Schöner Müll Abgelegte Pullover aus Kaschmir taugen für viel mehr als nur für Putzlappen. Sie sind ein Rohstoff. Alles was man tun muss, ist sie heiß genug waschen
: Alles wärmt, nichts kratzt

Von Waltraud Schwab

Wolle ist nicht Wolle. Von Schurwolle, also Wolle von Tieren, ist hier die Rede. Isländer und Norweger wissen, warum sie sich in dieses raue Zeug packen.

Schurwolle kann bis zu einem Drittel ihres Trockengewichts an Feuchtigkeit aufnehmen, ohne sich feucht anzufühlen. Wo es kalt ist und viel regnet, ist das von Vorteil. In Irland, Neuseeland, Patagonien, Sibirien und Großbritannien wird die Eigenschaft der Tierwolle geschätzt. Fischer auf ihren Kuttern wissen ebenfalls darum, und Firmen, die Skiunterwäsche herstellen, setzen nach all dem Funktionsunterwäschehightechfaserhype neuerdings auch wieder auf Wolle. Sie ist einfach besser. Stinkt zudem nicht so nach Schweiß, und wenn man Schurwollpullover an die Luft hängt, säubern sie sich angeblich selbst. „Angeblich“ steht hier, weil Selbstreinigen ein weites Feld ist.

Eines ist jedenfalls sicher: Wer es warm haben will, für den ist Baumwolle kein adäquater Ersatz, selbst wenn Wolle in ihrem Namen vorkommt. Baumwolle kühlt, und sie fühlt sich auch feucht an, wenn sie feucht ist.

Nun ist es mit der Schurwolle eine Kopfsache: Die einen finden, dass Wolle kratzt. Die anderen finden, dass Wolle wärmt. Wer früh an das Prickeln eines Norwegerpullovers auf der Haut gewöhnt wurde, verbindet es einfacher mit der Erfahrung, dass der Kälte nicht nur mit Willen, sondern auch mit der Hülle getrotzt wird. So wird das Prickeln positiv besetzt. Die aber, die vielleicht deshalb nie frieren, weil ihnen die Sonne näher ist als das Eis, haben diese positive Fixierung bei Schurwolle nicht. Vielen Kinder, deren Eltern ständig sagen, dass Wolle kratzt, fehlt ebenfalls der Mut zur Schurwolle.

Adal ist so ein Kind. Er ist acht Monate alt. Adals Mutter denkt, Schurwolle kratzt, und das will sie Adal nicht zumuten. Was ihr aber nicht klar war: dass Wolle nicht Wolle ist und es Wollfasern gibt, die nicht kratzen, Lammwolle etwa oder die weiche Wolle der Kaschmirziege.

Allerdings ist es ziemlich unüblich unter Leuten, die nicht so viel Geld haben, ihre Kinder in Kaschmirpullover zu hüllen. Erst recht, wenn sie die Pullover für sich selbst höchstens auf dem Flohmarkt erwerben und dann so lange tragen, bis sie so dünn an den Ellbogen sind, dass Löcher wirklich nicht mehr zu stopfen sind, weil, kaum geflickt, daneben ein neues entsteht.

Aber alles ist eine Frage der Perspektive: Ausgeleierte, abgewetzte Kaschmirpullover taugen für mehr als einen Putzlappen. Sie sind ein Rohstoff. Man muss den Pullover nur heiß waschen, damit die Wolle verfilzt und so das Material schrumpft. Das heißt nicht, dass der Pullover nun so klein sind, dass er einem achtmonatigen Kind passt. Ein wenig Nähen und Zusammenfügen muss man schon.

Was tun, wenn’s friert?

Baumwolle kühlt, und wenn sie feucht ist, fühlt sie sich auch feucht an. Schurwolle ist nicht für jeden etwas. Was für ein Segen, dass es die Kaschmirziege gibt

Anleitung

1. Waschen Sie den alten Kaschmirpullover bei mindestens 60 Grad. Sobald er trocken ist, schneiden Sie ihn auseinander – die Nähte sind nicht zu gebrauchen.

2. Sie benötigen Maße für eine Vorlage. In der Regel sind sie fast quadratisch – 30 x 28 Zentimeter im Fall Adals. Am einfachsten ist es, sich eine Jacke des Kinds zu nehmen, um Länge und Breite einschätzen zu können.

3. Mit den Maßen schneiden Sie sich eine Vorlage aus Zeitungspapier für das Vorder- und Rückenteil aus. Das obere Ende sollte dabei wie ein platt gedrücktes M aussehen: leicht ansteigend auf den Schultern und mit einer gerundeten Öffnung für den Kopf (gut zu sehen auf Foto 3).

4. Die Ärmelstücke haben die Form eines gleichschenkligen Trapezes. Auf der Schulterseite sollten sie etwa so breit sein wie das Vorderteil, an den Handgelenken etwa halb so breit. Der Pullover soll ja bequem sein.

Mit einem Rollschneider werden die Teile ausgeschnitten, mit einem Zickzackstich verbunden. Die Naht dient auch der Zierde Fotos: Waltraud Schwab

5. Jetzt legen Sie die Vorlage auf den Filz und schneiden die Teile passend zu. Am besten geht das mit einem Rollschneider. Mitunter muss man mehrere Filzstücke aneinandernähen, damit die Vorlage darauf passt. Bei Adals Pullover wurden die Teile mit einem Zickzackstich in gelber Wolle zusammengenäht. Das Vorderteil und der rechte Ärmel sind aus zwei Teilen entstanden.

5. Wenn Sie die Teile haben, schließen Sie die Seitennähte und nähen die Arme an. Das habe ich mit einfachem Überwendlingsstich auf der linken Seite gemacht. Mit einer guten Nähmaschine geht es auch mit einem elastischen Stich.

6. Jetzt noch die Kanten am Hals, am Saum und an den Ärmeln versäubern. Die Kanten am Ärmel wurden bei Adals Pullover einfach umgelegt und ebenfalls mit Zickzackstich festgenäht.

7. Da Adals Pullover zuerst etwas zu kurz war, bekam er am Bund noch eine breitere Paspel, die ebenfalls im Zickzackstich angenäht wurde. Nach Belieben kann der Pullover auch noch verziert werden.

Die Genussseite: Autorinnen der taz beschreiben hier einmal im Monat, wie man aus Müll schöne Dinge macht. Außerdem im Wechsel: Wir kochen mit Flüchtlingen, Jörn Kabisch befragt Praktiker der Kulinarik, und Philipp Maußhardt vereinigt die europäischen Küchen