Kolumne Gott und die Welt: Gemeinsamer Alltag

Multikulti geht doch: Eva Lezzis Jugendbuch „Die Jagd nach dem Kidduschbecher“ erzählt die Geschichte einer jüdisch-palästinensischen Verständigung.

Porträt Angela Merkel

Angela Merkel im Jahr 2010. Multikulti hielt sie damals für gescheitert Foto: ap

In großen Städten wie Hamburg, München, Frankfurt oder Berlin stellen Kinder aus Migrantenfamilien inzwischen die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler. So entsteht – noch viel zu wenig beachtet – eine Welt, die sogar die heute von Linksliberalen so hochgeschätzte Angela Merkel nicht wahrnehmen wollte, als sie verkündete, dass der Multikulturalismus gescheitert sei.

Entgegen solchen als Prognosen verkleideten Wünschen, die heute von FunktionärInnen rechtspopulistischer Parteien und ihren intellektuellen Vordenkern, den „Identitären“, bedient werden, teilen Kinder, Mädchen und Jungen aus diversen Herkunftsregionen, ganz unterschiedlichen Kulturen sowie oftmals feindselig einander entgegenstehenden Religionen einen gemeinsamen Alltag, nicht nur der Schule, sondern auch der „Freizeit“.

Als besonders heikel gilt dabei die Präsenz von Kindern muslimischen Glaubens – zumal, wenn ihre Eltern aus arabischen Ländern kommen, die mit dem Staat Israel, der sich als jüdischer Staat versteht, im Kriegszustand stehen. Entsprechend äußern Vertreter der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland immer wieder die Befürchtung, dass die Immigration muslimischer Familien den Antisemitismus steigern werde.

Dass das so nicht sein muss und sich im Alltag von Jungen und Mädchen auch ganz anders ausdrücken kann, zeigt ein soeben erschienener Kinder- und Jugendroman, der sich an Leserinnen ab zwölf Jahre wendet. Eva Lezzis Roman „Die Jagd nach dem Kidduschbecher“ erzählt in klarer, flüssiger Prosa eine Geschichte, von der auch Erwachsene profitieren können.

Erfahrungen in einer konfliktgeladenen Welt

Wie erfahren Kinder und Jugendliche die von ihren Eltern und Großeltern erlittenen Traumata? Eingebettet in eine gar nicht so unwahrscheinliche Story, in der einer jüdischen Familie in Berlin ein wertvoller ritueller Gegenstand, ein Becher, mit dem der sabbatliche Weinsegen vollzogen wird, abhanden kommt, geht es um Freundschaft zwischen Mädchen unterschiedlicher Kulturen, um Knaben, die sich ihrem Alter zum Trotz illegal und brutal verhalten sowie um die Erfahrung einer politisch konfliktgeladenen Welt.

Rebekka, die Jüdin, Samira, die Palästinenserin, sowie Moritz, Rebekkas Bruder, sehen sich plötzlich gezwungen, die Vergangenheit und das Schicksal ihrer Herkunftsgruppen kennenzulernen, zu vermitteln, Feindschaften zu registrieren und dennoch „beste Freundinnen“ zu bleiben.

Es war kein Geringerer als Erich Kästner, der 1929 mit „Emil und die Detektive“ das bis heute leuchtende Beispiel eines jugendgemäßen, großstädtischen Kriminalromans publiziert hatte, in einer Sprache, die sowohl Erwachsene ansprach als auch Kinder mitriss.

Freilich hat sich das Leben in den letzten neunzig Jahren ziemlich radikal verändert – 1929 waren zwar Telefone bekannt, aber Dinge wie die allgegenwärtigen Smartphones noch nicht einmal vorstellbar. Heute jedoch sind Beziehungen jenseits dieser Maschinchen unvorstellbar: Genau diesem Phänomen trägt Eva Lezzi Rechnung, indem sie die Beziehungsgeschichte des jüdischen und arabischen Mädchen auch in den Wortmitteilungen, den SMS, ihrer Heldinnen grafisch zum Ausdruck bringt.

Wie nebenher wird der reizüberflutete erwachsene Leser daran erinnert, wie massiv der Holocaust, wie nachhaltig der Israel-Palästina-Konflikt den Alltag von Jugendlichen in Berlin prägen und ihre fragilen Beziehungen gefährden können.

Nein, Angela Merkel hatte in diesen – wie in so vielen anderen – Fragen einfach Unrecht: Multikulti ist keineswegs gescheitert, sondern alltägliche Wirklichkeit: Das Leben von Jugendlichen in den großen Städten bestätigt das und Lezzis Roman dokumentiert es höchst unterhaltsam. Dass es in diesem Alltag konfliktfrei zugeht, hat aber niemand versprochen. Ganz abgesehen davon, dass konfliktfreie Geschichten einfach langweilig sind. Was bei der „Jagd auf den Kidduschbecher“ garantiert nicht der Fall ist.

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