Inklusion mit Diktatoren

TheaterAlfred Jarrys „König Ubu“ aufgeführt vom grandiosen Ensemble des RambaZamba-Theater

„Pfiffe? Ja! Ausrufe der Empörung und gehässiges Gelächter? Ja. Herausgerissene Sitze, die auf die Bühne flogen? Ja. Lärm und drohende Fäuste in den Logen? Ja.“ So beschreibt ein Rezensent die tumultartigen Publikumsreaktionen am vornehmen Théâtre de l’Œuvre in Paris, als vor mehr als 120 Jahren Alfred Jarrys „Ubu Roi“ uraufgeführt wurde. Ein Stück, das nach vernichtender Kritik vom Spielplan genommen wurde, weil es „tatsächlich … von vorne bis hinten ermüdend“ sei. Dennoch schien es zu faszinieren. Denn „ungeachtet der widersinnigen Handlung“, schreibt der Rezensent, „habe Jarry ein neues Urbild“ kreiert, das von einer „zügellosen und schonungslosen Vorstellungskraft“ zeuge, die „eher die eines Kindes als die eines Mannes ist“.

Was wäre also spannender, als „König Ubu“ von Personen spielen zu lassen, die sich dem Wesen nach vielleicht am ehesten in Jarrys kindliche Vorstellungskraft einfühlen können? Also in die Tagträumereien eines französischen Jungen, der in seinem Physik-Lehrer „alles Groteske dieser Welt“ erkannte? Und damit einen Typus Machthaber ersann, der in der Menschheitsgeschichte des folgenden Jahrhunderts gleich mehrfach leibhaft in Erscheinung treten sollte.

Das RambaZamba-Theater, das seit 1991 Menschen mit unterschiedlichsten Beeinträchtigungen auf die Bühne bringt und für das die Gründer Gisela Höhne und Klaus Erforth diverse Integrationspreise verliehen bekamen, hat genau das getan – und dadurch dem Publikum als auch den DarstellerInnen unverstellte Emotionen geschenkt. Etwa nach dem Ende der knapp einstündigen Adaption von Regisseur Jacob Höhne, als die Freude über die herausragende körperliche Leistung des Ensembles – das Runde für Runde durch ein Meer aus feinsten Styroporkügelchen um die Bühne robbte – sich Bahn brach. Oder als der herausragende Aaron Smith in der Rolle als König Ubu nach der Vorstellung – mittlerweile fast splitternackt – vor lauter Premierenglück Luftsprünge machte.

Der Rest ist schnell erzählt: Der ebenso lüstern-vulgäre wie skrupellose Ubu lässt sich von seiner Ehefrau (bezaubernd mit Goldkleid und Glatze Zora Schemm) zum Königsmord anstiften. Als neuer Herrscher verliert er schnell jedes Maß an Menschlichkeit und entwickelt sich im Rausch der narzisstischen Selbstliebe zum mordenden Tyrannen. Und bemerkt darüber gar nicht, wie er sein eigenes Grab schaufelt. Indem er seinem sadistischen Soldaten Craque (Pascal Kunze) die Belohnung versagt, wendet der sich von Ubu ab und führt mit Hilfe von dessen Feinden einen Tod bringenden Rachefeldzug.

Was im Jahr 1896 noch als „Anspielung auf den ewigen Schwachsinn der Menschheit“ abgetan wurde, blickt im Jahr 2017 nicht nur auf das gewalttätigste Jahrhundert der Menschheitsgeschichte zurück sondern begegnet uns als tägliche Warnung: Wenn sich Narzissmus und Machthunger in einer Person vereinen, dann sind die Menschen- und Bürgerrechte schnell in Gefahr. Folgerichtig ist der Theaterbroschüre eine Abhandlung über Populismus und Urfaschismus angeheftet.

Bei König Ubu fallen letztlich alle BürgerInnen der Willkür des Herrschers zum Opfer: die emanzipierte Frau genauso wie der warnende Intellektuelle. Für die DarstellerInnen ist es ein einziges Rennen, Kriechen, Sterben, Schreien – und Singen. Es ist eine atemlose, manchmal gewalttätige, manchmal sogar komische Adaption von „Ubu Roi“. Chapeau, RambaZamba!

Ralf Pauli

Wieder am 3. + 4., 8.–10. 2. um 19 Uhr, in der Kulturbrauerei