Sachbuchautor über „besorgte Bürger“: „In einem kontrafaktischen Raum“

Von A wie Abendland bis Z wie Zionisten: Der Leipziger Politologe Robert Feustel erklärt die vielen Kampfbegriffe der „besorgten Bürger“.

Bei einer Pegida-Demonstration in Dresden hält eine Person einen Pappkarton mit der Aufschrift "Grenzen zu!"

Eine Pegida-Anhängerin trägt eine Deutschland-Fahne als Kopftuch. Allerdings eher unordentlich Foto: dpa

taz: Herr Feustel, Sie haben in Ihrem „Wörterbuch des besorgten Bürgers“ 150 Wörter aufgedröselt wie „Abendland“ oder „Lügenpresse“. Zwischen welchen Gruppen wollen Sie damit beim Übersetzen helfen?

Robert Feustel: Wir wissen natürlich, dass wir die „besorgten Bürger“ mit dem Wörterbuch nicht erreichen werden: Sie befinden sich bereits in einem kontrafaktischen Raum, mit sachlichen Argumenten lässt sich da nicht mehr intervenieren. Aber die Sprachgewalt, mit der etwa AfD und Pegida arbeiten, ihre verbalen Zumutungen, haben mittlerweile eine Breitenwirkung erreicht. Daher möchten wir über diese Rhetorik und ihre Fallstricke aufklären.

Wenn Sie die „besorgten Bürger“ nicht erreichen und alle anderen sich eh einig sind – wer braucht dann ein solches Wörterbuch?

Niemand ist sich einig, das ist genau der Punkt. Auch in den etablierten Parteien sind falsche Pauschalisierungen und xenophobe Muster zu finden. Sehr viele glauben wie selbstverständlich an die Existenz einer Flüchtlingskrise. Deshalb müssen wir über rhetorische Vorsicht reden. Wir haben die Hoffnung, dass man sich in Diskussionen mit unseren Erklärungen bewaffnet, um die Nebelbomben, die die „Besorgten“ rhetorisch zünden, zu entlarven. Auch jenseits dieser Kreise ist deren schroffe Kriegsrhetorik längst salonfähig – es ist daher an der Zeit, dafür zu sensibiliseren, was diese Sprache anrichtet.

Na ja – Sie sprachen gerade selbst davon, man müsse sich mit Worten bewaffnen.

Erwischt, Sie haben recht, das ist schwierig. Aber wir sind der Meinung, dass das, was die Gewalttätigkeit der Sprache impliziert, rechtfertigt, von einem „Kampf um Begriffe“ zu reden.

geb. 1979, lehrt Politikwissenschaft an der Universität Leipzig. Im Dezember erschien das ­„Wörterbuch des besorgten ­Bürgers“ von Robert Feustel, Nancy Grochol, Tobias Prüwer und Franziska Reif.

Einige Begriffe auf Ihrer Liste – „Mainstream“, „Fachkräfte“, „Feminismus“ – sind ja in anderen Zusammenhängen anders konnotiert.

Das stimmt. Es gibt Begriffe, bei denen es sich lohnt, den Kampf aufzunehmen, und die wir verteidigen müssen – da sind wir wieder in der Kriegsrhetorik. Bei anderen Wörtern wie „Umvolkung“ geht es in erster Linie um Aufklärungsarbeit. Man muss verstehen, was sie bezeichnen, um in der Debatte bestehen zu können.

Was hinter „Umvolkung“ steckt, zeigen Sie in Ihrem Buch: Im Nationalsozialismus meinte man die Vertreibung aller „Nicht-Arier“, heute benutzen es die Rechten, um gegen die vermeintliche „Entdeutschung“ des Landes zu protestieren.

Ja, die Identitären etwa behaupten, dass die Umvolkung des Landes aktiv betrieben wird, der Versuch eines „großen Austauschs“. Auch andere Begriffe haben sich in ihrer Nutzung gewandelt: „Asylkritik“ war früher ein linker Terminus, um gegen die unlautere Einschränkung der Asylgesetzgebung zu protestieren. Nun haben ihn Leute gekapert, die einen harten Ausschluss von Asylbewerbern fordern: ein Euphemismus für ganz harte Ausgrenzungspraxis.

Ihr Wörterbuch bezieht klar Position gegen jene, die sich sorgen. Das klingt fast herablassend. Ist das nicht kontraproduktiv?

Ich weise zurück, dass wir uns darüber erheben. Die Formulierung „besorgte Bürger“ ist eine Selbstbeschreibung, sie halten sich für die bürgerliche Mitte – aber hinter dem Etikett tauchen xenophobe Formulierungen und Deutschtümeleien auf, die man aus den 30er Jahren kennt, etwa „völkisch“. Sich als „besorgt“ zu bezeichnen ist perfide.

Muss man nicht den Begriff der Sorge „retten“?

