Ingo Arzt über Negativzinsen
: Das kleine Brexit-Vorbeben

Es ist, als würden die Mäuse die Geldscheine aus dem Sparstrumpf unterm Bett wegfuttern: Die Zinsen auf zehnjährige Staatsanleihen der Bundesrepublik sind am Dienstag unter null Prozent gesunken. Das heißt: Wer Deutschland sein Geld leiht, muss dafür zahlen.

Ein Ereignis mit mehr als Symbolkraft. Langjährige Staatsanleihen gelten seit jeher als der viel gepriesene sichere Hafen, der Sparstrumpf unter den Geldanlagen – wenig Rendite, aber ausfallsicher, quasi das Gegenstück zum hektischen Auf und Ab der Märkte. Ist hier kein Geld mehr zu verdienen, ist das Geschäftsmodell von Versicherern und Pensionsfonds bedroht, die das Geld der bürgerlichen Mitte verwalten.

Dass die Zinsen niedrig und bei kurzfristigen Staatsanleihen auch unter null sind – das Phänomen gibt es seit Längerem. Es hat direkt mit der Abwesenheit einer europäischen Wirtschaftspolitik zu tun. Die Staaten Südeuropas sind auf deutschen Druck hin zum Sparen verdammt, eine Politik, die vor allem die Wirtschaft abwürgt. Als direkte Folge dessen pumpt die Europäische Zentralbank Geld in die Märkte; durch niedrige Zinsen, durch den Aufkauf von Staatsanleihen, neuerdings sogar durch den direkten Kauf von Unternehmensschulden. Die Logik dahinter: Wenn die Staaten kein Geld zum Investieren haben, dann wird die Wirtschaft eben mit einer Geldflut dazu genötigt, einzuspringen.

Diese Politik trifft jetzt auf die Angst vor einem Austritt Großbritanniens aus der EU: Das viele Geld kommt nicht in der harten Wirtschaft an, die Jobs schafft, sondern an den Finanzmärkten, die sich seit Jahren ohne fundamentale Gegenwerte aufblähen – jetzt treibt die Angst vor einem Brexit die Anleger weg vom Risiko, hin zum Kauf von Staatsanleihen. Die niedrigen Zinsen sind Symptom einer extrem nervösen Wirtschaft, die nach Jahren der Instabilität kaum in der Lage sein dürfte, das Chaos zu bewältigen, sollte Großbritannien gegen einen Verbleib in der EU stimmen.

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