Leben 2.000 Arbeitslose in Finnland bekommen zwei Jahre lang 560 Euro monatlich – einfach so. Mal sehen, ob das bedingungslose Grundeinkommen funktioniert
: Die Finnen probieren’s aus

Yeah! Oulu in Finnland ist bislang vor allem bekannt für die Luftgitarren-WM. Jetzt wird in der Stadt das bedingungslose Grundeinkommen getestet Foto: Dominik Asbach/laif

von Hannes Koch

Im Jahr 2017 beginnt im Norden Europas ein erstaunliches Experiment. In Finnland erhalten 2.000 Arbeitslose, die zuvor ausgelost worden waren, ein bedingungsloses Grundeinkommen. Der Staat überweist ihnen 560 Euro pro Monat – einfach so, ohne Gegenleistung, zwei Jahre lang. Das Geld wird nicht angerechnet auf zusätzliche Verdienste, die die Auserkorenen in dieser Zeit möglicherweise erwirtschaften.

Die finnische Regierung will herausfinden, wie Erwerbslose sich verhalten, wenn ihr Lebensunterhalt problemlos gesichert ist: Nehmen sie das Geld, genießen das Leben und frönen dem Müßgiggang? Dann wäre das Grundeinkommen aus Sicht der Mitte-rechts-Regierung wahrscheinlich eine schlechte Idee, denn es untergrübe die Produktivität der finnischen Wirtschaft und wäre irrwitzig teuer, führte man es landesweit ein. Oder betrachten die Arbeitslosen die regelmäßige öffentliche Überweisung als Basis und Anreiz, endlich den Tätigkeiten nachgehen zu können, zu denen sie sich immer schon berufen fühlten? In diesem Fall bräche in Finnland vielleicht ein neuer Schub der Kreativität aus, neue Firmen würden gegründet und Arbeitsplätze geschaffen.

Das bedingungslose Grundeinkommen bildet derzeit die große Vision zur Weiterentwicklung des westlichen Sozial­staats, auch in Deutschland. Idealtypisch soll es so funktionieren: Jeder erwachsene Bürger erhält aus Steuermitteln beispielsweise 1.000 Euro pro Monat, Kinder erhalten 500 Euro. Eine Gegenleistung verlangt die Gesellschaft nicht. Alle anderen Sozialtransfers wie Hartz IV, ­Sozialgeld oder Grundsicherung im Alter werden abgeschafft. Wer mit eigener Arbeit zusätzlich verdient, muss normale Steuern auf dieses Lohneinkommen zahlen. Wohlhabende und Reiche entrichten mehr Abgaben als heute. Sie zahlen das Grundeinkommen, das sie ja eigentlich nicht brauchen, auf diese Art wieder zurück.

Mit Hartz fing es an

Die Debatte darüber kam in Deutschland in Schwung wegen der Hartz-Gesetze, die die rot-grüne Regierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder ab 2003 eingeführt hatte. Manche Linke und Grüne, aber auch der Gründer der Drogeriemarktkette dm, Götz Werner, oder Dieter Althaus, Ex-CDU-Ministerpräsident von Thüringen, sahen im Grundeinkommen eine wahlweise zivilisierte, freiheitliche oder billigere Alternative zum harten Hartz-IV-Regiment.

Beflügelt unter anderem vom finnischen Experiment, nimmt die alte Diskussion jetzt eine neue Wendung. Einflussreiche Personen, die sich früher nicht eingemischt haben, sagen nun, dass man über die Idee des Grundeinkommens nachdenken sollte. Zum Beispiel Siemens-Chef Josef Kaeser hält „eine Art Grundeinkommen“ für „völlig unvermeidlich“. Seine Begründung: Im Zuge der vierten industriellen Revolution – der Digitalisierung – blieben sonst Arbeitnehmer „auf der Strecke, weil sie mit der Geschwindigkeit auf der Welt einfach nicht mehr mitkommen“.

Thimotheus Höttges, Vorstandsmitglied der Deutschen Telekom, sieht es ähnlich: „Ein bedingungsloses Grundeinkommen kann eine Grundlage sein, um ein menschenwürdiges Leben zu führen.“ Und kürzlich äußerte sich Elon Musk, der Chef des kalifornischen E-Auto-Herstellers Tesla, auch zur Sache: „Die Chance ist recht hoch, dass wir irgendwann wegen der ­Automatisierung ein allgemeines Grundeinkommen oder so etwas Ähnliches haben werden.“

Die Digitalisierung: Das ist das wichtigste neue Argument für das Grundeinkommen. Wahre Hiobsprognosen sind im Umlauf. Manche Wissenschaftler halten die Hälfte der Arbeitsplätze in Industrieländern für gefährdet, weil sie in den kommenden Jahrzehnten dem verstärkten Einsatz von internet-gesteuerten Produktionsprozessen zum Opfer fallen könnten. Nicht nur die Stellen der Facharbeiter in den Montagehallen der Fabriken seien gefährdet. Zunehmend intelligente Computer könnten Bankangestellte, Journalisten und Rechtsanwälte ersetzen. Wegen moderner Methoden des elektronischen Lernens seien auch die Tätigkeiten von Professoren und Lehrern bedroht. Und selbst Altenpflegerinnen müssten bald Pflegerobotern weichen, die einen Teil ihrer Tätigkeiten übernehmen. Solche Visionen klingen so bedrohlich, weil sie sich nicht nur auf einfache, gering entlohnte Arbeiten erstrecken, sondern auch die bislang sicheren ­Arbeitsplätze der solide bezahlten Mittelschicht infrage stellen.

