„Das konstituiert Völkermord“

Geschichte Die Deutschen wollten das Volk der Herero vernichten, sagt der Afrikaforscher Jürgen Zimmerer. Und fordert eine Resolution

Jürgen Zimmerer

Foto: Uni Hamburg

Jahrgang 1965, ist Professor für Geschichte Afrikas an der Universität Hamburg.

taz: Herr Zimmerer, seit 1884 galt Südwestafrika vertraglich als deutsches Schutzgebiet. Wie muss man sich das Zusammenleben zwischen Siedlern und einheimischen Herero- und Nama-Stämmen vorstellen?

Jürgen Zimmerer: Die Schutzgebietserklärung von 1884 war lediglich ein Anzeigen der Absichten des Deutschen Kaiserreiches gegenüber anderen europäischen Mächten. Die deutsche Kolonialherrschaft war von Anfang an auf das Militär gestützt. Im Grunde hatte man einen Eroberungs- und Besiedlungsprozess, der zunehmend zu Konflikten und Übergriffen führte, weil immer mehr Deutsche kamen. Es kam zu Vieh- und Landenteignungen, aber auch zunehmend zu körperlichen, einschließlich sexuellen Übergriffen von Deutschen auf Afrikaner und Afrikanerinnen. Das alles trug dazu bei, dass der Wille zum Widerstand anwuchs.

Der Widerstand der lokalen Bevölkerung begann 1904 und war ja dann erst einmal erfolgreich.

Das stimmt. Die Herero töteten 123 Männer, schonten aber Frauen und Kinder. Damit gelang es ihnen, das gesamte Herero-Land, mit Ausnahme der militärisch befestigten Stationen, zu besetzen.

Dann entsandte das Deutsche Kaiserreich aber General Lothar von Trotha mit 15.000 Mann und brach diesen Widerstand. Weshalb ist das nun ein Völkermord und kein Kriegsverbrechen?

Es war Völkermord und Kriegsverbrechen, das ist ja kein Gegensatz. Ein Kriegsverbrechen besteht ja auch darin, dass man Frauen und Kinder tötet, was die deutsche Armee ebenfalls tat. Auch standrechtliche Erschießungen von gefangenen Herero gab es. Das war also von deutscher Seite kein Krieg, bei dem man dem Gegner gewisse Rechte zugestand, sondern von Anfang an hieß es, wer Widerstand leistet, hat sein Leben verwirkt. Und auch nach der zentralen Schlacht von Waterberg wurden die Herero – auch Frauen, Kinder und Greise – in die Wüste Omaheke getrieben und die Wasserstellen am Rande besetzt, sodass die Herero verdursten mussten. Das konstituiert Völkermord, weil es mit der Absicht begangen wurde, die Herero als Volk zu vernichten.

Sie haben zu den Völkermorden an den Herero, Armeniern und zum Holocaust geforscht. Gibt es eine Verbindung?

Nicht im Sinne einer Kausalität. Der Holocaust war keine unausweichliche Folge des Völkermords an den Herero. An allen drei Verbrechen war aber das deutsche Militär beteiligt: als ausführender Akteur in Afrika, als Verbündeter des Osmanischen Reichs und als Wegbereiter im Vernichtungskrieg im Osten im Zweiten Weltkrieg. Die Logik der Beherrschung war immer gleich, nämlich Kon­trolle von „Raum“ durch „Rasse“ und durch die Ersetzung einer Bevölkerung durch eine andere.

Müsste der Bundestag eine Resolution zum Völkermord an den Herero und Nama verabschieden?

Ja, ich hoffe dass der Bundestag die Meinung der Wissenschaft bald übernimmt. Die Völkermordforschung ist sich ja ebenso einig wie die historische Afrikaforschung, dass es ein Völkermord war.

Interview Felix Hackenbruch