Petition der Woche: Free Chelsea Manning

Die Whistleblowerin Chelsea Manning sitzt seit 2010 in Haft. Nach Suizidversuchen könnte Obama ihr helfen – aber nicht mehr lange.

Demonstration für Chelsea Manning

Demonstrationen für Chelsea Manning: Die Whistleblowerin sitzt seit 2010 im Gefängnis Foto: imago/Zuma-Press

Chelsea Manning feiert an diesem Samstag ihren 29. Geburtstag im Gefängnis. Sie, die früher in einer männlichen Rolle lebte und Bradley Manning hieß, hat Hunderttausende geheime Armeedokumente an die Enthüllungsplattform WikiLeaks weitergereicht. Sie tat das, um eine öffentliche Debatte über die Kriege in Afghanistan und im Irak anzustoßen.

Im Mai 2010 wurde Manning dafür festgenommen und kam in U-Haft. 2013 legte ein Militärgericht die Strafe fest: 35 Jahre Freiheitsentzug. Nun, im Dezember 2016, liegt US-Präsident Barack Obama eine Petition vor; sie wurde am 14. November gestartet.

Die Botschaft ist klar formuliert: „Commute Chelsea Manning’s Sentence to Time Served“. Heißt: Verringern Sie Chelsea Mannings Haftstrafe. Die Petition, angeschoben von einem breit angelegten Netzwerk von Unterstützern, geht indirekt auf Manning selbst zurück. Sie hatte Obama am 13. November einen Brief geschickt. Der Inhalt ist derselbe wie in der öffentlichen Petition, nur um ein paar Erklärungen reicher. Unter anderem so prominente Aktivisten wie Daniel Ellsberg griffen Mannings Vorlage auf und setzten sich erneut für sie ein.

Ellsberg ist so etwas wie der Pionier unter den Whistleblowern. 1971 kopierte er Dokumente aus dem US-Verteidigungsministerium und steckte sie der Presse. Durch die sogenannten Pentagon-Papiere kam heraus, dass die USA der Weltöffentlichkeit die wahren Gründe über den Vietnamkrieg vorenthalten hatten. Ellsberg, inzwischen 85, äußert sich so über seine Nachfolger: „Snowden und Manning sind Helden für mich. Ich identifiziere mich mit ihnen.“ Begründet hat er es in einem TV-Interview einmal so: „Eine Demokratie braucht mehr Informationen als die, die uns die offiziellen Stellen zugestehen. In diesem Sinne sind Whistleblower wesentliche Garanten für den Erhalt unserer Freiheit.“

Chelsea Manning

„Ich bin einfach dankbar, dass ich nicht vergessen bin. Ihr habt mir Hoffnung gegeben.“

Über 113.000 Menschen haben innerhalb eines Monats die Manning-Petition unterzeichnet. Das US-Recht sieht vor, dass sich ein Präsident ab 100.000 Stimmen mit einer Petition auseinandersetzen muss. Das heißt in diesem Fall: Obama wird darüber entscheiden, ob Manning früher freikommt, und falls ja, nach wie vielen Jahren. Oder – und das ist wahrscheinlicher – er lehnt das Gesuch eben ab. „Angesichts des harten Kurses, den die Regierung Obama gegen Whistleblower und Investigativjournalisten verfolgt hat, erscheint ein Straferlass unwahrscheinlich“, glaubt Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen.

Ein Gesetz von 1917

Anthony Gregory, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Denkfabrik Independent Institute, sagt: „Unser demokratischer Präsident handelt besonders repressiv. Die Obama-Regierung wendet den Espionage Act viel häufiger an als alle anderen US-Regierungen zusammen.“ Das Gesetz gegen Spionage stammt aus dem Jahr 1917, und Obama hat dagegen offenbar nichts auszusetzen. Mindestens acht Whistleblower, darunter auch Manning, wurden mithilfe des Gesetzes angeklagt; bis 2008 waren es drei.

Chelsea Manning hofft trotzdem. „Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“, twitterte sie am Sonntag an ihre mehr als 90.000 Follower, als die Petition die 100.000er-Marke knackte. „Ich bin einfach dankbar, dass ich nicht vergessen bin. Ihr habt mir Hoffnung gegeben.“

Seit ihrer Festnahme sind die Lichtblicke im Leben von Chelsea Manning ziemlich rar geworden. Mindestens zweimal wollte sie sich selbst töten. Auch deshalb, weil sie – bereits zu Militärdienstzeiten – massiv unter der zunehmenden Gewissheit litt, transsexuell zu sein. Erst 2013 gestand ein Gericht ihr schließlich die notwendige Behandlung zu. Unverhältnismäßig hoch ist auch ihre Strafe: 35 Jahre hat noch kein Whistleblower erhalten.

Mit 88 wollte Mama nicht mehr leben – sie hörte auf zu essen und zu trinken. Nach 13 Tagen erlag sie einem Nierenversagen. Ist Sterbefasten Suizid? Das Gespräch mit der Buchautorin Christiane zur Nieden lesen Sie in der taz.am wochenende vom 17./18. Dezember. Außerdem: Wieso es unmöglich ist, die Erde perfekt auf einem Blatt Papier abzubilden. Und: Warum 2016 besser war als sein Ruf. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Eine breit aufgestellte Allianz des Protests entstand, dreimal hat es Chelsea Manning auf die Vorschlagsliste für den Friedensnobelpreis geschafft, 2011, 2012 und 2013 war das.

Sollte Obama die Whistleblowerin nun tatsächlich früher aus dem Gefängnis lassen, wäre dies eine große, allerletzte Geste. An alle Whistleblower, an die LGBTI-Gemeinde – aber vor allem an Chelsea Manning. Bis zum 20. Januar hätte Obama noch Zeit. Ab dann regiert Donald Trump.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.