Alle zwei Jahre fahren zehn SchülerInnen aus Hannover zu einer Unesco-Partnerschule nach Tansania und arbeiten dort bei einem Projekt zur Trinkwasserversorgung mit Foto: Bux/Werner

Der schiefe Turm von Pisa aus Pappe

ENGAGIERT 220 Unesco-Schulen gibt es in Deutschland, viele davon im Norden. Manche beschäftigen sich mit Welterbestätten, andere engagieren sich für Demokratie, Menschenrechte oder eine nachhaltige Entwicklung

von Joachim Göres

Im Klassenzimmer Energie einsparen, ein Insektenhotel bauen, sich gegen Rassismus stark machen – in vielen Schulen engagieren sich Lehrer- und SchülerInnen über den normalen Unterricht hinaus für ökologische oder interkulturelle Projekte.

Was dabei außer schönen Worten bei den Schülern ankommt, ist jedoch oft die Frage. Eine Frage, die sich auch den 220 Schulen in Deutschland stellt, die sich entsprechend den Grundsätzen der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (Unesco) verpflichtet haben, sich unter anderem für Demokratie und Menschenrechte, für eine nachhaltige Entwicklung sowie für ein Leben in Vielfalt einzusetzen.

Was Schüler berührt,sind eigene Erfahrungen

„Man kann viel reden und Filme zeigen. Was die Schüler wirklich berührt, sind die Erfahrungen, die sie selber machen“, sagt Hermann Brux. Er ist Lehrer für Metalltechnik und Politik an den Berufsbildenden Schulen 3 (BBS3) der Region Hannover, an denen mehr als 2.500 Auszubildende auf ihren Beruf im Bereich Bau- und Versorgungstechnik vorbereitet werden.

Alle zwei Jahre fahren zehn Schüler aus Hannover zu einer Unesco-Partnerschule in Tansania und arbeiten dort bei einem Projekt zur Trinkwasserversorgung mit. Nach ihrer Rückkehr stellen sie ihre Erlebnisse in den anderen Klassen der Schule vor. „Im Kopf der Schüler hat sich durch den Austausch mit Tansania viel verändert. Ihre Arbeitgeber berichten uns, dass sie nach der Rückkehr viel selbstständiger agieren und sich ganz neue Gedanken machen“, weiß Brux aus Erfahrung.

An seiner Schule ist Umweltbildung ein wichtiges Thema. Dazu gehört, dass alle Schüler sich mit dem Lebenszyklus von verschiedenen Baustoffen inklusive Entsorgung auseinandersetzen müssen. „Einige Arbeitgeber, die sich auf erneuerbare Energien spezialisieren, begrüßen solche Inhalte. Aber es gibt auch Schüler, die als Spinner angesehen werden, wenn sie Ideen wie Recycling durch die Trennung des Verpackungsmülls auf der Baustelle umsetzen wollen“, berichtet Brux.

Seit 1995 darf sich die BBS 3 Unesco-Projektschule nennen. Dafür muss sie in einem jährlichen Bericht ihre besonderen Lerninhalte nachweisen. „Wir werden künftig genauer schauen, ob diese Inhalte auch umgesetzt werden. Wenn nicht, könnten Schulen diesen Titel wieder verlieren. So bekommen auch neue Bewerber eher eine Chance, ins Unesco-Schulnetzwerk aufgenommen zu werden.

Ökologie und interkulturelle Projekte im Vordergrund

„Insgesamt wollen wir die Zahl der Unesco-Schulen stabil halten“, sagt Heinz-Jürgen Rickert, Bundeskoordinator der 220 anerkannten Unesco-Projektschulen in Deutschland. Er organisierte kürzlich in Goslar eine Fachtagung für Lehrer dieser Schulen, auf der es in Arbeitsgruppen um Themen wie „Vegane Ernährung als effektiver Beitrag gegen die Massentierhaltung“ oder „Impulse zur Willkommenskultur an und in Kooperation mit unseren Schulen“ ging.

