Mampf fürden Kampf

Hunger Nirgends gibt es so viele VoKüs wie in Berlin, sie sind fester Teil der linken Szene. Hier wird für wenig Geld gemeinsam gekocht und gegessen – als Gegenentwurf zur Vereinzelung und Konsumgesellschaft. Ein Streifzug durch die VoKüs der Stadt

Suppe für alle und Löffel für viele Foto: Katja Hoffmann/laif

Von Volkan Agar
und Manuela Heim

„Kommst du zum Schnippeln oder zum Essen?“, fragt eine junge Frau in blauer Pluderhose. Mit vier anderen sitzt sie auf einer Metalltreppe vor dem Hauseingang des kleinen Neubaus, mitten im Prenzlauer-Berg-Altbauidyll. Über ihnen hängt ein Poster in den Farben Schwarz, Rot, Gold mit einem brennenden Flüchtlingsheim und der Aufschrift: „Das ist Deutschland!“ Es ist kurz nach 19 Uhr, im Netz stand: „Jeden ersten Dienstag im Monat: VoKü im M29“. Das heißt: gemeinsames Essen in dem 2012 gegründeten Hausprojekt. Als jemand „Essen ist fertig!“ ruft, schleppen die, die eben noch auf der Treppe hockten, Stühle, Essen und zwei Kästen Bier namens Sabotage Pils runter in den geräumigen Garten. Das Buffet wird aufgebaut, es gibt Bratkartoffeln, Seitanschnitzel, Hummus und Salat. Die Spendenkasse steht daneben.

Rund 30 Orte gibt es in Berlin, die regelmäßig zur VoKü laden. Oder Küfa oder Kiezkantine oder Soliküche oder BeVoKü oder Volxküche – Bezeichnungen, die sich bewusst abgrenzen. Volksküche möchte in linken Kreisen kaum einer mehr sagen. Gemeint ist aber immer das Gleiche: Einige kochen für viele für wenig Geld an einem Ort politischer Gegenkultur. Das kann ein Hausprojekt sein oder ein selbstverwaltetes Jugendzentrum, ein Kulturverein oder die Szenekneipe. Wenige dieser Orte entstehen neu, die meisten sind feste Institutionen seit Jahrzehnten. So wie die Lunte, seit den 1980ern selbstverwalteter Infoladen in Neukölln.

Kurz nach 20 Uhr, Weisetraße im Schillerkiez. Außen hängt ein handgemaltes Schild, Graffiti und Plakate zieren die Fassade der Lunte. Drinnen ist es angenehm kühl und etwas dunkel. Flyer zu Szenekonzerten und Infobroschüren liegen auf großen Tischen. Der Typ am Tresen begrüßt die Gäste. Enthusiastisch ruft er die Bestellungen in die Küche. Wer ihn nach Küfa fragt, wird abgewatscht: „Wir haben hier nur ’ne VoKü. Jetzt kommen irgendwelche Studis an und meinen, sie müssten den Namen neu erfinden.“ Zwei italienische Gäste freuen sich auf Köfte, frittierte Aubergine, Ratatouille. Jeden Freitagabend kocht hier eine andere Gruppe, heute die Rote Hilfe, die linken AktivistInnen rechtlich beisteht. Vor dem Laden ist viel los: Leute im Antifa-Schwarz, bunt gekleidete Rastaträger und nicht einzuordnende Menschen aus dem Kiez. Auf den Sitzgarnituren ist kein Platz mehr, manche setzen sich auf den Gehsteig.

Jedem Squat seine VoKü

Die Liste der Räume mit regelmäßiger VoKü liest sich wie ein Berliner Ortsregister der linksalternativen Protest- und Lebenskultur der vergangenen 35 Jahre. Seit den 1970er Jahren gehört das gemeinschaftliche Kochen und Essen zur Selbstorganisierung der Szene dazu. Zumindest in den Westberliner Bezirken. Im Rauchhaus und Tommy-Weisbecker-Haus in Kreuzberg, in Schöneberg im selbstverwalteten Jugendzentrum Drugstore, im Hausprojekt Rote Insel oder in Wedding in der Kooperative Groni50. Nach dem Mauerfall sucht sich die Szene ihren Raum auch in Ostberlin. Mit der Hausbesetzerbewegung der 1990er beginnt vor allem in Friedrichshain eine weitere Blütezeit der VoKüs.

Die Namen: In Abgrenzung zum Begriff Volk werden die Schreibweise Volxküche, die Abkürzung VoKü oder ganz andere Begriffe verwendet, etwa BeVoKü (Bevölkerungsküche), Küfa (Küche für alle), SoliKü oder SoKü (Solidaritätsküche).

Die Orte: Es gibt mobile VoKüs, die bei Demos und alternativen Festen kochen, etwa die Brandenburger Fläming Kitchen (siehe Interview) oder das Berliner Kochkollektiv Food4Action, die zum Beispiel auf der Fusion oder beim 1. Mai präsent sind. Daneben gibt es VoKüs, die regelmäßig oder zu Veranstaltungen an festen Orten der linksalternativen Szene stattfinden. Termine siehe https://stressfaktor.squat.net.

