Achtung, hier wird fintiert!

In der Reihe „Fußballfibeln – Bibliothek des Deutschen Fußballs“ aus dem Verlag Culturcon „ergründen Fans die Seele ihres Clubs“ (Verlag). Die jeweiligen Autoren wählen verschiedene Wege bei der Würdigung ihres Vereins. Mit seinem wunderbar frei drehenden Arbeitsansatz ist nun Andreas Merkel (11. Band: 1. FC Köln) ein Coup gelungen.

Mit der Gliederung seines „Fan-Tagebuch-Romans zur EM 2016“ in zehn Kapiteln, die großenteils Kölner Spielern, aber unter anderem auch Heidegger oder „Hectors Freundin“(!) gewidmet sind, schafft er zunächst ein scheinbar starres Korsett. Das ist eine reine Finte, denn ungeachtet dieses Rahmens dehnt er – und das ist die besondere Stärke dieser Fibel – sein Sujet mutwillig ins quasi Unendliche aus.

Von leichter Hand geschubst, fliegt der Text durch einander reproduzierende Assoziationen. Tiefe, fast schwermütige Weisheiten wechseln sich ab mit steilen Thesen und postjuveniler Flapsigkeit („Rudnevs, Kackdreck . . .“). Überlegungen zum Fußball, dem aktiven wie dem passiven, dem großen wie dem kleinen, driften immer wieder ab ins Private, Politische, Popkulturelle, Philosophische, nur um verlässlich zum Fußball und auch zum 1. FC Köln zurückzuführen. Als Anhänger des „Bad Writing“ recherchiert er sich mit Lustschmerz sogar durch das unsägliche Genre der Exnationaltorhüterliteratur von Illgner bis Schumacher. Wiederkehrende Motive sind dabei Fachsimpeleien mit Freunden wie dem listigen „Browntown“; verspielte Einblicke ins Making-of dieses Buches; der Bolzplatz unter dem Fenster von Merkels „Schreibwohnung“, auf dem er die Kinder beobachtet, und die Beobachtungen wiederum zu Charakterstudien oder frei mäandernden Folgerungen verdichtet.

Weitere Wegweiser sind – war da nicht mal was mit Tagebuch? – die Schilderungen der EM-Spiele sowie regelmäßige Radtouren des Autors: alternierend die zwei immer gleichen Routen, einerseits um das kaputte Knie schonend zu kräftigen, und andererseits, um mithilfe der monotonen Bewegung den Fluss der Gedanken anzuregen und am Laufen zu halten.

Letzteres scheint gut geklappt zu haben. Selbstironisch geht Merkel auch mit seiner Rolle als Torhüter der Nationalelf im Autorenfußball („Das Team bestand in einer fragilen bolañoesken Mischung gleichermaßen aus Desperados und Insidern des Betriebs“) um: „Die literarischste Position, klar.“ Da die immanente Peinlichkeit des grotesk überhöhten Etiketts „Nationalmannschaft“ für labile Hobbykicker im frühen Greisenalter stets mit im Raum steht, schreit das nach einer Brechung: „Falls er selbst ins Spiel eingreifen muss, ist die Situation oft dadurch gekennzeichnet, dass es zu spät ist.“

Etwas aus der Reihe fällt das Kapitel „Overath“, in dem Merkel seinen Vater interviewt, von dem er schließlich die Leidenschaft für den FC geerbt hat. Solchermaßen verstärkt sich der Fokus auf den Interviewten. Das ist Liebe. Zum Vater, und die zum Verein lässt sich der Torwart, Fan und Literat eben mal von Heidegger „adeln“: „ ‚Durch eine Abgötterei sich selbst mit einer ersten Wahl definieren‘: das war ja wohl die Definition des Fanseins!“

Beobachtungen werden zu frei mäandernden Folgerungen verdichtet

Das Ganze ist klug, oft hochkomisch und ausgesprochen unterhaltsam. Ein Fußballnerd zu sein, der das Spiel auch intellektuell durchdringen möchte, mag den Genuss noch erhöhen. Voraussetzung für diesen mit kaum 130 Seiten viel zu endlichen Spaß ist das jedoch nicht.

Uli Hannemann

Andreas Merkel: „1. FC Köln. Fußballfibel“. Culturcon-Verlag, Berlin 2016, ­130 ­Seiten, 9,99 Euro