Mobil, frisch, schnell: Ein Streetfood-Anbieter füllt in Friedrichshain Essen zum Mitnehmen in eine Pappbox Foto: Philipp Reiss/Agentur Focus

Von der Hand in den Mund

Futter Streetfood ist in Berlin mittlerweile ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor geworden. Viele Firmengründer professionalisieren sich und machen eigene Restaurants auf. Dabei verzichten jedoch nur wenige auf das mobile Angebot

von Jana Tashina Wörrle

Leer getrunkene Kokosnüsse stehen auf den Stromkästen rund um den Preußenpark und um die Mülleimer herum. Strohhalme ragen in den Himmel. Parkbesucher schlürfen das Kokoswasser direkt aus den Früchten – ein Trendgetränk.

Und auch das Drumherum ist Trend: Überall in dem Wilmersdorfer Park brutzelt und kocht es, warmes thailändisches Essen dampft. Streetfood. Das bedeutet: Menschen kochen unter freiem Himmel frische Gerichte und bieten sie Vorbeikommenden an – ohne Restaurant und Kochausbildung, ohne offiziellen Unternehmerstatus und ohne behördliche Genehmigung. Einfach, weil es lecker ist und die Parkbesucher es lieben. Viel Gemüse und Gebratenes aus dem Wok, Nudeln und Reis. Der Preußenpark ist schon lange bekannt für das thailändische Essen, das man hier am Wochenende und manchmal auch unter der Woche bekommen kann.

Streetfood geht aber auch anders in Berlin: auf extra dafür organisierten Veranstaltungen oder in Foodtrucks. Streetfood ist angesagt und in Berlin mittlerweile ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor. Zwar können weder die Senatsverwaltung für Wirtschaft noch andere öffentliche Stellen die Entwicklung bislang mit Zahlen belegen, doch die Szene wächst.

Zahlen fehlen bislang

Vom wachsenden „Wirtschaftsfaktor“ spricht Berlins offizielles Tourismusportal Visit Berlin. In den vergangenen Jahren sind viele Unternehmen in Berlin gegründet worden, die Streetfood anbieten. Zudem entwickelt sich ein Markt rund um diese kleinen Betriebe: Firmen, die bei der Gründung helfen, die Veranstaltungen organisieren, bei denen Streetfood angeboten wird, und die den Start-ups dann auch beratend zur Seite stehen, wenn der nächste Schritt ansteht: weg von der Straße hin zum eigenen Restaurant.

Genau das beschreibt die zweite Welle in Sachen Streetfood, die gerade über Berlin rollt. Streetfood professionalisiere sich, sagt Stefanie Rothenhöfer vom Food Entrepreneurs Club, einer der Beratungs- und Vernetzungsstellen rund um Lebensmittel-Start-ups.

Dabei ist Berlin diesmal gar nicht Vorbild für andere, sondern umgekehrt. Streetfood hat in vielen anderen Städten der Welt schon eine viel längere Tradition – man denke nur an die vielen kleinen Buden in den Straßen asiatischer Großstädte oder an New York oder London, wo sich Märkte und Events mit kleinen, sehr internationalen Imbisswagen etabliert haben.

Streetfood hat sich als Geschäftsmodell für Solounternehmer, die ihre Leidenschaft für gutes, aber einfaches Essen zum Beruf machen wollten, in Deutschland in Städten wie Nürnberg oder Hamburg entwickelt. Das sind Städte mit großen Gewerbegebieten und Firmen ohne eigene Kantinen – da sind mittags die Mägen der Beschäftigten leer, der Bedarf nach einem leckeren, schnellen Mittagessen ist da, geht aber zunehmend nicht mehr in die ungesunde Richtung von Pommes und Pizza.

Leere Mägen im Büro

Und an solche Orte ziehen seit Jahren immer mehr Foodtrucks. Sie sind zur Mittagszeit vor Ort und bereiten in kleinen mobilen Küchen frisches Essen zu – wie in einer klassischen Imbissbude. Mit dem Unterschied: Sie bieten mehr als Pommes und Currywurst, und sie wechseln ihren Standort regelmäßig, sodass beispielsweise am Montag der Truck mit Salat und veganen Burgern da ist, dienstags der mit Kartoffelpuffern, und am Freitag gibt es Steaks und Salat.

Da es in der Berliner Innenstadt kaum Orte gibt, an denen man mit Restaurants, Cafés oder Imbissbuden unterversorgt ist, war der Druck für die Entstehung einer solchen Szene hier nicht groß. Doch kein Trend ohne Berlin. Und so haben sich die gründungswilligen Streetfoodler eben eine eigene Szene dafür aufgebaut.

Street­food wird meist so an­ge­bo­ten, dass es be­quem von der Hand in den Mund wan­dern kann: in mund­ge­rech­ten Stü­cken und mit den Fin­gern zu essen.

Ver­kauft wird es aus fahr­ba­ren Ver­kaufs­stän­den, aus Food­trucks oder di­rekt vom Grill oder einer mo­bi­len Koch­mög­lich­keit, und meist am Ort des Ge­sche­hens zu­be­rei­tet.

Im Un­ter­schied zur klassischen Im­biss­bu­de geht es beim Streetfood nicht um mög­lichst güns­ti­ge Zu­ta­ten und Ver­kaufs­prei­se. Statt­des­sen stehen die Qua­li­tät der Zu­ta­ten, ihre Her­kunft, der Ge­schmack und nicht sel­ten auch im Vor­der­grund, ob sie bio, vegan oder hand­werk­lich her­ge­stellt sind. (jtw)

Ihren Kern bildete lange die Markthalle Neun in Kreuzberg. Hier gibt es an Markttagen auch heute noch zahlreiche Stände mit dem unterschiedlichsten Streetfood – und es gibt den Streetfood Thursday: Jeden Donnerstag zwischen 17 und 22 Uhr steht das komplette Angebot der Markthalle unter dem Motto Streetfood, und die Besucher probieren sich durch Minibuletten, Hauptstadtbarsch oder handgemachte Pasta. Auch Stefanie Rothenhöfers Unternehmen hat in der Markthalle Neun seine Wurzeln. Mittlerweile ist sie Gründerin des Food Entrepreneurs Club.