Es ist doch völlig berechtigt, sich in der Phase ökonomischer und politischer Instabilität, in der Spätphase des Neoliberalismus Sorgen um die Zukunft zu machen. Doch jene Kreise projizieren eine ökonomische und soziale Problematik auf Menschen, die hierherkommen – und damit noch weniger Schuld an der Situation haben. Aus Sorgen werden Opfermythen. Der weiße deutsche Mann ist aber nicht per se Opfer.

Was ist Ihr Ziel mit diesem Projekt?

Wir wollen aufzeigen, wie viele gefährliche Deutungen schon im politischen Alltag angekommen sind, unter anderem die Junge Union und die CSU fischen rhetorisch am rechten Rand. Gerade Medien sollten sich genauer damit beschäftigen, was Worte eigentlich aussagen – und nicht in den Modus der Agitation verfallen. Nehmen Sie ein Wort wie „Flüchtlingsfrage“, das oft auftaucht. Mal abgesehen davon, dass eine konkrete Frage nie gestellt wird: Die Assoziation mit der „Judenfrage“ der NS-Zeit ist doch offensichtlich. So werden schleichend Konzepte aus dem nationalistischen Gedankengut rehabilitiert.

Was wäre eine gute Alternative für „Flüchtlingsfrage“?

Für solche Begriffe brauchen wir keine Alternative. Es handelt sich um ein leeres Wort, eine Art Container für Emotionen. Wir streifen die Grenzen dessen, was Sprache abbilden kann – damit bricht die Kommunikationsfähigkeit bisweilen zusammen. Begriffe tragen nicht mehr, eine Verständigung wird zunehmend schwieriger. Die Kraft der Entdifferenzierung ist so stark, dass ihr oft sogar linke Kreise erliegen. Bestimmte Deutungsangebote sind schon von allen Seiten zu hören, etwa dass Taten von Menschen in erster Linie auf ihren kulturellen Hintergrund zurückzuführen sind.

Auch die Debatte über die Abkürzung „Nafri“, die die Kölner Polizei im Zusammenhang mit der Silvesternacht benutzt hat, um ihr Racial Profiling zu erklären, zeigt: Sprache ist im Ausnahmezustand angekommen.

Ja, auch wenn alle Statistiken etwas anderes sagen, regiert eine Art Sicherheitsparanoia. Und ruft solche bitteren Begriffe auf. Mit „Nafri“ werden Menschen aus sieben Ländern umschrieben, von denen zwei – Syrien und der Libanon – noch nicht einmal in Nordafrika liegen. Zudem assoziiert der Begriff unweigerlich, dass alle Menschen aus dieser Region eine Gemeinsamkeit haben: Sie sind – potenziell – kriminell. Schon klar, dass die Kölner Polizei aktiv werden musste und vor einem Dilemma stand. Aber es so anzugehen und zu kommunizieren ist ein Indiz für gefährliche Zeiten. Über Racial Profiling und Begriffe wie „Nafri“ als Ausdruck von Sippenhaftung müssen wir streiten.

Also doch Streit über Diskurs statt Kampf?

Das ist der Schwachpunkt der ganzen Kriegsrhetorik. Wenn Sie mich nochmals fragen würden, würde ich nicht von „bewaffnen“ sprechen. Selbstredend machen wir auch Fehler, aber wir lassen uns auf die Debatte ein. Darin liegt ein Unterschied zu den „besorgten Bürgern“, die den Anspruch erheben, die absolute Wahrheit zu formulieren. Sie tun so, als setzten sie sich über Sprechverbote hinweg, die es gar nicht gibt. Damit heben sie die eigenen Aussagen in einen vermeintlichen Wahrheitsstatus. Ein Mimikry eines Tabubruchs.

Welche Wörter haben es nicht ins Buch geschafft?

Wir haben schon eine kleine Liste beisammen, die wir nachliefern wollen: „Unangenehme Wahrheit“ oder „Staatsversagen“ aber vor allem das Wort „Obergrenze“ – das war uns durchgerutscht. Meiner Meinung nach steckt darin letztlich schon ein Tötungsbefehl.

Ist das Grund, weshalb Politiker nie konkretisieren, was eine „Obergrenze“ praktisch bedeutet?

Ja, es gibt einen ethischen Rückzug: Wir reden davon, können sie aber nicht benennen. Denn sie impliziert: Wenn die Obergrenze erreicht ist, lassen wir die Menschen sterben. Auch „Kontingent“ ist nur eine weitere Nebelkerze wie „Transitzone“: Beides klingt nicht so hart.

Können Sie sich überhaupt noch über Begriffe aufregen?

Vor zwei Jahren wäre manches ein Aufreger gewesen, aber in unsere Sprache haben sich schleichend immer mehr Zumutungen eingeschrieben. Das finde ich beängstigend. Dass eine Frau Kudla [CDU-MdB aus Leipzig, Anm. d. Red.] von „Umvolkung“ spricht, ohne dass das einen Parteiauschluss zur Folge hat, ist schon sehr aussagekräftig. Da haben sich Sachen normalisiert, die keineswegs normal sind.

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