Das Essen: Aus ideellen, hygienischen und Kostengründen wird in der Regel vegan oder vegetarisch gekocht, meist bio, oft regional. Bei Großereignissen stammt das Essen meist aus Lebensmittelspenden.

Die Preise: Das Essen gibt es meist für wenige Euro oder gegen Spende, manchmal auch umsonst. (mah)

So auch im Fischladen in der Rigaer Straße, einer Szenekneipe in einem 1990 besetzten und inzwischen legalisierten Haus. Im verqualmten Laden dringt nur wenig Licht durch die ungeputzten Scheiben. Am Tresen sitzen zwei Männer und würfeln. Über ihnen hängen ein großer Haifisch und ein Schild, das vor spontanen Polizeikontrollen warnt. Alle tragen hier Schwarz. Außer den vier jungen Frauen in sehr knappen Shirts und Röcken in der Ecke. Sie schwatzen auf Englisch und essen. Vielleicht sind es Touristinnen. „Es gibt Teigtaschen mit Spinat, Kartoffeln und Reis“, sagt die Syrerin an der Durchreiche zur Küche. Seit einem Jahr lebt sie in Deutschland, einmal im Monat kocht sie hier. Zwei Portionen sind noch übrig. 2,50 Euro landen in der Kasse. Die vier eventuellen Touristinnen sind mit dem Essen fertig, stehen auf und gehen. Durch die Scheibe lassen sich die Leute beobachten, die vorm Fischladen sitzen und aussehen, als gehörten sie zur Kneipe dazu. Manche essen die Teigtaschen. Einer hat sich Sushi mitgebracht.

Nicht mit Blümchenkleid

Immer wieder mussten links­alternative Haus- und Kulturprojekte anderen politischen und Eigentümerinteressen ­weichen. Einige haben den Sprung in die Legalisierung geschafft. In rund 30 von ihnen wird noch heute gekocht. Die Szenewebsite Stressfaktor veröffentlicht einen Wochenplan, der verrät, wo es gerade Burger, Delikatessen-VoKü oder Dreigängemenü gibt. Aus Überzeugung wird meist vegan oder vegetarisch gekocht. Begleitet je nach Gusto von Punkmusik, Ska oder Metal.

Oft sind es offene Räume, in die jedeR kommen könnte. Doch die Hürden für die, die nicht zur Community gehören, sind da. Es gibt Orte, an denen man mit Blümchenkleid schief angeschaut wird. Es gibt Eingänge mit halb heruntergelassenen Rollläden und dem Hinweis „Nur für Vereinsmitglieder“, in die sich vor allem die wagen, die sich irgendwie zugehörig fühlen. An vielen Orten ist es vor allem ein Kochen der Szene für die Szene. „Was ja keinen daran hindert, selbst eine VoKü zu machen“, sagt eine Köchin.

Es ist ein Phänomen der Großstadt, dass sich VoKüs als Teil linksalternativer Infrastruktur in festen Räume etablieren – als ein Gegenentwurf zur Vereinzelung und Konsummentalität. Nirgendwo in Deutschland gibt es eine solche Vielfalt an festen VoKüs wie im einst geteilten Berlin, wo sich im Chaos der Nachwendezeit die linksalternativen Räume vervielfachten.

Doch VoKü ist nicht nur ein Ort, an dem manchmal oder regelmäßig für kleines Geld gegessen wird. Wenn der Protest gegen bestehende Strukturen die Protestierenden an den Ort des Geschehens treibt, dann reist die VoKü eben mit. Dann schleppen AktivistInnen ihre Töpfe und Pfannen an den Rand von Camps und Straßenfesten und Demonstrationen, zu Atomkraftwerken und Zwischenlagern, zu Braunkohlegruben oder vor geräumte Häuser. Denn ohne Mampf kein Kampf.

Früher Abend in der Rigaer Ecke Liebigstraße, am sogenannten Dorfplatz. Das ist der Ort, wo die Szene gegen die aktuelle Räumung im Hausprojekt Rigaer94 protestiert. Heute sind rund 250 Menschen da, sie sitzen auf der Straße, die die Polizei ohnehin immer wieder absperrt. Auf einer mobilen Bühne wird gebeatboxt, davor tanzt ein kleiner Junge im Deutschlandtrikot. Das dürfen hier ganz sicher nur die Kleinen. Hinter der Bühne steht eine Bewohnerin eines benachbarten Hausprojekts hinter großen Töpfen. Die Leute schaufeln sich Bulgur, Gemüsesoße und Salat auf Plastikteller. Hier wird aus Solidarität und gegen Spende gekocht. Auf dem Platz teilt eine Frau ihr Essen mit dem Kind einer anderen. Einer ruft: „Bullenschweine raus aus der Rigaer!“ Immer wieder. Später, in der Nacht, gibt es noch Zusammenstöße mit der Polizei, acht Festnahmen. Da ist die VoKü längst abgebaut.