„Kenia“ muss sich erst noch finden

Sachsen-Anhalt In der bundesweit ersten schwarz-rot-grünen Koalition ist die CDU ein Risikofaktor

Cornelia Lüddemann, Grüne Foto: Peter Gercke/picture alliance

DRESDEN taz | Es war schon fast ein Eklat mit Ansage. Bei der Wahl zur Parlamentarischen Kontrollkommission für den Verfassungsschutz im Landtag von Sachsen-Anhalt verfehlte Grünen-Fraktionsvorsitzende Cornelia Lüddemann knapp die erforderlich Mehrheit. Nicht alle Parlamentarier waren anwesend – aber da auch die Oppositions-Linke für Lüddemann stimmte, richtet sich ein starker Verdacht auf Verweigerer in der CDU. Solche Pflichtübungen bringt eine Koalition üblicherweise geräuschlos hinter sich, aber bei „Kenia“ in Sachsen-Anhalt ist manches anders.

Nach der Wahl vergangene Woche stellte sich die Union als größter Partner des Dreiers mit SPD und Grünen dann selbst ein Bein. Bei der Bestimmung der Wahlleute für die Bundesversammlung, die den Bundespräsidenten wählt, fehlten ihr offensichtlich vier eigene Stimmen. Statt sieben Kandidaten kann die CDU nur sechs Abgeordnete nach Berlin schicken, die AfD dafür einen mehr.

Solche Spielchen sind seit April an der Tagesordnung und bestimmen neben Skandalaufarbeitungen aus der vorigen Legislaturperiode die Schlagzeilen. Sehr zum Kummer vor allem von SPD und Grünen, die auf Erfolge in Sachen Koalitionsvertrag verweisen. „Ein grüner Vertrag“, betont Cornelia Lüddemann, und auch ihre SPD-Kollegin Katja Pähle findet beachtlich, was die beiden Juniorpartner hineinverhandelt haben: keine Flüchtlingsobergrenze, Demokratieförderung, Naturschutz, Radverkehr und Absage an die Kohle zum Beispiel.

Aber gerade deshalb wird die erste Kenia-Koalition in Bund und Ländern aufmerksam beobachtet. Und gerade deshalb seien die Erwartungen bei den Grünen besonders hoch, sagt Cornelia Lüddemann. Doch die Unzufriedenheit der grünen Klientel mit der Regierungsarbeit fällt nach einer jüngsten MDR-Umfrage mit 62 Prozent noch schlechter aus als im Landesdurchschnitt.

Dabei wird das Koalitionsklima weniger durch Altfälle wie die Rücktritte von Landtagspräsident Hardy Peter Güssau (CDU) und Wirtschaftsminister Jörg Felgner (SPD) wegen Affären als durch eine unberechenbare CDU-Fraktion belastet. Animositäten gegenüber den Bündnisgrünen und Sympathien für die AfD bestimmen das Verhalten einiger U-Boote aus dem ultrakonservativen Flügel. Exlandtagspräsident Güssau hatte etwa gegen eine grüne Regierungsbeteiligung demonstriert. Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) wurde erst im zweiten Wahlgang gewählt. Bei der Nachwahl des von der AfD zu stellenden zweiten Landtagsvizepräsidenten fielen ihm offenbar erneut eigene Leute in den Rücken. Im zweiten Wahlgang erhielt Kandidat Willi Mittelstädt 46 Stimmen, obschon Haseloff in einer flammenden Rede dessen Qualifikation infrage gestellt hatte.

Als alter und neuer Partner der Union vermeidet die SPD-Fraktionsvorsitzende Katja Pähle direkte Attacken auf die CDU. Sie verweist lediglich auf längere Abstimmungsprozesse unter drei Partnern und lobt die begonnene Sacharbeit. Auf die setzt ihre Grünen-Kollegin Lüddemann auch und hofft auf eine disziplinierende Wirkung des bis März zu verabschiedenden Landeshaushalts. Dann würden auch die grünen Themen sichtbar festgeschrieben. Allerdings: „Niemand würde derzeit auch nur 50 Euro verwetten, dass diese Koalition fünf Jahre hält.“ Das klingt fast wie bei AfD-Chef André Poggenburg. Die Koalition sei „ein Korsett, in dem sich keiner wohlfühlt“, sagt dieser.

Animositäten gegenüber den Grünen und ­Sympathien für die AfD ­bestimmendas Verhalten ­einiger U-Boote aus dem ultrakonservativen Flügel der CDU

Haseloff glaubt an eine wachsende Distanz der Union gegenüber einer sich radikalisierenden AfD. Die Koalition sei „stabilisierbar“, sagt er und fügt hinzu: „Mich muss man hier im Sarg raustragen.“ Die AfD will erst einmal Fundamentalopposition bleiben, aber im Kopf von Poggenburg spukt schon der Plan B für die Zukunft: Eine Koalition mit der Union nämlich, „aber nur mit uns als Seniorpartner“.

Michael Bartsch