der rote faden
: Verrückte Dialektik: Warum Donald Trump eine Chance ist

nächste wocheDaniel Schulz Foto: Helene Wimmer

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Robert Misik

Geschichte vollzieht sich ja gelegentlich in seltsamen Volten, als paradoxes Reiz-Reaktion-Schema, man könnte, wäre man altmodisch, auch sagen: dialektisch. Der Aufstieg des autoritären Rechtspopulismus verdankt sich neben vielen anderen Gründen vornehmlich auch dem Verschwinden aller starken Energien aus dem politischen Leben.

Autoritäre Rechte

Weltanschauungsparteien mitihren starken Überzeugungen verloren an innerer Spannkraft, in ihnen kam eine Kaste von Profipolitikern hoch, und die Bürgerinnen und Bürger hatten zunehmend den Eindruck, die seien im Wesentlichen doch alle gleich. Die Parteien selbst konnten nicht mehr so recht sagen, was sie wirklich ausmache, was sie eminent ununterscheidbar mache.

Das Ergebnis war so etwas wie eine Politik ohne Alternativen, eine Demokratie, in der in grundlegenden Fragen unter den etablierten Kräften doch ein weitgehender Konsens herrschte. Und das war eben auch die Gefahr. Denn, wie der britische Historiker Tony Judt einmal sagte, eine Demokratie mit weitgehendem Konsens wird nicht lange eine Demokratie sein.

Diese Konstellation machte die autoritäre Rechte groß, und zwar nicht in einigen Ländern mit Spezialproblemen, sondern ziemlich flächendeckend: Trump in den USA, Ungarn, Polen, in Österreich ist die FPÖ durchaus in der Lage, stärkste Partei zu werden, in den Niederlanden werden die Leute um ­Geert Wilders wahrscheinlich gewinnen, und eine französische Präsidentschaft ­Marine Le Pens ist auch nicht hundertprozentig auszuschließen.

Politischer Wettbewerb

Die dialektische Pointe ist nun allerdings: Damit ist auch die Spielanordnung auf dem politischen Feld zu Ende, die die Autoritären groß gemacht hat. Die verschiedenen Spielarten liberaldemokratischer Politik sind jetzt kein „Konsens“ mehr, sie sind nicht mehr das Langweilige, Alternativlose, sondern sie sind selbst eine von zwei großen Alternativen: hier die liberale Demokratie, da die illiberale Pseudodemokratie.

Insofern ist Trump – wenn wir ihn hier als die signifikante Verkörperung und Verschärfung von Orbán, Strache, Le Pen et cetera betrachten – auch eine Chance. Demokratische Politik ist keine Politik ohne Projekt mehr, sondern hat einen Gegner, einen Antipoden. Sie ist jetzt selbst wieder eine Alternative in einem politischen Wettbewerb, und das alleine kann schon als Energiezufuhr nützen. In Österreich haben wir es auf gewisse Weise im Präsidentschaftswahlkampf erlebt, und Ähnliches scheint sich auch in Frankreich zu wiederholen. Emmanuel ­Macron, der jungenhafte, unabhängige Sozial­liberale, ist aus heutiger Sicht der aussichtsreichste Anwärter darauf, in einer Stichwahl gegen Marine Le Pen anzutreten – und sie dann auch zu besiegen.

Establishment

Dass es wieder um so etwas wie eminente politische Alternativen geht, trägt vielleicht auch zu dem seltsamen Hype rund um Martin Schulz in Deutschland bei – auch wenn die Bundesrepublik mit einer Rechtspartei, die knapp über der Zehnprozentmarke liegt, natürlich immer noch ein Sonderfall ist. Wie auch immer, generell ist das „Modell Trump“ für die ­demokratischen Kräfte auch eine Chance, nämlich sich als echte Alternative zum Auto­ritarismus darzustellen und sich somit selbst zu „repolitisieren“.

Aber man darf diese These von der Chance nicht miss­interpretieren. Sie bedeutet natürlich nicht, dass die alte Apparatschikpolitik von der weichgespülten Mitte jetzt plötzlich ein neues Lebenselixier gefunden hätte.

Lebenselixier

Im Gegenteil: Apparatschik­haftes Weiter-so und ­verstaubte Politikberaterratschläge aus den neunziger Jahren würden zur Stimmenmaximierung der Autoritären nur beitragen. Wer den Eindruck erweckt, Teil des hergebrachten Politikestablishments zu sein, hat schlechte Karten.

Auch hier sind Österreich und Frankreich frappierende Beispiele: In Österreich schlug ein liberaler Grüner die autoritäre Konkurrenz, und auch ­Macron kann nur deshalb eine Bewegung mobilisieren, weil er sich geschickt als frisch, neu, von jenseits des Polit­ikestablishments kommend, kurzum als Kandidat „gegen das System“ po­si­tio­niert. Und weil er eine glaubwürdige, an Menschenrechten orientierte Politik pro Europa vertritt, also nicht als Politiker erscheint, der sich nach Meinungsumfragen richtet oder danach, woher gerade der Wind weht.

Auch das ist eine wichtige Erkenntnis. Früher hätte man gesagt, electable ist nur, wer moderat die konventionelle Mitte abdeckt. Heute sind die, die in die konventionelle Mitte drängeln unelectable – also die, die schlechte Karten haben.