Ob es jemals so weit kommt, weiß man nicht. Frühere epochale technische Innovationen wie die Dampfmaschine, die Elektrifizierung, die Massenproduktion von Konsumgütern und die Einführung des Computers haben viele Jobs vernichtet, aber auch Millionen neuer Arbeitsplätze geschaffen. Klaus Dörre, Soziologe an der Universität Jena, erklärt, dass das Arbeitsvolumen – also die Gesamtzahl der in Deutschland bezahlten und geleisteten Arbeitsstunden – seit 1991 nur leicht gesunken ist. Diese Erfahrung mit früheren Modernisierungsschüben deutet nicht daraufhin, dass bald die Hälfte der Jobs ersatzlos wegfällt.

Ein zweites Argument formuliert Ökonom Thomas Straubhaar, der ehemalige Chef des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts. Für ihn besteht die Chance des Grundeinkommens darin, der wachsenden sozialen Polarisierung zwischen Arm und Reich auf neue Art entgegenzuwirken.

Den dritten Aspekt thematisiert Philippe Van Parijs, So­zial­ethiker der Katholischen Universität im belgischen Löwen. Um einen sozialen Ausgleich zwischen ärmeren und wohlhabenden EU-Staaten zu schaffen, plädiert er für eine „Euro-Dividende“ von 200 Euro, die jeder Bürger der Europäischen Union pro Monat erhalten soll. Der grüne Bundestagsabgeordnete Wolfgang Strengmann-Kuhn findet die Idee ebenfalls gut: „Die Einstellung von euroskeptischen Bürgern zur EU könnte sich zum Positiven verändern, wenn sie monatlich einen Geldbetrag aus Brüssel erhielten.“

Wie bereits vor zehn Jahren trifft die Sozialvision aber auch heute auf erbitterte Ablehnung. Kein Wunder – bricht sie doch mit der herrschenden Arbeitsethik. Der biblische Satz „Im Schweiß deines Angesichts sollst du dein Brot essen“ würde nicht mehr gelten, wäre der Lebensunterhalt für jeden garantiert. „Solidaritätsgedanke und Leistungsprinzip werden außer Kraft gesetzt“, bemängelt SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles. Wer leert die Mülltonnen, wenn niemand mehr gezwungen ist, solche Jobs anzunehmen, lautet eine oft gestellte praktische Frage.

Aber teuer ist’s schon

Clemens Fuest, Chef des Münchner ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, argumentiert außerdem, dass das bedingungslose Grundeinkommen „nicht bezahlbar“ sei. Dafür spricht einiges: Bekämen Erwachsene 1.000 Euro monatlich und Minderjährige die Hälfte, summierten sich die Kosten in Deutschland auf 840 Milliarden Euro pro Jahr – etwa ein Viertel der Wirtschaftsleistung. Selbst wenn man im Gegenzuge alle aktuellen Sozial­leistungen abschaffen würde, bliebe eine erhebliche Finanzierungslücke, die sich wohl nur durch drastische Steuererhöhungen schließen ließe.

Aus dieser Rechnung mag sich die geringe Höhe des Grundeinkommens im finnischen Experiment erschließen. Angesichts der hohen Lebenshaltungskosten in einem reichen Staat wie Finnland stellen 560 Euro jedoch höchstens einen Einstieg dar – eine sorgenlose Existenzsicherung ist mit so bescheidenen Beträgen nicht verbunden. Manche Manager und Unternehmer finden aber gerade das erstrebenswert: Für sie ist das Grundeinkommen kein Mittel zum Ausbau des Sozialstaats, sondern zu seiner Verschlankung.

Großzügiger dachten dagegen die Initiatoren des Schweizer Volksinitiative, die im vergangenen Juni zur Abstimmung kam. Sie empfahlen 2.500 Franken – umgerechnet etwa 2.300 Euro – als monatliche Zahlung pro Erwachsenem. 77 Prozent der abstimmenden Bürger lehnten die Einführung eines solchen Grundeinkommens ab, immerhin 23 Prozent aber waren dafür. In einem erfolgreichen und rationalen Gemeinwesen wie der Schweiz spricht sich ein Viertel der Bürger für diese Vision aus? Völlig utopisch scheint die Idee doch nicht zu sein.