Midnight in der Josefstadt

Theater Viscontis Film „Die Verdammten" erzählte über die Mentalität deutscher Eliten im Faschismus. Im Wiener Theater an der Josefstadt gerät das zu einvernehmlich

Wien hat sich in kurzer Zeit zur prosperierenden, polyglotten Metropole entwickelt, die einer Vielfalt von Lebensstilen mit wohlwollender Gleichgültigkeit begegnet. Die Zuzugsraten zeigen, dass sich das recht weit herumgesprochen hat. Zum Ärger mancher „echten Wiener“.

Aber was früher war, verschwindet nicht einfach. Es gibt – ein bisschen so wie bei Woody Allens „Midnight in Paris“ – Plätze, an denen das Vergangene als Feier der Untoten weiterlebt. Die Epoche sinnstiftender bürgerlicher Kultur mag vorbei sein, überwunden ist sie nicht. Das Bildungsbürgertum verabschiedet sich nicht grußlos aus dem sozialwissenschaftlichen Datenmaterial. Es lädt im Theater an der Josefstadt zum schaurig-schönen Fest seiner verblassenden Bedeutung zwischen Kronleuchtern, pfeifenden Hörgeräten und den herrlich roten, immer ein wenig muffigen Plüschsesseln. Die Theaterleitung müht sich durchaus um Modernität, aber im Reich der Untoten verliert sich auch der letzte kritische Funke.

Man spielt Thomas Bernhards „Heldenplatz“ und lacht herzlich über die Tiraden des Protagonisten, dass „in der Josefstadt selbst die allerernstesten Tragödien als Operette gespielt“ werden. Gäbe es im Josefstädter Kosmos den Teufel, er wäre ein schnuckeliger Gnom, der im Schnürboden haust und kichernd immer nur „Affirmation, Affirmation“ zischt.

Schlechter Scherz aus dem Norden

Der Regisseur Elmar Goerden inszeniert hier eine Spielfassung von Luchino Viscontis „Die Verdammten“ (1969). Der Film liefert nicht weniger als den Schlüssel zur Mentalitätsgeschichte deutscher Eliten im Faschismus. Maß nehmend an Firma und Familie Krupp erzählt er davon, wie die Götter des Industriezeitalters fallen, weil sie die Produktivkräfte, die sie einst losgetreten haben, nicht mehr beherrschen.

Faschismus galt im Nachkriegsösterreich vielen viel zu lange als schlechter Scherz aus dem Norden. Jetzt geben Millionen, die keine Nazis sind, sehr wohl Politikern ihre Stimme, die offen mit Nazi-Symbolen kokettieren. Der Wunsch, hier aktuell etwas dagegen zu tun, steht als aufrichtiges Motiv hinter dem Abend.

Die Fassung von Ulf Stengl verknüpft Kammerspielszenen des Films und baut daraus das Substrat einer gewöhnlichen Familienintrige. Der große Helmut-Berger-Auftritt fällt allerdings aus. Rauschhafte Massenszenen und die visuelle Bandbreite des Films ebenso. Das wäre kein Nachteil, könnte der Abend anders kenntlich machen, um welche Einsätze gespielt wird.

Heribert Sasse, der den alten Baron von Essenbeck spielt, brachte in einer örtlichen Zeitung die Analogie zum Denver-Clan auf. Sasses Figur betreibt den Kanonenhandel mit dem Charme eines Champagner-Grossisten, der sich noch einmal hochleben lässt, bevor er die Wechselkredite nicht mehr bedienen kann.

Die Denver-Clan-Hypothese aber geht zulasten von Andrea Jonasson. Ihre (Helmut-Berger-Mutter) Sophie, die traurigste aller Visconti-Figuren, gerät zum Comic Relief mit Joan-Collins-Hüftschwung. Der popotätschelnde Blick auf die bis hin zu Inzest und Delinquenz entfremdete Sexualität der Figuren vergällt den Abend gänzlich. Bei Visconti nimmt der Allmachtswahn der Familie den späteren Totalitarismus am Einzelnen vorweg. In der Josefstadt dagegen landen ein paar Griffe daneben und die Kinder sind ein bisschen schwul. Nichts, an das auch die dortige Gesellschaft nach dem Ende einer Ballnacht auch nur einen Gedanken verschwenden würde.

Materialismus ohne Materie ist die neue bürgerliche Ideologie. Alle sind korrupt und auch irgendwie verdorben, da kann man gleich Trump wählen. Die Hauptrolle des Abends ist Raphael van Bargens SS-Mann Aschenbach. Als Jago der Stahldynastie spielt er sich einen Wolf, auf der Suche nach der wahren Fratze, die hinter dem netten Grinsen der Populisten steckt. Das „Sie werden sich wundern, was alles gehen wird“ des rechtspopulistischen Präsidentschaftskandidaten darf bei Szenenapplaus nicht fehlen. Allein, der Spott für Anstreicher macht noch keine Antifaschisten.

„Die Verdammten“ sind ein Lehrstück vom Scheitern eines Theaters, das „wieder Geschichten erzählen“ will. Der besten Absicht schlägt dessen Hang zum Einverständnis mit dem Bestehenden brutal ins Genick.

Uwe Mattheiß