Neue Streetfood-Hotspots

Neben der Thai-Wiese in Wilmersdorf als klassischer Variante und der Markthalle Neun als dem Ort, an dem sich viele Streetfood-Anbieter zum ersten Mal an Publikum gewagt haben, gibt es mittlerweile in Berlin noch einige weitere Streetfood-Hotspots.

Jeden Sonntag rollen Foodtrucks auf das Gelände der Kulturbrauerei, Freitagabend sind sie auf dem Gelände der Arena in Treptow zum „Bite Club“, an jedem ersten Sonntag im Monat findet der Brunnenmarkt im Wedding statt, samstags und sonntags der Foodmarket auf dem RAW-Gelände. Und das ist nur eine Auswahl der Streetfood-Treffpunkte und Events – schließlich sind viele Trucks und Stände auch auf Wochenmärkten zu finden oder werden für Veranstaltungen gebucht.

So stehen etwa die selbst­ernannten „Pufferkonstrukteure“ Angelika Thielemann und Alexander Boder von den „dollen Knollen“ mit ihrem Truck samstags auf dem Neuen Markt am Südstern oder sie werden von Firmen oder Privatleuten gebucht. Im Truck braten sie Kartoffelpuffer und servieren sie mal mit geräuchertem Fisch und mal als Klassiker mit Apfelmus.

„Unsere Gerichte gibt es deshalb in einem Foodtruck, weil wir gern mit verschiedenen Menschen Kontakt haben wollen“, sagt Angelika Thielemann. Deshalb und weil mit einer Restaurantgründung ein hoher Kostenaufwand verbunden ist, verkaufen die Pufferkonstrukteure lieber weiterhin aus dem fahrbaren Untersatz heraus. „Der hiesige Streetfoodmarkt lebt von einem riesigen Hype“, beschreibt Thielemann, was sich ihrer Meinung nach gerade so tut in der Branche. Viele hätten sich in den vergangenen Jahren ausprobiert, einige seien bereits wieder vom Markt verschwunden.

„Ein typischer Streetfood-Anbieter ist ein Quereinsteiger und geht anfangs unternehmerisch eher ein geringes Risiko ein. Er braucht dazu wenige finanzielle Mittel“, sagt auch Stefanie Rothenhöfer. Doch das sei nur der erste Schritt. Als zweiten Schritt wagen es immer mehr, ein eigenes Restaurant zu gründen.

Etwa „Hirsch und Eber“ mit ihrem Wild-Grill. Hat ihr Geschäft im Jahr 2014 mit einem kleinen Verkaufsstand inklusive Kühlung und Grill begonnen, wurde daraus erst ein komplett eingerichteter Foodtruck und nun ein eigenes Lokal in Prenzlauer Berg. Am Truck halten die Streetfooder aber dennoch fest und versorgen hungrige Wildfleischfans weiterhin auf Märkten und bei Events. Vorbereitet wird aber alles in der Restaurantküche. „Eine stationäre Küche brauchten wir schon, als wir noch kein Restaurant hatten. Und da kam dann irgendwann der Gedanke auf, dass wir dann ja auch gleich beides kombinieren können“, sagt Sebastian Ahrens von „Hirsch und Eber“.

Als Kriterien, die typisches Streetfood auszeichnen, nennt Stefanie Rothenhöfer, Gründerin des Food Entrepreneurs Clubs Berlin, die sogenannten Big Five: Ein typischer Streetfood-Anbieter verwendet weniger als fünf Zutaten, hat weniger als fünf Mitarbeiter, benötigt weniger als fünf Handgriffe oder Arbeitsschritte für die Zubereitung seiner Produkte, hat weniger als fünf Produkte im Sortiment und der Preis liegt zumindest in der Nähe von fünf Euro – mal mehr, mal weniger. (jtw)

Auch er erlebt, dass die Streetfood-Szene in Berlin durchaus anders tickt als in anderen Städten, in denen es mehr um die Versorgung der arbeitenden Bevölkerung an den Bürohäusern und in den Agenturvierteln geht. Hier sei der Bedarf nach mehr mobiler Versorgung größer. Statt den Schritt zum eigenen Restaurant zu wagen, setzten die Streetfood-Unternehmer deshalb eher auf weitere Trucks – quasi mehrere fahrende Filialen.

Konstante Nachfrage

Und während einige Streetfoodler aus den Anfangszeiten des Trends mittlerweile fest etabliert sind – ob weiterhin im Truck oder im eigenen Laden –, stehen laut Rothenhöfer viele neue in den Startlöchern: Sie erlebt die Nachfrage als weiterhin konstant. Das Angebot ist es auch – und das ganz ohne spezielle Förderung.

Rothenhöfer schlägt dennoch vor, dass der Senat die Streetfood-Gründer unterstützen könnte – etwa indem er ihnen erlaubt, Foodtrucks und Stände auf öffentliche Gelände zu stellen, ohne dafür eine Genehmigung beantragen zu müssen.

Professionalisierung? Eigener Laden? An den Streetfood-HändlerInnen im Preußenpark gehen diese Entwicklungen bislang vorbei. Hier ist und bleibt es ursprünglich, mit Woks über dem Gasbrenner, Papayasalat aus der Plastikschale und Strohhalmen, die in frisch geköpften Kokosnüssen stecken. Gut besucht und lecker.