gefirmt worden. Onkel Rudi, den er seitdem nur zwei Mal gesehen hat, war Firmpate, und ist mit ein bisschen Geld in einem Umschlag aus Frankfurt angereist. Der Bischof hat etwas von Talenten gepredigt, die man nicht vergeuden dürfe. Das hat ihm seine Mutter noch oft unter die Nase gerieben, weshalb er nicht allzu gern an diesen Tag zurückdenkt. Aber vielleicht ist es ohnehin egal, was der Pfarrer da vorn predigt. Hört da eigentlich jemand zu?

Vom Sinn der Ehe hat der barocke bayerische Kirchenmann bei einer Hochzeit gesprochen, zu der er eingeladen war. Dass es nun darum gehe, Kinder in die Welt zu setzen und so. Wie alt das Brautpaar war und dass es bei den beiden nun wirklich nicht mehr ums Kinderkriegen gehen konnte, muss dem Pfarrer doch eigentlich klar gewesen sein. Geärgert hat sich das Paar über die Predigt jedenfalls nicht. Es war ja so schön in dem puttengeschwängerten Kirchlein im bayerischen Oberland. Die Fotos von der weißen Braut, die neben dem stolzen Bräutigam mit den vergoldeten Engelchen um die Wette strahlt, sind ihm vor ein paar Wochen wieder in die Hände gefallen. Die Bilder waren sowieso wichtiger an diesem Tag.

Mit einem gewissen Unbehagen erinnert er sich noch an eine andere Hochzeit im Freundeskreis. Für die reiste ein Pfarrer an, der zur Familie des Bräutigams gehörte. Zur Familie gehörte auch dessen Sekretärin. Das wurde gern und oft mit einem Na-du-weißt-schon-Zwinkern erzählt. Bei der Hochzeitsfeier durfte die Sekretärin nicht neben ihrem Pfarrer sitzen. Das ginge ja nun doch zu weit, mögen sich die Hochzeitsgäste gedacht haben, wenn sie der guten Frau, die in gehörigem Sicherheitsabstand zu ihrem Partner platziert worden war, mitleidige Blicke zugeworfen haben. Er ist sich ganz sicher, dass es so war, denn auch er selbst warf der Frau so manch mitfühlenden Blick zu. An die Predigt des Pfarrers hat er keine Erinnerung mehr.

Mitfühlende und mitleidige Blicke kennt der Freund seiner Cousine wahrscheinlich zu Genüge. Oft hat man ihn nicht gesehen. Aber zu ein paar ausgewählten Familienfeiern hat sie ihn dann mitgenommen. Es wurde viel geflüstert, wenn er auftauchte: Das weißt du ja, dass der ein katholischer Priester ist. Eine arme Sau, da war man sich einig. Die Smalltalk-Frage nach dem Beruf war auch für ihn tabu.

Eine arme Sau, das hat man lange Zeit auch über ihren Bruder gesagt, seinen Cousin. Der ist selbst geweihter Priester und galt lange als Rätsel in der Familie. Jahrelang war er nicht ansprechbar. In der Pubertät hat das noch niemanden gewundert. Aber sein Cousin hat einfach nicht angefangen zu sprechen. Niemandem ist es gelungen, ihn zum Reden zu bringen. Irgendwann hieß es, dass der Cousin Pfarrer werden soll, und die ganze Familie atmete auf. Auch er konnte sich das ganz gut vorstellen, ganz so, als sei Pfarrer zu werden genau das Richtige für einen, der sowieso nie eine Frau abkriegen würde. Heute ist er Juniorprofessor an der philosophisch-theologischen Hochschule in Vallendar, beschäftigt sich mit alttestamentarischer Exegese, und die meisten in der Familie glauben immer noch, dass das genau das Richtige für seinen Cousin ist.

„Das Leben als alleinstehender Geweihter lässt mich unzufrieden zurück und vereinsamt mich“

Seine Mutter gehört zu denen, die sich da ganz besonders sicher sind. Die war vor Kurzem ganz begeistert, als sie vom Pfarrer ihrer Gemeinde einen Brief bekommen hat. „Die Herausforderungen der Glaubensvermittlung und gleichzeitig das Leben als alleinstehender Geweihter lassen mich unzufrieden zurück und vereinsamen mich“, schrieb der ehemalige Pfarrer von Holzkirchen, Anton Tulbure, damals und wurde mit Respekt beinahe schon überschüttet. Pfüat Eahna Gott, Herr Pfarrer!

Verwunderung herrscht dagegen über den Schwiegervater seiner Schwester. Als die Nichte gefirmt wurde, ist die ganze Familie wacker zur Kommunion geschritten, um sich den Leib Christi einzuverleiben. Wann sind die eigentlich das letzte Mal zur Beichte gegangen? Und wenn sie gegangen sind, für welche Sünden wollten sie die Absolution? Egal, es ist die Firmung. Wie sieht das denn aus, wenn niemand aus der Familie zur Kommunion geht? Der Schwiegervater seiner Schwester ist einer, der in der Bank sitzen bleibt. Verstehen wollte das niemand, als der Mann erklärt hat, dass er sich als Sünder fühlt, weil er vor 50 Jahren eine geschiedene Frau geheiratet hat. Man ist sich einig, dass das übertrieben ist.

Die Frau des Schwiegervaters der Schwester ist nicht der Einzige Geschiedene in seiner Familie. Auch seine Schwester hat sich vor ein paar Jahren von ihrem Mann getrennt. Das war, wie es bei Trennungen eben ist, sowieso nicht ganz einfach, aber weil sie bei einem katholischen Arbeitgeber beschäftigt ist, war es noch schwieriger. Heute weiß sie nicht, ob sie es wagen soll, ihren Mädchennamen wieder anzunehmen, und wartet, wie ein vergleichbarer Fall bei einer ihrer Kolleginnen ausgehen wird. Sie hat auch schon überlegt, ob sie noch einmal heiraten soll. Sie ist sich nicht sicher, ob sie das allein entscheiden kann, ob sie Angst um ihren Job als Leiterin einer sozialen Einrichtung haben muss. Bei der Firmung ihrer Tochter ist sie zur Kommunion gegangen. Sie ist katholisch und sie ist es nicht. Er war auch mal katholisch.