Hausbesuch Manchmal macht sich jemand, der einen geliebten Menschen verliert, etwas vom Verlorenen zu eigen. Wie Hannelore Mühlenhaupt von ihrem „Kurtchen“. Der war Künstler. Und Lebenskünstler
: Muse, Liebhaberin, Partnerin

Hannelore Mühlenhaupt hält im Kurt-Mühlenhaupt-Museum in Bergsdorf die Erinnerung an ihren Mann wach. Mit dem Maler hatte sie ein sinnenfreudiges Leben

von Luciana Ferrando
(Text) und Amélie Losier (Fotos)

Zu Besuch bei Hannelore Mühlenhaupt in Bergs­dorf, Brandenburg, eine Autostunde nördlich von Berlin. Sie ist die Hüterin des Kurt-Mühlenhaupt-Museums.

Draußen: Bergsdorfer Dorfstraße, Landstraße, Dorf. Es nieselt. Ein roter Traktor fährt vorbei, danach lange nichts mehr. Nur Glockengeläut, Taubengegurre. Es riecht nach nasser Wiese und fühlt sich nach Sonntag an, als ob hier immer Sonntag wäre.

Der Garten: Grafen spazierten 1750 durch diesen Gutshof, der zum Schloss Liebenberg gehörte. Zu DDR-Zeiten übernahm ihn die LPG, die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, „Tag der Befreiung“. 1990 kauften Hannelore und Kurt Mühlenhaupt seine Ruinen und machten daraus Werkstatt, Museum und Zuhause. Im Garten stehen Kastanien, Hortensien und Rosen, einen Teich gibt es und allerhand Getier, unzählige „DuDus“, Kurt Mühlenhaupts berühmte Wichtel, und anderen Skulpturen.

Drinnen: Eine Druckerei, eine Scheune als Ausstellungsraum, ein Basar und das Atelier. Dort steht Kurt Mühlenhaupts Rollstuhl vor einem unfertigen Bild. Bis zu seinem Tod 2006 arbeitete er im alten Schafstall. Am Ende fast erblindet, malte er weiter. An einer Staffelei hängen sein roter Filzhut und seine Malschürze. An einer Wand sind Fotos aus seinem Leben: als junger Soldat im Zweiten Weltkrieg, als Leierkastenmann, ­Trödler, „Malerpoet“ und Herz der Kreuzberger Boheme-Szene, als Pionier in Portugal und Lebensgefährte Hannelore Mühlenhaupts – ein Vierteljahrhundert jünger als er ist sie.

Schwein Lillifee durchstreift den Garten vor dem Museum

Lieben und Lachen: Hannelore Mühlenhaupts Lachen ist ansteckend. Immer begleitet von Hund Othello, der „die Seele einer Maus hat“, zeigt sie den Gutshof mit all seinen Überraschungen. Mal taucht eine Zwergenfrau im Wichtelhof auf, „Mutter aller Zwerge“, mal essen das Hausschwein Lillifee und die Eselin Donna Joana Kuchen mit und die Hasen Walter und Ulbricht werden eifersüchtig. Hannelore Mühlenhaupt sagt „Kurtchen“, wenn sie über ihren Mann spricht, „wir lachten viel zusammen. Und konnten wunderbar streiten.“ Zehn Jahre nach seinem Tod ist der Berliner-Milieu-Maler noch überall präsent. Nicht nur im Museum, auch in Hannelores Erzählungen. Sie möchte den Lebenslauf ihres Mannes vortragen und gerät kurz aus der Fassung, weil es doch um sie gehen soll.

Träume und Leichtsinnigkeit:Muse, Liebhaberin, Partnerin eines großen Künstlers, später Kuratorin und Museumschefin zu werden, davon träumte sie als Kind nicht. Sie wollte nur weg aus dem fränkischen Dorf „mit zehn Einwohnern und einer Kuh“, wo sie 1947 zur Welt kam. Schriftstellerin oder Journalistin wäre sie gern geworden, „aber als Legasthenikerin erwies sich das als zu schwer“. Sie studierte Pharmazie in Bonn. Nebenher engagierte sie sich für Arbeiterrechte und verteilte Flyer vor Fabriktoren. „Meine Mutter und meine Oma waren dominante, unabhängige Frauen. Die Gleichstellung der Frau war für mich selbstverständlich.“ Später arbeitete sie im anthroposophischen Krankenhaus in Herdecke und in einer Drogenberatung in Köln. „Ich wollte schon immer die Welt retten.“ Mit diesem Ansatz entwickelte sie ein Projekt auf den Kapverdischen Inseln, um Medikamente fair zu produzieren. Dann traf sie dank einer Freundin Kurt Mühlenhaupt in Berlin und verstand sofort, dass dies eine entscheidende Begegnung war. Sie wisse nicht mehr, was aus ihr geworden wäre, hätte sie ihn nicht getroffen. „In Kap Verde waren die Männer so jung und schön und ich war so leichtsinnig“, sagt sie und lacht.

