Wochenschnack
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Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von LeserInnenbriefen vor.

Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.

Zu viel Milch am Markt?

Profit Großindustrielle Milchproduktion gefährdet Kuh- und Menschen­wohl, kleinere Höfe werden niederkonkurriert. Nicht schön, meinen LeserInnen

Ist es frische Milch oder „länger haltbare“ milchige Industrieflüssigkeit? Foto: dpa

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Regulierung nötig

betr.: „Weniger wäre mehr“,taz vom 30. 5. 16

Schuld an dem Überangebot an Milch sei die Agrarlobby, so die Aussage von Jost Maurin. So falsch ist das nicht, doch sich im Markt behaupten zu wollen, ist ja noch kein Vergehen in dieser unserer Welt. Aber trägt nicht die Hauptschuld an diesen Auswüchsen die Bundesregierung mit ihrer Marktgläubigkeit? Das trifft ebenso zu für die EU, die jetzt „Limits vorgeben sollte“. Das ist doch nichts anderes als ein Eingriff in den freien Markt, allerdings ein kaum nachhaltiger. Die nächste Korrektur ist programmiert.

Ist es eine Frage der Zeit oder doch eher des zivilen Widerstands, dass endlich ökologische und soziale Kosten, die bisher externalisiert wurden, in die Preise eingehen? Das würde alles endlich vom Kopf auf die Füße stellen! Würden die Preise für die tägliche Mahlzeit der ökosozialen Wahrheit entsprechen, dann würden konventionelle Produkte wesentlich mehr kosten als biologisch erzeugte (siehe Ute Scheub, „Die ökosozialen Kosten der Agrarindustrie“, taz vom 23. Mai 2016).

Ökosoziale Wahrheit heißt Regulierung – na, was denn sonst? TTIP-Verfechter nennen das Handelshemmnisse. Was ist denn schlecht an Regulierung, an Zöllen, die regionale Märkte schützen? Nichts! Oder doch? Freihandel, der zwecks Profitmaximierung für die Marktgiganten Niedrigstlohn und Niedrigststeuern im Fokus hat, würde der Hahn zugedreht. Wem würde das schaden? Denen, die so vehement für Freihandelsabkommen argumentieren! Und wir (das sind viele!) sollten verstehen, dass wir nicht dazugehören!

DIETER STOMPE, Erfurt

Kranke Kühe

betr.: „Stille im Stall“,taz vom 30. 5. 16

Landwirte können trotz enormer Investitionen, Leistungssteigerung der Tiere und der Bestandserhöhung in den letzten Jahrzehnten nicht mehr ihre Kosten decken. Hochleistende, kranke Kühe gehören schon lange zum Alltag der heutigen Milchwirtschaft, die auf den Weltmarkt ausgerichtet ist und auf permanentes Wachstum setzt. Nun hat Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt den Landwirten eine Soforthilfe von mindestens 100 Millionen Euro versprochen, um finanzielle Engpässe zu überbrücken. Doch was ändert das an den Bedingungen der Milchproduktion? Die politisch und wirtschaftlich verfolgte Exportstrategie „Billigmilch um jeden Preis“ führte in eine Sackgasse und zu systemimmanentem Tierleid.

Für mehr Tierschutz in der Milchwirtschaft brauchen wir eine gesetzlich verankerte Haltungsverordnung für Kühe, ein Bonussystem für besonders tiergerechte Milchhöfe und mehr Transparenz für den Verbraucher. Verbraucher müssen von den Missständen in der Milchviehhaltung wissen und gleichzeitig anhand einer seriösen und verbindlichen Kennzeichnung auf der Produktverpackung erkennen können, wie die Tiere gehalten werden. Dann würden sie mit Sicherheit auch nicht mehr zur Billigmilch greifen.

KATHARINA TÖLLE, Welttierschutzgsellschaft e. V., Berlin

Oligopole

betr.: „Weniger wäre mehr“,taz vom 30. 5. 16

Die Landwirtschaft steckt nicht erst seit der Abschaffung der Milchquote in der Krise. Vielmehr erfährt sie zurzeit eine Art informelle strukturelle Anpassungsmaßnahme, wie die meisten Entwicklungsländer sie hinter sich haben. Leider kommt kaum einer aus dem wirtschaftsliberalen Denkmuster heraus, weswegen sich die Lösungsvorschläge dann auf Mengenbegrenzung oder politische Nothilfemaßnahmen wie Liquiditätsbeihilfen begrenzen. Letzteres ist dann wie ein neues „Rettungspaket“ für Griechenland, damit die Landwirte auch ja ihre Schulden zurückzahlen können.

