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Urlaub inklusive Inklusion

Entlastung Mitmach-Urlaub im Waldheim am Brahmsee: Der Verein Leben mit Behinderung Hamburg bietet Menschen mit Behinderungen und deren Angehörigen jedes Jahr eine Pause vom Alltag an

„Wild and free“: Auch Parties gibt es für die meist jugendlichen Feriengäste im Waldheim Foto: Privat

von Nora Kaiser

Nur unter Murren zieht P. seine Schwimmweste an. Gemeinsam schieben wir das Kanu ins Wasser und ich animiere ihn dazu, es mit der Leine ans hintere Ende des Stegs zu lenken. Die Aufgabe erfüllt ihn sichtlich mit Stolz. Lachend läuft er mit dem Strick in der Hand über die wackeligen Planken.

Hinter dem Schilf sind vom Steg aus die versteckten Feriendomizile am gegenüberliegendem Ufer nur spärlich zu erkennen. Der Brahmsee im Zentrum Schleswig-Holstein ist nicht nur für Helmut und Loki Schmidt lange ein beliebter Erholungsort gewesen. Direkt gegenüber der Ferienhäuser erstreckt sich das elf Hektar große Naturgrundstück des Schullandheims Waldheim in Langwedel am Brahmsee.

Seit 1921 gibt es den Verein, der seitdem die Förderung von Jugendarbeit als Ziel und Zweck verfolgt. Das Waldheim beherbergt jedes Jahr mehrere unterschiedliche Gruppen an Kindern und Jugendlichen. Besitzer Sebastian Pesch legt großen Wert auf Toleranz und Vielseitigkeit: „Das weitläufige Grundstück bietet sowohl die Möglichkeit, mit anderen Gruppen in Kontakt zu treten, als auch sich mit der eigenen Gruppe zurückzuziehen“, so Pesch.

Inklusion ist für ihn selbstverständlich: „Eine vorurteilsfreie und offene Haltung gegenüber anderen Gruppen sollte besonders bei Kindern gefördert werden. Bei uns kann quasi jeder seinen Urlaub verbringen, sei es ein privates Familienzusammenkommen, eine Ferienreise für Menschen mit Behinderung, eine Kirchenfreizeit oder Klassenreise.“

Ferienreisen für Menschen mit Behinderung stellen sowohl für Familienangehörige als auch für die Teilnehmer eine unterstützende Auszeit vom Alltag dar. Diese Einstellung vertritt auch die Organisation „Leben mit Behinderung Hamburg“, welche jedes Jahr wieder Ferienreisen zu unterschiedlichen Standorten in Norddeutschland anbietet – unter anderem jeden Sommer zum Waldheim am Brahmsee.

Rund 200 Menschen mit Behinderung aus ganz Norddeutschland nehmen jährlich an mindestens einer Ferienfreizeit teil – neben Kindern und Jugendliche können auch Erwachsene teilnehmen. Franziska Kanz ist Leiterin der Ferienreisen bei der Organisation. „Für die Teilnehmer sind die Reisen oft die schönste Zeit des Jahres, für die Familien ist es eine Zeit des Auftankens und Erholens“, erklärt sie.

Das Waldheim am Brahmsee ist ihr Lieblingsstandort, nicht nur aufgrund des weitläufigen Grundstücks. Die einzelnen Gruppen werden in barrierefreien Blockhütten mit Vollverpflegung untergebracht. Das Essen wird selbstständig von den Gruppen bei der Küche abgeholt. „Ein Urlaub mit „Mitmach-Charakter“, beschreibt das Kanz.

„Eine vorurteilsfreie und offene Haltung gegenüber anderen Gruppen sollte besonders bei Kindern gefördert werden. Bei uns kann quasi jeder seinen Urlaub verbringen“

Sebastian Pesch, Waldheim

Das Schullandheim bietet außerdem ein breites Angebot unterschiedlichster Aktivitäten im Freien an. Die Angebote reichen von Lagerfeuer, über Bogenschießen und Kanufahren bis Klettern und Floß bauen. Neben dem Programm gestaltet das Team an Betreuern auch eigene Ausflüge, wie beispielsweise zu den jährlich stattfindenden Karl-May-Festspielen in Bad Segeberg.

Grundsätzlich ist es die Aufgabe der Betreuer, auf jeden einzelnen Teilnehmer und dessen individuellen Bedürfnisse während der Reise einzugehen. Dabei stellen sie sich Herausforderungen, die ihr eigenes Sozialverhalten auf die Probe stellen. „Das Team wird während einer solchen Reise sehr gestärkt. Man lernt, gemeinsam Konflikte und schwierige Situationen zu meistern. Falls es mal zu Notfällen kommt, bin ich als direkte Ansprechpartnerin aber auch jederzeit abrufbereit.“ Kanz besucht jede Ferienfreizeit und bleibt über das Diensthandy mit Betreuern während der Reise im regelmäßigen Kontakt.

