Kindersprüche und Katzenmassaker

Experimente und viel Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit noch nicht allenthalben gesuchten Künstlern: Das Programm des 10. Art Forum in Berlin ist auf junge Kunst ausgerichtet. Das Niveau ist hoch und es gibt auch echte Überraschungen, etwa drei Gemälde des schottischen Künstlers Peter Doig

von BRIGITTE WERNEBURG

Die Ausstellung ist überfällig – ausgerichtet von einem Berliner Museum. Doch sie kommt von der Messe Berlin. „Temporary Import“, die Sonderausstellung des 10. Art Forum, ist eine Hommage an das 1964 initiierte Künstlerprogramm des DAAD und das 1973 gegründete Künstlerhaus Bethanien mit seinem internationalen Studioprogramm. In den Zeiten des Kalten Kriegs, als die Künstler noch nicht so nach Berlin drängten wie heute, sorgten diese Institutionen dafür, dass die Kunstszene in Westberlin und – via Westberlin und Tagesvisum – auch kleine Kreise in Ostberlin in Kontakt mit wichtigen Protagonisten der internationalen Kunstwelt blieben.

Die Würdigung der Förderprogramme, auf denen der Ruf Berlins als Künstlerstadt gründet, könne nur der Einstieg in eine wesentlich umfangreichere Ausstellung sein, die noch zu leisten sei, sagt Susanne Titz, Direktorin des Museums Abteiberg in Mönchengladbach, die „Temporary Import“ kuratierte. Entsprechend dem Messeprogramm des Art Forum, das auf aktuelle, junge Kunst ausgerichtet ist, stellt sie Positionen aus den letzten zehn Jahren vor; Stipendiaten, die von Galerien vertreten werden, die an der Messe teilnehmen. Diese Verkürzung einer weit zurückreichenden Erfolgsgeschichte geht in Ordnung. Denn die Galeristen, nicht die Berliner Kunstinstitutionen, haben sich um die Gäste wie David Claerbout, Clegg & Guttmann, Jimmie Durham oder Mathilde Ter Heijne bemüht.

Nun gut, das ist ihr Job. Und als Selbstständige haben sie allen Grund, ihn gut zu machen. Auch jetzt auf der Messe, die ein hohes Niveau zeigt und da und dort eine echte Überraschung. Contemporary Fine Arts aus Berlin stellt drei Gemälde von Peter Doig aus, die nicht so recht nach Doig aussehen. Und doch sind typische Stilelemente des schottischen Künstlers in diesen frühen Arbeiten vom Beginn der Achtzigerjahre zu entdecken. Eine ungenannte Berlinerin hatte damals, Doig war noch Student, ein großes Bild von ihm gekauft, das sie jetzt Contemporary Fine Arts anbot. Ergänzt um zwei Arbeiten aus Doigs Besitz, kann das Ensemble, in dem der Marlboro Man eine prominente Rolle spielt, für 400.000 Euro erworben werden.

Nur fünf Jahre lang unverkaufte Kunstproduktion packt die 1971 geborene koreanische Künstlerin Haegue Yang zu einem mächtigen „Storage Piece“ zusammen, das Barbara Wien, Berlin, für 12.000 Euro anbietet. Die Arbeit ist Skulptur und zugleich Lager von mehr als 33 Arbeiten, darunter die auf der manifesta 4 in Frankfurt gezeigte Installation.

„Storage Piece“ ist ein Überraschungspaket, aber auch ein Dumpingangebot und als solches ein lakonischer Kunstmarktkommentar.

Übrig geblieben oder wieder im Verkehr? Bei der Galerie Heinz Holtmann aus Köln jedenfalls gibt es einen schönen „Wochenendhaus“-Siebdruck aus dem Jahr 1967 von Sigmar Polke für knapp zehn- und eine kleine Beuys-Zeichnung von 1956 für hundertzehntausend Euro.

Wir alle kaufen übrigens auf dem 10. Art Forum ein, vertreten durch die Ankaufskommission des Bundes. Auch unsere repräsentativen Organe sollen mit Gegenwartskunst renommieren. Noch sieht sich die öffentliche Hand als Käufer und Sammler, auch wenn gewisse Freunde der Kunst den Staat am liebsten nur in der Rolle des wertsteigernden Durchlauferhitzers zu ihren Gunsten sähen. Die Antwort auf die Frage, was Kunst ist, lautet für sie: Privatbesitz. Wer’s glaubt, wird selig– in ihren Augen gilt der trotzige Kinderspruch.

Da ist es interessant, dass ausgerechnet preiswerte Papierarbeiten zurzeit einen Künstler machen. Während er mit seinen „Naked Drawings“ im Museum Ludwig in Köln einen großen Erfolg feierte, kommentierte Dan Perjovschi auch auf unseren Seiten sechs Wochen lang den Lauf der Welt. Jetzt wurde der Künstler, vertreten durch die Galerie Podnar aus Ljubljana, auf dem Art Forum für die Shortlist von BlueOrange 2006 nomminiert, dem hoch dotierten Kunstpreis der deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken. Auch Dasha Shiskin, gerade in der „Greater New York“-Schau des P. S. 1 vertreten, machten ihre Lithografien und Zeichnungen zum Star der Kunstszene Manhattans. Grimm und Rosenfeld aus München und New York verkaufen ihr hinreißendes Katzenmassakerlitho für 1.800 Euro.

Die ganz teuren Arbeiten werden in Berlin nicht gehandelt. Highlights, wie Neo Rauchs großes Historiengemälde vom Marsch der Dritten Welt in die Geschichte der globalen Welt, das Eigen + Art für 240.000 Euro an das Stedelijk Museum in Amsterdam verkaufte, sind dadurch rar. Doch das schärft gerade das Profil des Art Forum. Bo Bjerggaard aus Kopenhagen ist zum sechsten Mal auf der Messe, dieses Mal mit monochromen Fotoarbeiten von Erik Steffensen. Für Bjerggaard ist Berlin die Messe, um einen Künstler breit zu zeigen: Die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit noch nicht allenthalben gesuchten Künstlern sei groß. In Berlin lässt sich experimentieren. Die Nachfrage nach den immer gleichen Künstlern, die in Basel und London zu beobachten ist, gehört angenehmerweise nicht zum Stil des Art Forum. Genau aus diesem Grund kann die Messe selbstbewusst ihr zehntes Jubiläum feiern.