Gerade der Bauernverband beklagt zum einen nicht kostendeckende Preise, wie sie schon seit Jahren Realität sind, und beschwört zum anderen ebendiese Marktlogik, die zu unendlichem Wachstum, zu Freihandel und Exportorientierung drängt. Doch die Tatsache, dass die lebensnotwendigsten Güter wie Lebensmittel keinen Wert mehr haben, müsste doch zu radikalem Umdenken führen. Regionalere Strukturen statt Weltmarkt, Qualität statt Billigramsch.

Die solidarische Landwirtschaft, bei der Verbraucher im direkten Kontakt mit den Erzeugern die Produktion im vorhinein finanzieren, bietet enormes Potenzial für ein anderes Wirtschaften. Denn dort machen Bedürfnisse und reale Kosten den Preis, nicht das Dogma der maximalen Konkurrenz. Genossenschaften, die ihren ursprünglichen Idealen treu bleiben, wären eine Idee, Er­zeu­ger und Verbraucher an einen Tisch zu bringen, Kooperation an die Stelle des Wachstumswahns treten zu lassen. Doch leider dient das Kartellrecht stets der Verhinderung der Stärkung der Verhandlungsposition der Erzeuger, anstatt endlich gegen die wachsende Macht der Oligopole vorzugehen.

LAURIN BERGER, Witzenhausen

Stichwortgeber

betr.: „Weniger wäre mehr“,taz vom 30. 5. 16

Der Beitrag von Herrn Maurin zum Zusammenbruch der Milcherzeugerpreise in der EU und in Deutschland beschreibt das Ausmaß der wirtschaftlichen Gefährdung der Betriebe und die nachteiligen Wirkungen auf die Dörfer in erfreulicher Deutlichkeit. Leider bleibt er aber ungenau bei der Frage, wie es zur Abschaffung der Milchmengenregulierung kam, die ja durch staatliche Vorgabe über die vom Einzelbetrieb an die Molkerei ablieferbare Höchstmenge für drei Jahrzehnte vergleichbare Preiszusammenbrüche verhindert hatte.

Eine notwendige Bedingung dafür war, dass die Bundesregierungen im Verein mit den Kommissionen der EU erst die Aufweichung und dann die Abschaffung der Milchmengenregulierung betrieben (übrigens einschließlich der früheren rot-grünen Bundesregierung). Der entscheidende „Treiber“ dieser Politik war aber zweifellos die Molkereiindustrie. Für sie galt es seit Langem als ausgemacht, dass der Absatz von Milch und Milcherzeugnissen in der EU sich nicht mehr weiter steigern ließe; steigende Umsätze seien nur noch außerhalb der EU zu erzielen („Drittlandsexporte“). Die Bundesregierungen folgten dieser Argumentation, die auch vom Deutschen Bauernverband (zu dessen stimmberechtigten Mitgliedern auch der Milchindustrieverband zählt) vehement vertreten wurde. Sie beschleunigte diese Entwicklung sogar, indem sie die „erforderlichen Kapazitätsausweitungen“ sowohl bei der Milchindustrie als auch bei den landwirtschaftlichen Betrieben mitfinanzierte.

Wer nun aber Stichwortgeber für die seit Jahren und gebetsmühlenartig wiederholte Behauptung von der großen Perspektive über Drittlandexporte war, dürfte sich wohl nur durch eine eigene Studie herausarbeiten lassen. Die Aussage von Herrn Maurin, „dass Volkswirte prognostiziert hatten, die Nachfrage nach Milch werde insbesondere in Asien dank dem Bevölkerungswachstum und neuer Ernährungsgewohnheiten steigen“, trifft die Zusammenhänge meiner Kenntnis nach nicht. Ich kenne zumindestens keinen ordentlichen Professor der Volkswirtschaft, der das behauptet hat; ich kennen andererseits keinen Professor der Agrarökonomie, der das nicht behauptet hat.

ONNO POPPINGA, Immenhausen-Holzhausen