Kreuzberg, Portugal, die Welt:Mit Mühlenhaupt änderte sich ihr Leben. Zu Anfang der Beziehung versuchte sie sich als Bildhauerin. Aber ihr fehlte, meint sie, die Leidenschaft ihres Mannes. Damals wohnten die zwei am äußersten Rand von Berlin, in Kladow, verbrachten die meiste Zeit jedoch im Berliner Bezirk Kreuzberg. In der Blücherstraße 13 hatte der Maler seinen Trödelladen, am Chamissoplatz seine Kneipe „Leierkasten“, Treffpunkt der „Berliner Malerpoeten“ mit Dichtern wie Günter Grass und Günter Bruno Fuchs. Sie fremdelte nicht mit der Szene, hatte sie sich doch schon vorher im Westberliner Nachtleben abgehärtet: „Tagsüber arbeiten, abends sich besaufen.“ Sie bereut nichts, findet aber, es war gefährlich. „Uns fehlte es an Inhalten. Man wird nicht glücklicher, wenn man jeden Abend darüber spricht, irgendwann groß rauszukommen.“ Ihr wurde das klar, als Kurt einmal sagte: „Hier passiert nie was, die Leute erzählen jeden Tag dasselbe.“ Die beiden fingen an, die Enge von Kreuzberg zu spüren. Dann reisten sie viel – durch Italien, Frankreich und die USA. In Portugal verguckten sie sich in einen Bauernhof und kauften ihn. Zwischen Deutschland und der Algarve pendelten sie 20 Jahre.

Jesus, der Hermaphrodit:„Portugal ist das Paradies“, sagt Hannelore Mühlenhaupt, die dort Donna Joana hieß, wie nun die Eselin im Garten. Denkt sie an Portugal, erinnert sie sich am liebsten an den Nachbarn, der Jesus hieß. „Er brachte uns was zum Essen, denn ich kann nicht kochen. Wir erzählten uns Geschichten und machten Blödsinn, tranken und lachten.“ Auf einem von Kurt Mühlenhaupt entworfenen Weinetikett sind die drei zu erkennen. Den Wein „Montes de Cima“ produzierten sie selbst. „Jesus war skurril. Er war Hermaphrodit und mochte Frauen“, sagt sie. „Er hatte es im Fischerdorf nicht leicht.“ Wenn sie jetzt nach Portugal reist, ist er nicht mehr da, um mit ihr Oliven auf dem Markt zu verkaufen. Sie erzählt, von der Ironie belustigt, dass Jesus an einem Ostersonntag starb. Kurtchen machte es ihm nach.

Kurt Mühlenhaupt hatte ein sehr eigene Art, Menschen zu malen

Sein Vermächtnis:Sie vermisse ihren Mann, aber er sei, sagt sie lachend, ja jeden Tag da. „Er schreit mich morgens an, warum hast du das und das noch nicht gemacht. Ich weiß nicht, ob Tote lernfähig sind, aber ich versuche auch ihm noch Sachen beizubringen.“ Sie seufzt. „Im Ernst, dank ihm habe ich viel Arbeit.“ Schrecklich nämlich sei für sie die Vorstellung, Rentnerin zu sein und nichts zu tun zu haben. Hier aber organisiert sie Ausstellungen, Lesungen, Konzerte, Schulbesuche und erzählt immer und immer wieder gern von ihrem Mann.

Mehr als eine Heimat: Obwohl sie nie aufs Land zurückwollte, ist Bergsdorf für sie Heimat geworden. Kreuzberg sei auch ihre Heimat. Jede Woche fährt sie hin, sie kann nicht ohne. Sie habe nie erwartet, im Dorf Freunde zu finden, aber Freundschaften haben sich ergeben. „Meinen Exotenbonus habe ich genutzt, aber die Nachbarn waren enttäuscht: Wir haben nicht nackt getanzt, für Künstler waren wir zu normal.“

Ihr Glück: Glücklich ist sie sehr oft. Das habe sie von Kurt Mühlenhaupt gelernt. „Glück hat er in seinen Bildern transportiert und deswegen lieben ihn die Leute. Sein großes Talent war, glücklich zu sein.“