Jede Scheu verloren

Presse In der Türkei rollt die zweite Verhaftungswelle gegen Journalisten – zumeist aus der Gülen-Bewegung

Journalisten in Istanbul solidarisieren sich mit Bülent Mumay Foto: Petros Karadjias/ap

Aus Istanbul Jürgen Gottschlich

In der Türkei begann am Mittwochmorgen um 6 Uhr eine zweite Verhaftungswelle gegen Journalisten. Dieses Mal geht es gegen ehemalige Redakteure, Journalisten und Geschäftsführer von Zaman. Zaman war bis zur Übernahme der Zeitung durch den Staat im März dieses Jahres das Leitmedium der Gülen-Bewegung, mit einer Auflage von mehreren hunderttausend Exemplaren.

Unter den Festgenommenen ist der Kolumnist Ali Bulaç, einer der prominentesten Islamisten der Türkei. Ebenfalls festgenommen wurde der bekannte Journalist Sahin Alpay, ein früherer Linker, der lange für Cumhuriyet gearbeitet hatte und dann zu Zaman gegangen war. Der frühere Chefredakteur des englischsprachigen Ablegers von Zaman, Today’s Zaman, Bülent Keneş, gehört ebenfalls zu den Verhafteten, wie auch der islamische Philosoph Hilmi Yavuz, ebenfalls früherer Kolumnist von Zaman.

Nach der Übernahme von Zaman durch einen staatlichen Kontrolleur Anfang März hatten Präsident Recep Tayyip Erdoğan und sein damaliger Regierungschef Ahmet Da­vut­oğlu noch davor zurückgeschreckt, diese Leute, die auch unter AKP-Wählern sehr prominent sind, festnehmen zu lassen. Das hat sich durch den Putschversuch, der laut Erdoğan ja von der Gülen-Bewegung gesteuert sein soll, nun verändert. Insgesamt stehen 47 ehemalige Redakteure, Kolumnisten und Exgeschäftsführer des Blatts auf der Festnahmeliste. Ein Regierungsvertreter sagte gegenüber Reuters, alle diese Leute hätten intime Kenntnisse über das Gülen-Netzwerk, die für die weiteren Ermittlungen wertvoll sein könnten.

Unabhängig davon wurden bereits am Montag dieser Woche Haftbefehle gegen 42 Journalisten erlassen, unter anderem gegen die Politikerin und Journalistin Nazlı Ilıcak und den früheren Hürriyet-Journalisten Bülent Mumbay.

Nazlı Ilıcak, die für die AKP-Vorgängerpartei des Islamistenchefs Necmettin Erbakan im Parlament gesessen hatte, eigentlich aber aus der nationalistischen Rechten kommt, wurde am Dienstagmorgen in ihrem Ferienhaus in Bodrum festgenommen und heute in Istanbul dem Staatsanwalt vorgeführt. Bülent Mumay war Dienstagabend an der Reihe, obwohl er bereits vorher öffentlich verkündet hatte, er werde am Mittwochmorgen von sich aus zur Staatsanwaltschaft gehen und eine Aussage machen.

Mumay hatte nie etwas mit der Gülen-Bewegung zu tun. Im Gegenteil betonte er am Dienstag noch einmal, dass er sich in seinem ganzen Berufsleben immer gegen klandestine Bewegungen wie die „Cemaat“, die türkische Bezeichnung für die Gülen-Sekte gewandt habe. In der Tat ist Bülent Mumay, der noch Anfang Mai eine Kolumne zur Pressefreiheit in der Türkei in der taz veröffentlicht hatte, ein bekannter linksliberaler Journalist, der während des Gezi-Aufstands gegen Erdoğan im Sommer 2013 scharf gegen die Repression der AKP-Regierung Stellung bezog.

Bülent Mumay hat insgesamt 18 Jahre innerhalb des Medienhauses des Doğan-Konzern gearbeitet und dort wesentlich an Aufbau der digitalen Sparte mitgearbeitet. Er ist für seine journalistische Arbeit auch international ausgezeichnet worden und wurde 2014 in den Vorstand der International News Media Assoziation gewählt.

Unter den Ver­hafteten ist Bülent Mumay, der nichts mit Gülen zu tun hat

Nachdem er durch seine Artikel während der Gezi-Proteste sich den Ärger von Erdoğan und der Regierung zugezogen hatte, wurde er in regierungsnahen Zeitungen zunächst als Cemaat-Mann denunziert, später setzte ihn die Zeitung Star auf eine „Wanted-Liste“ unliebsamer Journalisten und forderte vom Besitzer des Doğan-Konzerns, Aydin Doğan, seine Entlassung.

Nach dem Wahlsieg von Erdo­ğan und seiner AKP im November 2015 legte ihm die Chefredaktion von Hürriyet dann nahe, seinen Abschied zu nehmen. Bülent Mumay war zu der Zeit Chef von Hürriyet-online und verantwortlich für den gesamten digitalen Auftritt der Doğan-Medien. Zuletzt hatte sich Bülent Mumay stark für den Cumhuriyet Chefredakteur Can Dündar und dessen Kollegen Erdem Gül engagiert, die wegen einer Enthüllungsgeschichte über illegale Waffentransporte des Geheimdienstes nach Syrien verurteilt worden waren.

Can Dündar und Erdem Gül sind noch auf freiem Fuß, weil sie gegen das Urteil Berufung eingelegt haben, Can Dündar hatte schon vor dem Putschversuch die Türkei verlassen, weil er mit dem Tode bedroht wurde. Bülent Mumay hatte gerade begonnen für die linke Tageszeitung BirGün zu arbeiten, als er nun festgenommen wurde.