Seele Nora Klein hat eine Krankheit fotografiert, die man nicht sieht. Ihre Bilder zeigen die Depression
: Dunkel oder schwarz oder ein Nichts

Von Annabelle Seubert

Bettfalten: eigentlich Zeichen gelebten Lebens – wie Augenfalten. Man hat schon was gesehen. Man hat nicht gut geschlafen. Hat sich rumgewälzt, den Körper bewegt, verschoben und gedreht, morgens lag das Laken knittrig da. Keine Zeit gehabt, es zu glätten. Vielleicht den Sinn darin nicht erkannt. Glätten, wofür? Ein aufgeräumtes Gefühl?

Bettfalten und Raufaser und der Stoff des Vorhangs, seine feine Struktur; der Riss in der Tapete über der Tür: Die neun Menschen, die Nora Klein für die Abschlussarbeit an ihrer Hochschule fotografiert hat, haben ihr hiervon erzählt. Dass sie dorthin gestarrt, diese Punkte fixiert haben, wenn sie nicht aufstehen konnten – weil sie keinen Grund sahen, ihren Tag zu beginnen. Wie machten die anderen das? Sie haben ihr die Stimmungen beschrieben, die die Depression bei ihnen ausgelöst hat: Wie sie angeklopft hat als „Dame in Schwarz“, reingelassen und gehört werden wollte; dass Kirschblüten vorm Fenster wie aus Häme blühen konnten. Die blühen! Ich nicht.

Sie habe sich ein „unsichtbares Thema“ ausgesucht, sagt Nora Klein. Wie die Depression aussieht, hatte sie wissen wollen, ob sie dunkel oder schwarz ist oder ein Nichts. „Vielschichtig ist sie“, weiß sie jetzt, schleierhaft und trüb, ein „Mischmasch“ aus Losigkeiten – Lustlosigkeit, Antriebslosigkeit, Emotionslosigkeit. Ein Auf und Ab mit eindeutig mehr Ab.

„Mal gut, mehr schlecht.“ heißt ihre Serie, für die sie Betroffene privat und in einer Klinik getroffen hat. Während guter Phasen haben sie ihr „tiefste Gedanken“ verraten – mitunter selbst verstört darüber, dass sie in diesen Zustand geraten konnten. Einen, in dem alles „gedämpft“ ist, wie es jemand ausdrückte. „In Schaumgummi gepackt.“ „Eine eklige Masse.“

Klein fotografierte in ihren Zimmern. Das Sofa, auf dem sie saßen, den Fleck auf dem Teppichboden. Die Decke. Von manchen der Betroffenen hat sie bloß die Lider aufgenommen, ihre Hände oder Zähne. Andere sieht man ganz: wie ein Mann im See badet und sich vor der Kaputtness der Welt zu schützen scheint, indem er abtaucht, seinen Kopf unter Wasser hält.

Wenn Nora Klein nicht wusste, wie sie Eindrücke darstellen sollte, die keine Gestalt, kein Aussehen haben – keine Entsprechung im Alltag der Gesunden –, ging sie raus und suchte nach Motiven. Wie die Depression jetzt also aussehen kann? Wie eine Trauerweide, ein Hochhaus bei Nacht. Wie Nebel über einem Rapsfeld, ein runtergelassener Rolladen. Äste hat Nora Klein als Entsprechung gefunden, Baumkronen, Wellen, und auch: einen Schwan, der seinen Kopf unter Wasser hält.

Die Fotoserie „Mal gut, mehr schlecht.“ erscheint im Frühjahr 2017 als Buch, Hatje Cantz Verlag, 136 Seiten, ca. 40 Euro