Adolf hat keine Lust auf Selbstmord

Wiederkehr „Mephistoland“ zitiert Klaus Manns „Mephisto“-Geschichte, spielt aber im rechtspopulistischen Europa der Talentlosen von heute. Die ungarische Komödie feierte am Donnerstag Premiere im Gorki

Kleines Ensemble, schlichtes Bühnenbild: „Mephistoland“ Foto: Ute Langkafel/Maifoto

von René Hamann

Man dachte schon, es würde wieder so wie in diesem Satz sein, der durch die Szene kursiert. Dass das Gorki Theater allmählich wie ein Witz funktioniere: Stehen zwei schwule Mi­grantensöhne, eine Lesbe und ein Biodeutscher in einem Aufzug …

Am Donnerstag war alles etwas anders. Die Uraufführung fand im kleineren Studio R statt. „Mephistoland“ wurde von drei ungarischen Autoren geschrieben, einer davon, András Dömötör, hat auch die Regie geführt. Inszeniert wurde es auf Deutsch, einfache Bühne mit gestaffelten roten Vorhängen, schnelle Wechsel zwischen den Szenen. Es war fast so, wie es später im Text hieß: Es kommt jemand, sagt etwas, alle anderen verstehen es und antworten darauf. Dabei war das ironisch gemeint.

„Mephistoland“ ist eine Komödie mit politischem Hinter­grund, ein Schwank mit verdammt viel Selbstironie, und es fällt einem erst wieder auf, wie sehr und wie oft es an Selbstironie mangelt, nicht nur im deutschen Theater, wenn man ihr endlich mal wieder begegnet. Dömötör, Jahrgang 1978, hat in Budapest als Schauspieler begonnen, bis er anfing, eine „Theater-Soap zur aktuellen politischen Lage“ zu inszenieren, und „Mephistoland“ ist so etwas wie die Verdichtung davon: Ein Ein-Folgen-Soap zur Lage in Ungarn, aber auch hierzulande und in Europa.

Perfidie und Niedertracht

Es geht um die spukhafte Wiederholung der Geschichte im Kleinen: Es ist 1932, die Nazis machen sich zur Machtübernahme bereit, die liberale Gesellschaft ist an ihrer Dekadenz zugrunde gegangen, es wird Zeit, dass wieder Werte einziehen in die Institute der Gesellschaft: „Mephistoland“ wie in „Mephisto“ von Klaus Mann. Gründgens heißt hier „Höfgen“ und spielt mit dem Gedanken, opportun die Seiten zu wechseln, sein Fähnchen in den harten Wind zu hängen, Hauptsache, die Premiere von „Mephisto“, also „Faust“, findet statt, der Wechsel der Intendanz dräut.

Selbstironie, Selbstreferenz – klingt erschlagend, diese Verweiswut, ist sie aber gar nicht. Wir sehen einem Ensemble dabei zu, wie es zuerst versucht, gegen die umstürzlerischen Kräfte zu mobilisieren. Wir sehen die Perfidie und die Niedertracht und auch die Lächerlichkeit der neuen Intendanz (sehr gute Kostüme: Moïra Gilliéron), die große Reden schwingt, um nach und nach alles auf Linie zu bringen.

Wir sehen ein Filmset, das die ganze Nazigeschichte noch einmal anders ins Bild zu bringen versucht. Und wir sehen ein kleines Ensemble mit fünf Schauspielenden in verschiedenen Rollen, das kaum etwas falsch, aber vieles richtig macht, weil es sich auf die Komödie einlässt und nach anfänglichem Stocken echten Schwung entwickelt.

Mit Hilfe der Referenz „Mephisto“ werden allzu platte Verweise in die Jetztzeit vermieden. Hier fallen weder Begriffe wie „Pegida“, „AfD“, „Viktor Orbán“, „Flüchtlingskrise“, „Finanzkrise“ noch sonst ein gerade hochgelisteter Suchbegriff. Und Adolf Hitler, von der sich steigernden Bettina Hoppe sehr lustig angelegt, hat einfach keine Lust, Selbstmord zu begehen, noch ihn vorzutäuschen, weil das nicht seinen christlichen Werten entspricht, und überhaupt ist das Leben doch viel zu schön, um es schon zu beenden! Das Leben ist schön! Ihr seid alle schön!

Eine Lösung für das allgemein wuchernde Dilemma bietet das Stück klugerweise nicht an. Höfgen (Tim Porath) verfällt einem eher surreal-albern anmutenden Wahnsinn und dampft ins Exil ab; die live gespielte Skype-Verbindung mit dem dagebliebenen, in seine Rollen geschlüpften Exlover (Aram Tafreshian) ist sehr schlecht und ruckelt ständig. Die neue Intendanz, wieder Bettina Hoppe, lässt sich von der eben gefeuerten Dramaturgin (diesmal richtig gut: Mareike Beykirch) wegen offensichtlicher Talentlosigkeit züchtigen, und Mehmet Yılmaz geistert als Kleinfunktionär herum, der alle in den Wahnsinn treibt.

Doof narzisstisch ausgestellt ist hier nichts, es geht auch nicht um Pointen, es ist der allgemeine Vibe des Stücks, der Spaß macht. Das Gorki unterläuft sich ein wenig selbst – am Rande, im kleineren Studio R, wurde mit zweckdienlichen Mitteln ein Stück Theater gemacht, das nicht größer als das Leben sein will, sondern schön komödiantisch überspitzt ein paar Sachen zeigt. Prima.

Wieder am 16. und 17. Juni