Etwa die Hälfte der Unesco-Schulen sind Gymnasien, wie auch das 1.300 SchülerInnen zählende Dom-Gymnasium Verden. Dort hat man die Unesco-Schwerpunkte Ökologie und interkulturelles Lernen in die Schulcurricula für alle Fächer mit aufgenommen. „Im Physikunterricht werden Energiethemen wie der Einsatz von Fracking bei der Gasförderung behandelt, in Latein geht es während einer Fahrt nach Rom um das Leben in Gemeinschaft früher und heute“, nennt Unesco-Projektkoordinator Karl-Georg Beckmann einige Beispiele.

Mit Schulen in Frankreich, Polen, Bulgarien und Südafrika findet zudem ein regelmäßiger Schüleraustausch statt. „Das sind keine Sightseeing-Touren, sondern es werden zusammen mit den Jugendlichen aus den Partnerschulen Projektthemen bearbeitet. So entstehen neue Kontakte und ein besseres Verständnis für das andere Land“, sagt Beckmann.

Gegenwärtig läuft am Dom-Gymnasium ein Projekt, in dem sich Schüler um die Flüchtlingskinder kümmern, die dort in einer speziellen Sprachlernklasse unterrichtet werden. Spielt der Unesco-Titel auch eine Rolle beim Werben um neue Schülerinnen und Schüler? Deutsch- und Religionslehrer Beckmann sagt: „Beim Tag der offenen Tür weisen wir schon darauf hin und stellen die Unesco-Ideen vor. Schwer zu sagen, welche Bedeutung das für die Entscheidung der Eltern hat.“

Jede zweite Unesco-Schule im Norden ein Gymnasium

Die Gesamtschule Osnabrück-Schinkel bietet für den 10. Jahrgang einen Unesco-Wahlpflichtkurs an. Die Schüler lernen dort einige der Unesco-Welterbestätten kennen, erfahren von den Problemen bei ihrer Erhaltung, können den Mitschülern eine Welterbestätte vorstellen und sie dann nachbauen. Zu den Favoriten gehörten dabei im vergangenen Schuljahr die Oper von Sydney, der schiefe Turm von Pisa, das Kolosseum, Stonehenge und auch das Lübecker Holstentor. Sehr alt, interessantes Bauwerk, sehr schön, möchte ich mal selbst hinfahren – so lauten einige der Gründe für diese Auswahl.

Andere Unesco-Schulen arbeiten an gemeinsamen Projekten länderübergreifend zusammen und treffen sich zu internationalen Seminaren. So sind am „Ostseeprojekt“ Schulen aus neun Ländern beteiligt, die sich mit der Wasserqualität oder dem Vogelschutz befassen, etwa die Waldorfschule Ostholstein in Lensahn und auch die Gemeinschaftsschule Friedrichsort in Kiel.

Emmalie Broscheit geht auf die Sophie-Scholl-Gesamtschule Wennigsen bei Hannover, die seit Kurzem Unesco-Partnerschule ist. Sie berichtet von indischen AustauschschülerInnen, die vor einiger Zeit in Wennigsen waren. „Die Verständigung auf Englisch war nicht so einfach. Ganz neu war für uns zu erfahren, wie beengt die indischen Jugendlichen in ihren Familien leben“, erklärt die 14-Jährige.

Sie war eine von rund 60 Jugendlichen aus Unesco-Projektschulen aus ganz Deutschland, die kürzlich in Wolfsburg an Workshops teilnahmen. Dort hat Emmalie sich für den Umgang mit dem Smartphone entschieden – passend zum Unesco-Schwerpunkt „Freiheit und Chancen im digitalen Zeitalter“. „Diesen Workshop wollen wir an unserer Schule wiederholen. Es geht darum, dass man sich auf den Verkehr oder seine Freunde konzentrieren sollte und sich nicht vom Smartphone ablenken lässt.“

Die 14-jährige Virgina Gilbert von der Oberschule Wasserturm aus Lüneburg hat am selben Workshop teilgenommen und fügt hinzu: „Früher habe ich da nie so richtig drüber nachgedacht, dass ich sofort nachschaue, wenn das Handy vibriert, auch nachts. Ich stell das jetzt eher ab.“

In Niedersachsen gibt es 26 Unesco-Projektschulen, in Schleswig-Holstein neun, in Hamburg sind es sechs und in Bremen vier. Mehr Informationen unter www.ups-schulen.de