Lieber zwei Reformen als keine

USA Nach dem Repräsentantenhaus verabschiedet jetzt auch der Senat eine Obama-Gesundheitsreform. Allerdings stehen in den beiden Vorlagen unterschiedliche Dinge

Die Vorlage des Senats kommt 206 Milliarden Dollar billiger als die der Repräsentanten

AUS WASHINGTON ANTJE PASSENHEIM

Die umstrittene Gesundheitsreform von US-Präsident Barack Obama hat am Samstag ihre zweite wichtige Hürde genommen. Nach stundenlanger Überzeugungsarbeit stimmte der Senat mit 60 zu 39 Stimmen dafür. Zwei Wochen nachdem ein erster Entwurf das Abgeordnetenhaus passierte, brachten die Demokraten in der kleineren Kammer des Kongresses nun geschlossen ihre eigene Vorlage durch. Sie soll unter anderem 31 Millionen unversicherten US-Bürgern Gesundsheitsversorgung geben. Das Votum gilt auch als wichtiger Sieg für Obamas Regierung.

„Die Geschichte klopft an unsere Tür“, jubelte der Hauptautor der Vorlage, Senator Max Baucus (Montana). „Lasst sie uns öffnen und mit der Debatte beginnen.“ Auch dem Mehrheitsführer der Demokraten, Harry Reid, fiel ein Stein vom Herzen, als kurz nach 20 Uhr Ortszeit die Abstimmung binnen weniger Minuten über die Bühne war. „Endlich haben wir die Debatte dort, wo sie hingehört.“

Bis zum Schluss war es für den Senator aus Nevada eine Zitterpartie geblieben. Denn die Mehrheit der Demokraten im Senat basiert auch auf den Stimmen zweier Unabhängiger. Das Kernprojekt von Präsident Obama zumal ist derart umstritten, dass lange nicht klar war, ob auch zwei unentschlossene Demokratinnen mit ihrer Partei wählen würden. Erst am Tag der Abstimmung hatte die Senatsspitze die Voten der Senatorinnen Mary Landrieu (Louisiana) und Blanche Lincoln (Arkansas) in der Tasche. „Obwohl ich dem Entwurf nicht in allen Punkten zustimme, denke ich, dass es wichtig ist, die Reform anzustoßen“, sagte Lincoln. Sie, Landrieu und zwei weitere Senatoren betonten allerdings, dass ihre Zustimmung zu dieser Vorlage nicht automatisch heißt, dass sie auch dem endgültigen Werk am Ende zustimmen.

Der 2.074 Seiten lange Entwurf soll der Mehrheit der rund 46 Millionen unversicherten US-Bürger Gesundheitsversorgung geben. Dafür werden in den nächsten zehn Jahren 849 Milliarden Dollar (571 Milliarden Euro) veranschlagt, die die Demokraten zum Teil durch Steuererhöhungen für Besserverdienende einfahren wollen. Dagegen protestieren die Konservativen. „In Zeiten der Wirtschaftskrise müssen wir es den Menschen da draußen leichter machen und nicht schwerer“, sagte der Chef der Republikaner im Senat, Mitch McConnell.

Die Vorlage des Senats kommt 206 Milliarden Dollar billiger als der Gesetzentwurf, den das Repräsentantenhaus Anfang des Monats mit knapper Mehrheit befürwortet hatte. Beide Entwürfe sehen die Einführung einer staatlichen Krankenkasse als Alternative zu privaten Versicherern vor. Allerdings wollen die Senatoren einen Notausgang einbauen: Bundesstaaten dürfen selbst entscheiden, ob sie eine derartige „staatliche Option“ anbieten.

Mehr Spielraum geben die Senatoren auch bei den Kosten für Schwangerschaftsabbrüche. Solange sie nicht vom Staat subventioniert werden und Frauen aus eigener Tasche eine Zusatzversicherung abschließen, sollen diese das Anrecht auf Kostenerstattung haben. Das Abgeordnetenhaus hingegen hatte es weitgehend abgelehnt, Abtreibungen in den Versicherungsschutz mit aufzunehmen.

Strikter als das Abgeordnetenhaus ist der Senat dafür bei einem weiteren Reizthema: den illegalen Einwanderern, deren Zahl auf zwölf Millionen geschätzt wird. Nach dem Senatsentwurf dürfen Menschen, die sich illegal in den USA aufhalten, überhaupt keine Krankenversicherung abschließen.

Kommentatoren in US-Medien werteten die Abstimmung als Triumph für den Präsidenten und die demokratische Regierung. Die Gesundheitsreform gilt als größte innenpolitische Hürde für Obama. Sie blockiert derzeit wichtige andere Projekte – etwas das Klimaschutzgesetz. Obama möchte die Reform bis zum Ende des Jahres durchbringen. Dass er das schafft, bezweifeln viele US-Bürger, denn noch ist dafür viel zu tun: Zunächst müssen beide Gesetzentwürfe miteinander in Einklang gebracht werden. Dann haben beide Kammern des Kongresses noch einmal über die endgültige Vorlage abzustimmen. Senats-Minderheitenführer McConnell kündigte bereits an: „Der Kampf hat gerade erst begonnen.“