Geschlossener TV-Sender in der Türkei: Das war's dann

Geschlossen, alles beschlagnahmt, kein Geld mehr: Ein Besuch bei der letzten Mitarbeiterversammlung des türkischen Senders IMC TV.

Banu Güven tröstet eine Kollegin

Banu Güven war das Gesicht von IMC TV. Jetzt spendet sie Trost Foto: dpa

ISTANBUL taz | „Wir haben für die Demokratie gekämpft. Wir sind der Sender, der immer da war, wenn es darum ging, über Ereignisse zu berichten, die die Regierung lieber vertuschen wollte. Wir sind die Augen und Ohren unserer Zuschauer.“ Gebannt lauschen rund 60 Leute den Worten von Programmdirektor Eyüp Burç. Es ist die erste Versammlung aller Mitarbeiter des unabhängigen, linken Fernsehsenders IMC TV, nachdem er am 29. September gemeinsam mit 20 anderen Medien von der Polizei geschlossen worden war. Noch hoffen viele der 130 Mitarbeiter von IMC TV, dass es dennoch irgendwie weitergehen könnte.

Doch die Versammlung am Freitag letzter Woche endet anders, als es sich die Redakteure, Reporter und Techniker des Senders erhofft hatten. „Wir haben mit der staatlichen Aufsichtsbehörde RTÜRK gesprochen“, berichtet Eyüp Burç von den Rettungsversuchen der letzten Woche, „und wir haben mit unseren Finanziers gesprochen. Es gibt keine Chance mehr für IMC TV, auch nicht unter einem anderen Namen. Wir sind am Ende.“

Und das sieht man. Die Versammlung findet in der bereits leer geräumten Zentrale des Senders im Istanbuler Stadtteil Eyüp statt. Bis auf ein paar Tische und Stühle ist nichts mehr da, was an einen Fernsehsender erinnern könnte. Das gesamte technische Equipment wurde beschlagnahmt und in ein Depot des staatlichen Senders TRT gebracht. An der Sicherheitsschleuse des Bürohauses, in dem IMC TV eine Etage gemietet hatte, werden Besucher für IMC erst gar nicht mehr durchgelassen. „IMC gibt es nicht mehr“, sagt der Security-Mann. Erst nach vielen Telefonaten gibt es dann doch grünes Licht für einen Besuch der Versammlung.

Als der Programmdirektor das endgültige Aus für IMC TV verkündet, weinen einige Mitarbeiter. Mehr als fünf Jahre haben sie für diesen Sender gekämpft. Sie waren als einziger Sender vor Ort, als die türkische Armee Teile der kurdischen Stadt Cizre in Schutt und Asche legte, und „wir haben auch gefilmt, wie IS-Milizionäre unter den Augen der türkischen Armee über die Grenze nach Syrien gingen“, sagt Banu Güven.

Letzte Hoffnung: Gerichtshof für Menschenrechte

Güven ist die Anchorwoman von IMC. Sie ist das bekannteste Gesicht des Senders. Genauer gesagt: sie war. „Wir wurden von der Regierung immer als kurdischer, PKK-naher Sender diffamiert, aber das stimmt nicht. IMC ist von Beginn an auch gegen die neoliberale Politik Erdoğans angetreten. Natürlich haben wir auch viel aus den kurdischen Gebieten berichtet, das ist schließlich der wichtigste Konflikt für die Türkei.“ Auch Güven kann es noch nicht fassen, dass es mit IMC jetzt wirklich vorbei sein soll. „Unsere Anwälte sehen noch Möglichkeiten“, meint sie, „wir werden vor dem Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg klagen.“

Wohin sollen sie sich auch sonst wenden? In der Türkei gibt es zurzeit keine Möglichkeit gegen Regierungsdekrete, die unter dem Ausnahmerecht erlassen wurden, gerichtlich vorzugehen. Doch Straßburg ist weit und die türkische Realität unter der Repression des Ausnahmezustandes nah. Es kann Jahre dauern, bis die Straßburger Richter sich mit der Frage befassen, ob die Schließung von IMC TV wegen angeblicher „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ und der angeblichen Nähe zu einer Terrororganisation Menschenrechte verletzt hat.

Der Finanzier hat Angst

Und selbst wenn, könnte der Sender dann nicht einfach wieder angeschaltet werden. Der bisherige Finanzier ist ein Geschäftsmann aus Diyarbakır, der eine Schokoladenfabrik betreibt. Er hat Angst, enteignet zu werden, und kann und will kein Geld mehr geben.

Die 130 Leute, die bislang fest für den Sender gearbeitet haben, sind erst einmal arbeitslos. Auch Banu Güven weiß nicht, wie es für sie weitergeht. Sie war seit Januar 2014 bei IMC. Davor war sie eine der bekanntesten Moderatorinnen des Mainstream-Senders NTV, dem größten Nachrichtenkanal der Türkei. Sie wurde dort gefeuert, weil sie ein Interview mit Leyla Zana, einer Ikone der kurdischen Bewegung in der Türkei, geführt hatte.

Bis jetzt wurde niemand von IMC TV im Zuge der Schließung des Senders verhaftet. Aber ein Verfahren gegen den Sender läuft. Was dabei herauskommt, weiß niemand. Banu Güven, die demnächst nach London fliegen will, weiß auch nicht, ob sie das Land überhaupt noch verlassen kann. Erst vor wenigen Tagen wurde einem bekannten Journalistenehepaar die Ausreise verweigert. Can Dündar, der frühere Chef von Cumhuriyet, nannte die Türkei in einem Interview gerade ein „großes Gefängnis für Journalisten“.

Sind als nächstes die Zeitungen dran?

Im türkischen Fernsehen sind nach der letzten Schließungswelle kritischer, vor allem kurdischer Sender jetzt praktisch nur noch regierungsnahe Kanäle zu sehen. Was im Fernsehbereich mit der Schließung von IMC TV als abgeschlossen gilt, steht im Printbereich noch bevor. Noch gibt es einige kritische linke Zeitungen, doch auch in diesen Redaktionen geht die Angst um. Von der linken Evrensel wurde gerade ein Reporter verhaftet, auch Birgün und selbst Cumhuriyet, die 1924 gegründete Mutter aller türkischen Zeitungen, stehen massiv unter Druck. Nachdem der Ausnahmezustand um drei Monate verlängert wurde, rechnen alle damit, dass die Verfolgungen, die sich zunächst gegen angebliche oder tatsächliche Anhänger der Gülen-Bewegung richtete, jetzt auf alle Erdoğan-Kritiker ausgeweitet werden.

Banu Güven ist sehr enttäuscht, dass die Verbündeten der Türkei, „jedenfalls die, die immer von Demokratie reden“, nicht viel massiver die Hexenjagd gegen Demokraten in der Türkei kritisieren. „Wenn das so weitergeht“, sagt sie, „wird Europa in der Türkei bald keine demokratischen Ansprechpartner mehr haben.“

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