Zu Notfällen kommt es zwar selten, dennoch wird im Schnitt einmal pro Jahr ein Teilnehmer früher nach Hause geschickt. Meist aufgrund von Heimweh oder herausforderndem Verhalten – wenn beispielsweise der Rucksack einer Teilnehmerin im Robbenbecken eines Zoos landete oder ein Teilnehmer sich weigert, seine Badehose zum Baden im See anzuziehen.

„Betreuer geben immer ihr Bestes, schwierige Situationen in den Griff zu bekommen und zu lösen. Kommt es jedoch oft zu derart ausschreitendem Verhalten, welches für die gesamte Gruppe nicht mehr tragbar ist, bleibt uns im schlimmsten Fall nichts anderes übrig, als die Angehörigen über die frühzeitige Rückreise des Teilnehmers zu informieren“, erklärt Kanz.

Sie achtet von vornherein darauf, eine etwa gleichaltrige und möglichst harmonische Gruppe zusammenzustellen, um derartige Komplikationen zu vermeiden. Um Pflegebedarf und Besonderheiten der einzelnen Teilnehmer einschätzen zu können, muss außerdem ein ausführlicher Anmeldebogen zu geistigen und körperlichen Beeinträchtigungen und Beschränkungen ausgefüllt werden.

Bei der Auswahl der Reiseteilnehmer wird grundsätzlich niemand abgewiesen, jedoch gilt das Prinzip: Wer zuerst kommt, malt zuerst. Dabei handelt es sich um einen teuren Spaß, den die finanzielle Unterstützung der Krankenkasse meist nur zu einem Drittel abdeckt. „Die Möglichkeit für Eltern und Angehörige, sich vom Alltag zu erholen und Zeit für sich selbst zu finden, ist vielen die Investition trotzdem wert“, so Kanz. Und nicht nur für Angehörige bieten die Ferienreisen eine Pause, um Luft zu holen. Auch für Teilnehmer ist die Ferienreise eine neue Erfahrung fernab des Alltags und in einem neuen Umfeld.

Der Verein Leben mit Behinderung (LmBHH) Hamburg ist ein Zusammenschluss aus über 1.500 Familien mit mindestens einem Angehörigen mit Behinderung.

LmBHH gibt es seit 60 Jahren. Er bietet Angebote für die familiäre Entlastung, Bildung, Freizeit und Wohngruppen an.

Der Preis für eine Ferienfreizeit richtet sich nach der Pflegestufe des Teilnehmers und schwankt zwischen 1.500 bis 4.000 Euro.

Mehr Informationen zu Anmeldung und weiteren Angeboten auf: www.lmbhh.de.

Das Waldheim am Brahmsee ist Mitglied der Diakonie, befindet sich in Langwedel und hat das ganze Jahr über geöffnet. Weitere Informationen und Kontaktadressen auf: www.brahmsee.de.

Für Betreuer, die als Mitarbeiter auf einer Ferienreise mitfahren möchten, gibt es ebenfalls ein Bewerbungsverfahren. „Wichtig ist dabei natürlich die Motivation und eine offene Grundhaltung“, sagt Kanz. „Generell sollte man wirklich Lust haben, mit Menschen zu arbeiten und über ein Menschenbild verfügen, was konform zu unserem Unternehmen ist.“

Neben ausgeprägtem Verantwortungsbewusstsein zählt ein aufgeschlossenes und respektvolles Menschenbild passend zum Unternehmensmotto von Leben mit Behinderung Hamburg. Vorerfahrungen im sozialen Bereich sind zwar nicht zwingend notwendig, allerdings sind erfahrungsgemäß rund 95 Prozent der bisherigen Mitarbeiter zumindest schon mal mit dem sozialen Bereich in Berührung gekommen.

Die Mitarbeiter werden vorab mit einer Schulung auf die Reise vorbereitet. Reich wird man als Mitarbeiter auf einer Ferienreise zwar nicht, jedoch eignet sich der Ferienjob besonders für Studenten und Auszubildende in den Schul- und Semesterferien. Neben einer festgelegten Tagespauschale werden Fahrtkosten sowie Verpflegung und Unterkunft von der Organisation getragen.

Das Vertrauen in die eigenen Mitarbeiter wurde bislang nie enttäuscht, so Kanz: „Bei der Reise profitiert jeder von jedem. Und auch die Betreuer gewinnen an zusätzlicher sozialer Kompetenz und haben selber viel Spaß an der Arbeit, sodass die meisten Mitarbeiter regelmäßig wieder fahren.“